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„Maßnahmen in Schulen wirken“: Wie ein Landesuntersuchungsamt mit fragwürdigen Daten versucht, politisch Stimmung zu machen

MAINZ. Versuchen SPD-Kultusminister, mit gedrechselten Zahlen vor jedem Bund-Länder-Gipfel Stimmung gegen Schul- und Kitaschließungen zu machen? News4teachers hat am Montag über den Verdacht berichtet (hier geht’s hin) – und damit viel Wirbel ausgelöst. Bei der Redaktion gemeldet hat sich auch das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz, das für die jüngste Erhebung – in deren Rahmen der Kita- und Schulbetrieb für praktisch sicher erklärt wird – verantwortlich zeichnet. Der Mailverkehr, die Details der Studie und die Hintergründe sind erhellend.

“Die ergriffenen Maßnahmen wirken”: Das Landesgesundheitsamt Rheinland-Pfalz hält den Schulbetrieb nach wie vor für wenig belastet. Foto: Shutterstock

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und ihre Bildungsministerin Stefanie Hubig (beide SPD) haben, so scheint es, einen Nebenjob. Sie sind als Pressesprecherinnen für das Landesuntersuchungsamt (LUA) Rheinland-Pfalz tätig. Das kann jedenfalls nicht anders sein, wenn stimmt, worauf das LUA gegenüber News4teachers beharrt: nämlich dass – anders als berichtet – seine Studienreihe zum Schul- und Kitabetrieb nicht im Auftrag des Bildungsministeriums erfolgt sei. Die Behauptung von News4teachers sei „rufschädigend“, so heißt es in einer Mail einer LUA-Sprecherin an die Redaktion. Wörtlich: „Sowohl die Surveillance als auch die wissenschaftliche Auswertung werden in eigener Zuständigkeit, im Einvernehmen mit der Amtsleitung des LUA und mit dem Gesundheitsministerium, aber ohne Beauftragung durch Dritte durchgeführt.“

Am 15. November 2020 verkündeten Dreyer und Hubig allerdings die ersten Ergebnisse der LUA-Studienreihe. So berichtete die Deutsche Presseagentur unter Berufung auf die beiden, dass seit Ende der Sommerferien das LUA auf Basis der Meldungen der Gesundheitsämter in einer «Secondary Attack Rate in Schools Surveillance» untersuche, wie hoch dort die Ansteckungsgefahr in Schulen ist. «Das Ergebnis: Sehr gering», so erklärten Dreyer und Hubig dazu damals gemeinsam. Wie Auftraggeberinnen. Oder Pressesprecherinnen eben.

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Auch das Datum der seinerzeitigen Veröffentlichung – ein Tag vor dem Bund-Länder-Gipfel, in dem über Schulöffnungen verhandelt werden sollte – sei vom LUA festgelegt worden, so heißt es in einer weiteren Mail eines Mitglieds der „Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit“ des Amtes an die Redaktion. Wörtlich: „Den Zeitpunkt der Veröffentlichung haben wir selbst gewählt.“

“Der Forscher konnte in den vergangenen Monaten in den Schulen keinen entscheidenden Anstieg von Covid-19-Fällen beobachten”

Passte offenbar gerade gut. Die 16 Ministerpräsidenten beschlossen dann auch, wie von Dreyer und Hubig gewünscht, sich dem Drängen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Beschränkungen des Schul- und Kitabetriebs zu widersetzen. Die Virologin Prof. Melanie Brinkmann hat vorgerechnet, dass die von den Bundesländern verweigerten Kita- und Schulschließungen sowie die insgesamt unzureichenden Kontaktbeschränkungen im Herbst 30.000 Menschen in Deutschland das Leben gekostet haben.

Das ficht das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz aber nicht an. Am vergangenen Montag – wiederum kurz vor einem Bund-Länder-Gipfel, auf dem es um Schulen geht (nämlich dem heutigen, bei dem über weitere Schulöffnungen beraten werden soll) – veröffentlichte das LUA, diesmal ohne öffentliche Mitwirkung von Hubig und Dreyer, neue Studienergebnisse aus dem Zeitraum September bis Dezember. „Lehrer werden nicht von Schülern angesteckt!“ – so lautet eine angeblich daraus zu ziehende Erkenntnis, publikumswirksam verkündet via „Bild“-Zeitung, die seit Monaten mit allen Mitteln für offene Schulen und Kitas trommelt („Erzieherin packt aus – Kita-Schließung führt zu Missbrauch und Gewalt“).

„Bild“ sprach mit dem Studienleiter, dem Epidemiologen und Abteilungsleiter im Landesuntersuchungsamt Prof. Dr. Philipp Zanger. Ergebnis: „Der Forscher konnte in den vergangenen Monaten in den Schulen keinen entscheidenden Anstieg von Covid-19-Fällen beobachten. Zanger: ‚Es gab keine Riesenexplosionen in den Schulen.‘ Und das, so der Experte, obwohl die Kinder in den Klassen im Herbst ohne Masken und in vollen Klassenzimmern unterrichtet wurden. Zanger: ‚Erst ab November 2020 trugen die Schüler in Rheinland-Pfalz im Unterricht Masken.‘ Fazit des Wissenschaftlers: Wenn Hygieneregeln beachtet werden, ist Schule auch während der Pandemie möglich.“

Bemerkenswert: Erst in der vergangenen Woche ist ein Bericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) erschienen, der durchaus einen Anstieg des Infektionsgeschehens in den Schulen parallel zur sich zuspitzenden Corona-Krise feststellt – und: Das höchste Infektionsrisiko tragen laut RKI dabei Lehrkräfte. Aus diesem Grund wurden Grundschullehrerinnen und -lehrer ja auch in der Impfpriorität vorgezogen.

Wer immer grobmaschiger testet, findet auch weniger, selbst wenn das Infektionsgeschehen zunimmt

Wie kommt das Landesuntersuchungsamt zu seinem gegenteiligen Befund? „Insgesamt flossen bislang Informationen zu 784 voneinander unabhängigen COVID-19-Erstfällen (sog. ‚Indexfälle‘) an Schulen und Kitas in die Untersuchung ein. Diese 784 Indexfälle verursachten insgesamt 329 Folgefälle, was durchschnittlich 0,42 Folgefällen pro Indexfall entspricht“, so heißt es in einer Pressemitteilung.

Und weiter: „Für 441 der 784 Indexfälle waren neben den Informationen zu Folgefällen auch genaue Angaben über die Zahl der Kontaktpersonen sowie die Anzahl der PCR-Untersuchungen unter den Kontaktpersonen verfügbar. Bezieht man diese detaillierten Informationen in die Betrachtung mit ein, ergibt sich folgendes Bild: 360 dieser 441 Indexfälle (82 Prozent) führten zu keinem Folgefall, während 81 Indexfälle zu insgesamt 196 Folgefällen führten. Mit Bezug auf die insgesamt 14.591 Kontaktpersonen mit hohem Infektionsrisiko (sog. Kontaktpersonen der Kategorie I) ergibt sich daraus ein Übertragungsrisiko von durchschnittlich 1,3 Prozent beim Auftreten eines laborbestätigten COVID-19-Falles in rheinland-pfälzischen Schulen und Kitas zwischen September und Dezember 2020. Das bedeutet, dass sich von 100 engen Kontaktpersonen im Schnitt etwa 1-2 Personen infizierten.“

Das gilt allerdings nur unter Vorbehalt. „Die Studie nutzt Corona-Daten aus dem offiziellen Meldewesen für Infektionskrankheiten, ergänzt um Erkenntnisse aus der Kontaktnachverfolgung durch die rheinland-pfälzischen Gesundheitsämter“, so ist in der Pressemitteilung zu lesen. Reihenuntersuchungen in den Kitas und Schulen, in deren Rahmen alle Kinder und Schüler von betroffenen Einrichtungen getestet wurden, hat es demnach nicht gegeben – auch stichprobenartig nicht. Lediglich „institutional high-risk contacts“, Kontaktpersonen der Kategorie 1 eben, so heißt es in der englischsprachigen Kurzfassung der Studie, wurden getestet. Und das sind wohl nur die Schüler und Lehrer, die dann auch in Quarantäne geschickt wurden.

Das Problem mit diesen Daten: Mit zunehmendem Infektionsgeschehen wurden die Quarantäneregeln für Schüler und Lehrer immer stärker gelockert – auch in Rheinland-Pfalz. „Das Tragen einer Maske während des Unterrichts führt dazu, dass die Schulklasse nicht komplett in die Kategorie ‚Kontaktperson 1‘ eingeordnet wird“, so bestätigte im November das Gesundheitsamt Mainz gegenüber dem „Tagespiegel“. „Nur einzelne Personen aus der unmittelbaren Umgebung ‚zum Beispiel der Sitznachbar‘ müssen demnach in Quarantäne.“

Wer immer grobmaschiger testet, findet auch weniger, selbst wenn das Infektionsgeschehen zunimmt. Gerade unter Kindern und Jugendlichen, die bei Corona häufig keine Symptome zeigen, bleiben so viele Infektionen unerkannt. Eine Studie des Helmholtz Zentrums München war schon im Oktober zu dem Ergebnis gekommen, dass sechsmal mehr Kinder in Bayern mit SARS-CoV-2 infiziert waren als gemeldet, wie News4teachers berichtete.

Was ist mit der angeblichen Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter, auf die sich das LUA zusätzlich beruft? Auch hier gilt: Je höher das Infektionsgeschehen ist, desto unsicherer wird die Datenlage.

Bereits auf der Pressekonferenz der Bundeskanzlerin am 28. Oktober 2020 war erklärt worden, dass 75 Prozent der Infektionen von den Gesundheitsämtern in Deutschland nicht nachvollzogen werden können. „Die Gesundheitsämter in Rheinland-Pfalz kommen bei der Nachverfolgung von Corona-Kontakten kaum hinterher“, so berichtete die „Allgemeine Zeitung“ Anfang November. Von diesen Problemen bei der Datensammlung (und den sich daraus ergebenden Folgen für die Validität der Ergebnisse) ist beim Landesuntersuchungsamt aber nichts zu hören. Die Studie geht mit keinem Wort darauf ein. Stattdessen wird in der Veröffentlichung die Corona-Politik für Kitas und Schulen über den Klee gelobt: „Dieses vergleichsweise niedrige Risiko spricht dafür, dass die bislang ergriffenen Maßnahmen wirken.“

„Das Ministerium hat Sie bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass diese Studie keine Auftragsarbeit ist”

Ein Muster ist erkennbar. Pünktlich vor jedem Bund-Länder-Gipfel, der sich intensiv mit Kitas und Schulen befasst, wird in einem Bundesland mit SPD-geführtem Bildungsministerium eine ähnlich zugeschnittene Studie wie die des Landesuntersuchungsamtes herausgebracht: am 15. November in Rheinland-Pfalz, am 19. November in Hamburg, am 14. Januar in Mecklenburg-Vorpommern, am 1. März dann wieder in Rheinland-Pfalz. Eine abgesprochene Kampagne – oder Zufall? „Das Ministerium hat Sie bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass diese Studie keine Auftragsarbeit ist. Korrigiert haben Sie Ihre Falschaussage aber nicht“, so schreibt die Pressesprecherin des Landesuntersuchungsamtes an die Redaktion.

Woher kennt die LUA-Sprecherin die (angebliche) Kommunikation zwischen Bildungsministerium und News4teachers, wenn es keine enge Abstimmung zwischen den Pressestellen über die Untersuchung gibt? Sicher auch nur Zufall… News4teachers

Reaktionen

News4teachers hat am Montag in einem Beitrag die Frage aufgeworfen, ob SPD-Kultusminister versuchen, mit gedrechselten Zahlen vor jedem Bund-Länder-Gipfel Stimmung gegen Schulschließungen zu machen? Der “Spiegel” berichtet über den Verdacht – und darüber, dass die angesprochenen Bildungsministerien von Rheinland-Pfalz, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern eine Kampagne entschieden zurückweisen.

Zwar würden sich die Kultusminister der Länder bei Anlässen wie der Kultusministerkonferenz austauschen. Absprachen, bewusst vor den Bund-Länder-Gipfeln mit Studien an die Öffentlichkeit zu gehen, gebe es aber nicht. Der Bericht sei “schwer auszuhalten”, sagte der Pressesprecher des Bildungsministeriums in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem “Spiegel” – hier geht es hin.

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