MAINZ. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und ihre Bildungsministerin Stefanie Hubig (beide SPD) haben an einer Realschule in Mainz die Selbsttests von Schülern einer 6. Klasse medienwirksam begleitet – und damit ein PR-Debakel erlebt. In Dutzenden von Beiträgen auf Twitter werden die Politikerinnen heftig für die Aktion kritisiert. Tatsächlich stimmt wenig an dem Setting im Klassenraum. „Für die eigene Profilierung riskieren Hubig und Dreyer das Leben und die Gesundheit von Kindern. Menschenverachtender geht’s nicht!“, meint ein Kommentator. Wir dokumentieren den denkwürdigen Termin.
Tweet der Landesregierung Rheinland-Pfalz: „Unter Anleitung von Lehrkräften führen Schüler/innen Corona-Selbsttests durch, die RLP Schulen kostenlos zur Verfügung stellt. Wie schnell und einfach das geht, haben Sechstklässler in Mainz Ministerpräsidentin Malu #Dreyer & @Bildung_RLP-Ministerin Stefanie Hubig vorgemacht.“
Dazu wird ein Film mit folgender Handlung präsentiert:
Frau (vermutlich Lehrerin): „Ihr dürft die Maske ein bisschen herunternehmen, sodass die Nase freiliegt. Geht in das erste Nasenloch und rührt schön um.“
(Kameraschwenk in den Klassenraum: Eine Schülerin hat die Maske komplett abgelegt, bei einer anderen rutscht sie unter das Kinn)
Mann (vermutlich der Schulleiter): „Zwei Zentimeter – und wir zählen laut mit: eins, zwei, … zwölf, gut.“
Schüler hustet.
Frau: „Jetzt das andere Nasenloch – und das Gleiche nochmal.“
Mann: „Eins, zwei, drei…“ (Kinder zählen laut mit)
Schülerin niest.
Dreyer und Hubig lachen. Hubig: „Gesundheit!“
Schüler hustet.
Frau: „Jetzt zieht ihr die Maske bitte wieder über die Nase und der Tupfer kommt jetzt in das Röhrchen, in die Flüssigkeit und ihr müsst darin jetzt gut umrühren.“
Mann (geht durch die Reihen, beugt sich zu den Schülern und checkt deren Testergebnisse, ohne sie den Schülern zu zeigen): „Wir gucken normalerweise zuerst, bevor die Kinder in Ohnmacht fallen.“
Dreyer: „Ich muss auch immer niesen (lacht). Das löst bei manchen Leuten so’n Niesreflex aus.“
Schülerin: „Oder Tränen.“
Hubig: „Ja genau, ich hab‘ Tränen in den Augen.“
Dreyer: „Aber es ist so eine Erleichterung im Vergleich zu früher.“
Hubig: „Habt ihr den auch schon mal gemacht, den PCR-Test?“
Schülerin: „Ja, wir mussten.“
Hubig (erstaunt): „Alle schon? Ah, ihr kennt sowas schon.“
Mann: „So, jetzt sind wir bei fünf, sechs Minuten. Haben schon mal geschaut.“ Zu den Schülern: „Jetzt dürft ihr. Und?“
Schüler: „Negativ“.
Mann: „Klasse.“
Der Film erntet Dutzende von Posts als Reaktionen, darunter:
„Lieber Gott – im Testkonzept des Landes stehen klar 3 Meter Abstand bei Abnahme der Maske. Das gilt auch nach hinten und vor allem nach vorne (!!) – noch dazu, wenn man dabei laut zählt. (Hätte ja gelangt, wenn der Lehrer zählt, oder?) Welch eine PR …“
#Dreyer (@rlpNews) & #Hubig (@Bildung_RLP) mit Presse + TV in der Anne-Frank-Realschule in Mainz beim Testen in einer Schulklasse: Alle ziehen die Masken runter! SuS husten und niesen! Nach 5-6 min alle negativ – dabei gibt es valide Ergebnisse erst nach 15 min!!!
H/T @dieBina4 pic.twitter.com/mqKWht8Asf— ≡ (@dm_ms) April 8, 2021
„Sie sehen hier eine Hochrisikosituation. Alle Schüler*innen haben die Masken abgesetzt und sprechen laut – Aerosole verteilen sich im gesamten Raum. Sollte nur eine Person B1.1.7 haben, haben sich anschließend alle angesteckt. Ist das wirklich Euer Konzept?“
„Wie dumm ist das bitte, dass auch noch alle laut mitzählend ihre Aerosole schön in den Raum versprühen?! Und das postet ihr noch voller Stolz?! Nee, macht ihr toll, echt. Hallo?! Ist da nicht eine einzige Person bei euch im Ministerium noch bei Verstand?“
„So sieht übrigens die Fensterseite des Klassenzimmers aus, in dem gerade die Scharade stattfand. Ich sehe ein Fenster ganz hinten halb geöffnet. Es ist unfassbar, was nach mehr als einem Jahr Pandemie selbst bei einer solchen gestellten Presseveranstaltung alles verbockt wird.“
So sieht übrigens die Fensterseite des Klassenzimmers aus, in dem gerade die Scharade stattfand. Ich sehe ein Fenster ganz hinten halb geöffnet. Es ist unfassbar, was nach mehr als einem Jahr Pandemie selbst bei einer solchen gestellten Presseveranstaltung alles verbockt wird. pic.twitter.com/c5IKObYuiF
— ≡ (@dm_ms) April 8, 2021
„Wo werden die nach 5-6 min (noch) negativen Tests eigentlich entsorgt? Frage für einen Freund.“
„Vermutlich in den gleichen normalen, offenen Mülleimer, in den die Verpackungsmaterialien entsorgt wurden (Foto aus dem Film zeigt Lehrerin, die mit einem offenen Eimer durch die Klasse geht, d. Red.). Bestimmt wissen die Reinigungskräfte auch alle ganz genau, wie mit dem Müll sicher umzugehen ist.“
„Ich bin an dem Punkt angekommen: Es hilft nur noch verklagen. Hier wird aus Dummheit die ganze Klasse infiziert.”
Dann: Pressestatement auf dem Schulhof (zu sehen auf Welt.de):
Dreyer spricht in die Mikrophone: „Ich konnte mich heute mit der Bildungsministerin zusammen nochmal vor Ort überzeugen, dass das auch reibungslos in unseren Schulen funktioniert. Nicht nur die Schule hat es sehr gut angenommen, mit dem Schulleiter und den Lehrerinnen und Lehrern, sondern auch die Schülerinnen und Schüler, die einfach diesen Selbsttest machen unter Anleitung und ich war wirklich angetan auch nochmal davon, mit welcher Selbstverständlichkeit die Schülerinnen und Schüler diesen Test machen und auch von sich aus äußern, wie wichtig sie es finden, dass sie den Test machen. Insofern denke ich, sind wir da auf dem richtigen Weg.“
Hubig zu den Journalisten: „Sie wissen, wie wichtig mir der Präsenzunterricht ist und das sind auch die Rückmeldungen, die wir bekommen von den Schülerinnen und Schülern, dass sie froh sind, wieder in der Schule sein zu können. Und ich glaube, dass das Testen dazu ein guter, wichtiger Beitrag ist. Ich kann nur an alle appellieren, dass sie sich testen lassen. Es ist wichtig, dass wir in den Schulen mehr Sicherheit nochmal dazubekommen, und ich bin froh, dass es eben so wie hier gut klappt. Das wird sich auch nach einiger Zeit einspielen, das ist am Anfang immer etwas Neues, etwas Ungewohntes, aber ich sehe, wie engagiert viele Schulen diese Aufgabe annehmen.“
Angesprochen auf die Sorgen von Lehrer- und Elternverbänden angesichts des Test-Procederes in den Schulen, sagt Hubig:
„Es ist eine neue Aufgabe, natürlich auch eine besondere Aufgabe, aber wir sehen, dass es an sehr sehr vielen Schulen sehr gut klappt, das wird sich einspielen müssen, und wir nehmen natürlich auch die Erfahrung, die wir jetzt von den Schulen zurückgespiegelt bekommen, die wir auch von den Verbänden hören, von den Hauptpersonalräten, die nehmen wir natürlich auf und es ist klar, ein Testkonzept, das jetzt auch sehr schnell entstanden ist, weil wir schnell testen wollen, weil wir schnell diese Dinge umsetzen wollen, kann auch immer wieder überarbeitet und ergänzt werden. Das ist klar in diesen Zeiten, so arbeiten wir seit einem Jahr und das tun wir sehr gut und sehr zuverlässig.“
Reaktionen auf Twitter:
„Propaganda. Auch wenn ich das Wort eigentlich nicht verwenden möchte. Viell. besser: Werbung. Verharmlosung. In Sicherheit wiegen. Beschwichtigen. SuS haben alle sinngemäß das Gleiche gesagt: ‚Nicht schlimm. Alle machen mit. Gutes Gefühl. Sicherheit. Man steckt keinen mehr an.‘“
„Über 1 Jahr Pandemie und man muss so Videos sehen, ich kann das alles nicht mehr glauben und vor allem kann ich keinen mehr ernst nehmen von diesen Pappnasen von MP’s. Einfach lächerlich und das wird auch noch als super toll verkauft…“
„Das ist nicht ihr Ernst Fr. Dreyer und Hubig. Grob fahrlässig und Verharmlosung auf höchstem Niveau! Sie sollen zur Vorsicht aufrufen und über Aerosole und das Restrisiko der Selbsttests aufklären, nicht herunterspielen.“ News4teachers

