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Islamismus im Klassenzimmer: Woran Lehrer erkennen, dass sich ein Schüler radikalisiert

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OSNABRÜCK. Auch in Deutschland gibt es radikalisierte islamistische Jugendliche, obwohl das Problem nicht so groß ist wie in Frankreich. Aber auch hierzulande müssen Lehrer wachsam sein – sagt der Osnabrücker Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Er fordert langfristige Konzepte und professionelle Fachkräfte, um auf radikalisierte Schüler zu reagieren. In einem Positionspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung hat er Handlungsempfehlungen gegeben.

Merchandising zum Terror: Mit solchen T-Shirts sprechen Islamisten junge Menschen an. Screenshot

Weiß man, wie groß das Problem mit radikal-islamistischen Schülern ist?

Michael Kiefer: Derzeit gibt es keine empirischen Untersuchungen, wie viele radikalisierte Schüler es gibt. Schule ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Es gibt somit auch rechtsextreme Haltungen unter Schülern, und auch islamistische. Wir wissen aus einem Modellprojekt an vier großen Schulen in Nordrhein-Westfalen und zwei Schulen in Berlin in der Sekundarstufe II, dass es unter 11.000 Schülern 63 Hinweise auf einen mutmaßlich rechtsextremen Hintergrund gab und 43 Hinweise auf einen mutmaßlich islamistischen Hintergrund. Das ist nicht viel. Solche Fälle können aber trotzdem brandgefährlich sein. Es gab sogar zweimal Amok-Verdacht, der aber Gott sei Dank falsch war.

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Wir haben also noch keine Verhältnisse wie in Frankreich?

Michael Kiefer: Nein. Frankreich hat in seinen großen urbanen Regionen wie Paris oder Lyon sehr isolierte Milieus, in denen muslimische Zuwanderer überwiegend leben. Frankreich hat es leider versäumt, diese problematischen Räume zu lebenswerten Stadtteilen zu machen. In diesen Vierteln hat bedauerlicherweise schon eine Radikalisierung stattgefunden. Die Islamisten haben diese Wohnquartiere als Rekrutierungsfeld erkannt. Bei uns gibt es auch Probleme, aber nicht in dem Ausmaß wie in Frankreich.

Sie schildern in Ihrem Aufsatz, dass es ein komplexes Problem ist, jeder Radikalisierungsfall ist individuell. Worauf müssen Lehrer trotzdem achten?

Michael Kiefer: Lehrer müssen auf verräterische Sprache achten. Gibt es im Unterricht Hatespeech, äußert sich jemand also despektierlich über andere gesellschaftliche Gruppen, artikuliert jemand ständig Vorurteile? Wenn man so etwas beobachtet, ist es auf jeden Fall ein Fehler, wegzusehen. Es geht darum, den Schüler wissen zu lassen: Hey, ich habe genau gehört, was du gerade gesagt hast. Ich bemerke, wie sich bei dir was verändert. Und dann müssen Lehrer mit den Jungen und Mädchen in intensiven Kontakt treten, um zu gucken, was los ist mit der Person.

Welche Rolle spielt die Familie?

Michael Kiefer: In vielen Fällen läuft irgendwas zu Hause wirklich nicht gut, es gibt eine Menge Probleme. Radikalisierung kann ein Weg sein, um bestimmte Probleme zu verdrängen, sie in den Hintergrund zu drücken. Da haben wir es häufig mit vielfältigen Problemlagen in den Familien zu tun. Das zeigt schon, dass das nie eine Aufgabe für einen Lehrer alleine sein kann. Die Lehrer sollten immer mit der Schulsozialarbeit und den Fachkollegen zusammenarbeiten. Und man muss die Eltern für sich gewinnen.

Sind denn die Eltern zugänglich? Oder stehen sie nicht eher auf der Seite der Kinder?

Michael Kiefer: Es ist normal, dass Eltern zunächst auf der Seite der Kinder stehen, denn sie kennen die schulischen Probleme ja erst auch nur aus den Schilderungen der Kinder. Das ist aber eine Kommunikationsproblematik. In unserem Modellprojekt haben wir die Erfahrung gemacht, wenn am Samstag der Lehrer und der Sozialarbeiter bei den Familien klingeln und fragen: Habt ihr mal eine halbe Stunde Zeit, dass das Eindruck macht. Die Familien erkennen, dass der Schule wirklich was an den Schülern liegt. Auch für Schüler ist es wichtig, dass sie merken, hier läuft nicht nur eine Sanktionsmaschine. Die Botschaft muss sein: Wir akzeptieren nicht, was du gemacht hast, aber wir geben dich nicht auf.

Sie sagen, ein qualifizierter islamischer Religionsunterricht ist wichtig – warum?

Michael Kiefer: Ich denke, dass er wichtig ist, auch wenn ich das nicht empirisch belegen kann. Aber es fällt auf, dass radikalisierte Jugendliche häufig nicht aus den Moscheegemeinden kommen oder aus Familien mit einer soliden religiösen Bildung. Es sind zumeist junge Menschen, die den Islam wiederentdecken, und das in einer sehr radikalen Gestalt. Sie picken sich aus dem Islam das heraus, was ihnen passend erscheint. Eine solide religiöse Bildung sollte vermitteln, dass es Einseitigkeit und Eindeutigkeit nicht immer geben kann, sondern dass es auch verschiedene Lesarten von Koranversen gibt. Das hat eine immunisierende Wirkung auf junge Menschen. Je differenzierter die Zugänge zu ihrer Religion sind, desto eher besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich eben nicht radikalisieren. Von Elmar Stephan, dpa

ZUR PERSON: Michael Kiefer (60) studierte in Köln Islamwissenschaften, Politikwissenschaften und Philosophie. Seit 2019 vertritt er die Professur «Soziale Arbeit und Migration» an der Universität Osnabrück. Daneben leitet er bei einem Düsseldorfer Jugendhilfeträger das Projekt «CleaR – Clearingverfahren gegen Radikalisierung».

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