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Schulleitungen wollen Wechselunterricht – das Kultusministerium bremst sie aus

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STUTTGART. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat für Regionen mit extrem ausufernden Corona-Infektionszahlen neue einschneidende Maßnahmen für Schulen beschlossen. Spätestens vom kommenden Montag an sollen in Regionen mit mehr als 300 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen alle allgemein bildenden und beruflichen Schulen ab Klassenstufe 8 vollständig in den Fernunterricht übergehen, teilte das Kultusministerium am Donnerstag in Stuttgart mit. Ausgenommen seien Abschlussklassen. Zudem soll es an den letzten beiden Schultagen vor Weihnachten, am 21. und 22. Dezember, Fernunterricht geben. Beim Wechselunterricht gilt ein Inzidenzwert von 200 als Grenze – und es gibt bürokratische Hürden.

Unter politischem Druck musste Kultusministerin Eisenmann eine Möglichkeit zum Wechselunterricht freimachen – so richtig frei ist er aber nicht. Illustration: Shutterstock

Nach den jüngsten Infektionszahlen wäre nur Pforzheim (337,4) von den neuen Regeln betroffen. Allerdings lag Heilbronn auch schon bei 298,6. Die Maßnahmen sind Teil einer erweiterten «Hotspot»-Strategie zur Eindämmung des Coronavirus. Die Schulen seien am Dienstag über den neuen Erlass informiert worden.

Das Ministerium erläuterte, in der Zeit des Fernunterrichts müssten in den betroffenen Klassenstufen bereits geplante Klassenarbeiten abgesagt werden. Wenn diese für die Note der Schülerinnen und Schüler «zwingend erforderlich» sei, müssten die Arbeiten nachgeholt werden, sobald wieder Präsenzunterricht möglich ist.

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Die Hürden für die Genehmigungen des Wechselunterrichts sind hoch – Einschränkungen des Schulbetriebs müssen nachgewiesen werden

Ex-Kultusminister Andreas Stoch (SPD) warf seiner Nachfolgerin Susanne Eisenmann (CDU) vor, die Situation komplett unterschätzt zu haben. «Hätte die Ministerin, wie vor Wochen von der SPD gefordert, den Unterricht für ältere Schülerinnen und Schüler auf Wechselunterricht umgestellt, müsste sie nun nicht ganze Klassen nach Hause schicken.» Der CDU-Spitzenkandidatin sei die Profilierung wichtiger gewesen als ihr Krisenmanagement, kritisierte der SPD-Partei-und Fraktionschef.

Seit Anfang der Woche galt lediglich die Regelung, dass Schulen in Kreisen mit einem Inzidenzwert von mehr als 200 in Absprache mit dem Gesundheitsamt und der Schulverwaltung Wechselunterricht ab Klasse 8 anbieten können. Nachdem die Schulleitungen am Montagabend über die aktualisierte Corona-Verordnung informiert worden waren, gingen bereits am Dienstagmorgen die ersten Anfragen bei den Regierungspräsidien und staatlichen Schulämtern als zuständigen Schulbehörden ein.

Im Regierungsbezirk Freiburg meldeten sich nach Angaben vom Mittwoch Schulleiter von drei Schulen in Tuttlingen und drei weiteren im Schulamtsbezirk Lörrach sowie von sieben Gymnasien. Im Regierungsbezirk Karlsruhe zeigten bereits Leiter von mehr als zehn Schulen Interesse. Laut einer Sprecherin des Regierungspräsidiums der Fächerstadt waren dies berufliche, Real- und andere Schulen in Mannheim, Pforzheim, Nagold (Kreis Calw) und Calw. «Wir rechnen mit vermehrten Anfragen», erklärte die Sprecherin. Es werde zeitnah im Einvernehmen mit Schulleitungen und den Gesundheitsämtern entschieden, ob die Schulen sich umstellen können. Dem Regierungspräsidium Stuttgart waren sechs Meldungen aus beruflichen Schulen im Stadt- und Landkreis Heilbronn bekannt. Auch ein Heilbronner Gymnasium wollte die Möglichkeit nutzen.

Dabei sind die Hürden für die Genehmigung hoch hoch. Denn bei einem Inzidenzwert von 200 soll noch immer kein Automatismus greifen. Wechselunterricht darf nur eingeführt werden, wenn zudem der Schulbetrieb massiv vom Infektionsgeschehen beeinträchtigt wird. Die GEW kritisierte, dass das Kultusministerium mit dem zeitraubenden Antragsverfahren den Schulleitungen wieder Mehrarbeit zumute, anstatt eine klare landesweite Regelung zu treffen. «Der Coronavirus wartet nicht, bis ein langwieriges Abstimmungsverfahren zwischen überlasteten Gesundheitsämtern, der Schulverwaltung und den Schulleitungen zum Start des Wechselunterrichts abgeschlossen ist», sagte Landeschefin Monika Stein.

Stoch sagte, es sei besonders gefährlich, dass die Ministerin auch Ratschläge der Wissenschaft, etwa vonseiten der Leopoldina, ignoriere und als nicht zeitgemäß abkanzele. «Wer in der aktuellen Situation glaubt, Wissenschaftsbashing betreiben zu müssen, gefährdet den gesellschaftlichen Konsens über die jetzt notwendigen Maßnahmen.» Stoch ergänzte: «Frau Eisenmann, Sie und Ihre Bildungspolitik sind nicht auf der Höhe der Zeit!»

Eisenmann hatte den Vorschlag der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina für eine zeitweise Aufhebung der Schulpflicht schon ab der nächsten Woche kritisiert. Zudem hatte sie moniert, die Leopoldina liege mit ihren Vorschlägen auch manchmal daneben: «Manche Forderungen zeigen, dass die Leopoldina bei den Corona-Maßnahmen nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein scheint. Die Idee, Gruppenaktivitäten im Bereich von Sport und Kultur einzustellen, ist in Baden-Württemberg bereits seit Wochen Realität.»

“Wieder einmal kommt Mehrarbeit auf die Schulleitungen zu, anstatt eine klare landesweite Regelung zu treffen”

Die Lehrergewerkschaft GEW vermisst weiterhin eine landesweit einheitliche Regelung zum Wechselunterricht. Man habe sich seit Anfang November dafür eingesetzt, dass ab der 7. Klasse die Schülerinnen und Schüler von Regelschulen nur noch im Wechselunterricht unterrichtet werden sollen. «Jetzt ist dies möglich, aber wieder einmal kommt Mehrarbeit auf die Schulleitungen zu, anstatt eine klare landesweite Regelung zu treffen», kritisierte GEW-Landeschefin Monika Stein. Im Gegensatz zu anderen Lebensbereichen nehme die Landesregierung bei Kitas und Schulen in Kauf, dass Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher Gefahren ausgesetzt sind.

Eisenmann hatte bereits in der Vorwoche ihren Unwillen deutlich erkennen lassen, Wechselunterricht zuzulassen. «Wechselunterricht in Baden-Württemberg wäre ein existenzieller Fehler», sagte sie. Das Robert-Koch-Institut (RKI) empfiehlt bereits ab einer Inzidenz von 50 den Wechselunterricht. Beim Wechselunterricht werden die Klassen oder Lerngruppen geteilt, so dass mindestens 50 Prozent des Unterrichts im gewohnten Klassenzimmer und der Rest zu Hause stattfindet. Ziel ist es, im Präsenzunterricht einen Mindestabstand von 1,5 Metern zu den und zwischen den Schülern zu gewährleisten. News4teachers / mit Material der dpa

In einer zwischenzeitlichen Fassung des Beitrags wurde berichtet, dass der neue Schwellenwert von 300 den alten ersetzt. Das ist offenbar nicht der Fall – er ergänzt den weiterhin geltenden Schwellenwert für den Wechselunterricht. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

Streit um Schulbetrieb: Eisenmann hält Leopoldina für „nicht auf der Höhe“

 

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