BAD HONNEF. In einem offenen Brief setzt sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft für den verstärkten Einsatz technischer Lösungen bei der Belüftung von Klassenräumen ein. Die Gesellschaft hat ausgerechnet, wie hoch das Infektionsrisiko in einem Klassenzimmer ist, wenn nur über die Fenster gelüftet wird: Sie liegt für jeden im Raum bei zwölf Prozent – in nur drei Tagen.
Die Kultusministerkonferenz setzt in der Corona-Pandemie auf offene Fenster. «Um sich vor infektiösen Partikeln zu schützen, sollte pro Stunde ein dreifacher Luftwechsel erfolgen. Das bedeutet, dass die Raumluft dreimal pro Stunde komplett gegen Frischluft von außen ausgetauscht wird», schreibt das Umweltbundesamt im Auftrag der KMK in einem vierseitigen Leitfaden für Lehrer. In der kalten Jahreszeit soll demnach während des Unterrichts alle 20 Minuten mit weit geöffneten Fenstern für 3 bis 5 Minuten gelüftet werden – sogenanntes Stoßlüften. Zudem solle während der gesamten Pausen gelüftet werden. Mehr ist angeblich nicht nötig, um die Bedrohung durch Corona-verseuchte Aerosole, kleinste Schwebeteilchen in der Atemluft also, zu beseitigen. (News4teachers berichtete ausführlich über das “Lüftungskonzept” der KMK.)
Die heftige öffentliche Diskussion um die Lüftungskonzepte an Schulen in Kitas in der kalten Jahreszeit ist in Zeiten überwiegenden Distanzunterrichts zwar gerade etwas abgeflaut. Dennoch kommt in der noch andauernden Pandemie der ausreichenden Lüftung der Klassenzimmer nach wie vor große Bedeutung zu. Die Zahlen der trotz Lockdowns in Präsenz unterrichteten bzw. betreuten Kinder und Jugendlichen ist insgesamt weiterhin beträchtlich und auch nach der Pandemie müssen Klassenräume natürlich möglichst optimal belüftet werden. Bildungseinrichtungen betreiben dementsprechend derzeit immer noch großen Aufwand, um Lüftungskonzepte umzusetzen.
In einem „offenen Brief“ setzt sich jetzt die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) dafür ein, bei der Belüftung von Klassenzimmern auf technische Lösungen zu setzen, die einen kontrollierten Luftwechsel gewährleisten. Der Einsatz technischer Geräte zur Belüftung ist nach Ansicht der Fachgesellschaft jeder Art passiver Lüftung durch bloßes Öffnen von Fenster und Türen weit überlegen, da bei der technischen Belüftung der Luftaustausch bzw. die Luftreinigung in kontrollierter Art und Weise geschieht. Bei der momentan empfohlenen passiven Lüftung von Klassenräumen mit Außenluft über die Fenster sei dies in einem typischen Klassenzimmer dagegen nicht zu erreichen, da diese stark von Faktoren wie Wind, Temperatur, Fensteröffnungen oder der Lage der Heizkörper abhänge.
Wenn alle zwanzig Minuten eine fünfminütige Lüftung pro Stunde durchgeführt werde, rechnet die DPG vor, ergeben nach einem Schultag mit sechs Unterrichtsstunden in einer Klasse mit 30 Schülerinnen und Schülern bei Erkrankung der Lehrkraft ein Tagesrisiko von ca. vier Prozent. Der dabei angenommene zehnfache Luftaustausch mit Frischluft sei dabei noch idealisiert. Laut Messungen des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation zeige sich in der Realität vielmehr eine Variation des natürlichen Luftwechsels von 2- bis 20-fach pro Stunde innerhalb eines Tages.
Nach drei Tagen unerkannter Krankheit betrage im Rechenbeispiel das Risiko der Erkrankung eines Schülers oder einer Schülerin bereits zwölf Prozent. Somit hätten sich insgesamt etwa drei Schülerinnen oder Schüler angesteckt, die ihrerseits die Personen in ihrer nächsten Umgebung unerkannt gefährdeten.
Ideal für Klassenräume ist nach Ansicht der DPG die Mischlüftung mit einer Kombination aus Außenventilator und Raumluftreiniger
Nach Ansicht der DPG gibt es ausreichend technische Lösungen, die mit überschaubarem Kosten-, Installations- und Betriebsaufwand sowie mit ausreichender Wartung in Schulen und öffentlichen Gebäuden realisierbar sind.
Bei den technischen Lösungen ist laut DPG grundsätzlich zwischen Stoßlüftung, Verdrängungslüftung und Mischlüftung zu unterscheiden. Die Stoßlüftung sei kontrolliert nur mit einem Außenventilator an Fenster oder Wand möglich. Die Stoßlüftung führe in der kalten Jahreszeit jedoch zu großen Temperaturunterschieden im Raum. Bei der Verdrängungslüftung wird kalte Luft in den Raum eingebracht und die von den Personen erwärmte warme Luft oben abgesaugt. Diese Art der Lüftung könne sowohl mit lokalen Deckenabzügen wie auch durch einen Außenventilator gesteuert werden. Ein derartiges Verfahren sei allerdings nur möglich, so lange die Außentemperaturen wesentlich geringer sind als die Raumtemperaturen.
Ideal ist nach Ansicht der DPG die Mischlüftung mit einer Kombination aus Außenventilator und Raumluftreiniger. Hierbei wird die Raumluft turbulent im Raum vermischt und permanent mit Frischluft oder gereinigter Luft verdünnt. Eine Kombination von Abluftventilator und Reinluftfilter könne dabei so berechnet werden, dass die Ansteckungswahrscheinlichkeit deutlich geringer bleibt als bei passiver Lüftung. Viele Untersuchungen und Studien hätten gezeigt, so die DPG, dass technische Lösungen mit kontrolliertem Luftwechsel eine Verringerung der Aerosole im Raum gewährleisten könnten. (zab, pm)
Wie ein Klassenraum mit gutem Corona-Schutz für Schüler und Lehrer aussieht
