BERLIN. Das Schuljahr geht so langsam zu Ende. Die ersten Bundesländer starten in einer Woche in die Sommerferien. Danach soll es an den Schulen nach dem Willen der Kultusminister wieder möglichst normal weitergehen. Aber wird das zu halten sein? Die Politiker bauen schon mal vor: Der Schulbetrieb soll von Inzidenzwerten abgekoppelt werden. Der VBE und die GEW fordern die Politik auf, endlich in Luftfilter für Bildungseinrichtungen zu investieren.
Die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) blickt zuversichtlich auf das neue Schuljahr. «Unser Wunsch ist: Das Schuljahr soll mit so viel Normalität wie möglich starten. Das bedeutet, dass wir von einem regelhaften Präsenzunterricht in allen Fächern und allen Jahrgängen ausgehen», sagte die derzeitige Präsidentin und brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) am Freitag nach dem Ende der Beratungen mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ländern bei einer Online-Pressekonferenz.
Es gebe die klare Perspektive, dass der Schulbetrieb im neuen Schuljahr mit allen Aspekten wieder aufgenommen werden könne, einschließlich Klassenfahrten, Exkursionen oder AGs, sagte der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU). Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) sagte, die KMK sei ihrer Linie treu geblieben und sage sehr klar, dass Präsenzunterricht durch andere Varianten des Lernens nicht zu ersetzen sei.
Die Ministerinnen und Minister hatten bei ihrer Videokonferenz bereits am Donnerstag vereinbart, dass alle Schulen nach den Sommerferien «dauerhaft im Regelbetrieb (…) mit allen Schulfächern und Unterrichtsstunden» besucht werden sollen. Regelbetrieb bedeute, dass Unterricht in der Schule ohne weitere Einschränkungen erteilt und das schulische Leben wieder ermöglicht werde, heißt es in einem Beschluss. Auch außerschulische Angebote wie Schulfahrten würden wieder in «vollem Umfang» ermöglicht. Maßnahmen wie eine Maskenpflicht oder Tests werden allerdings nicht ausgeschlossen.
«Deutschland ist weit entfernt von den Zuständen, die wir vor einem Jahr nach den Sommerferien hatten»
Natürlich wolle man irgendwann wieder Unterricht ohne Masken und Tests, sagte Lorz. Dieses «Arsenal» an Sicherheitsmaßnahmen müsse man sich aber vorbehalten, fügte er mit Blick auf die unklare Entwicklung in der Pandemie hinzu. Rabe sieht Deutschland «weit entfernt von den Zuständen, die wir vor einem Jahr nach den Sommerferien hatten». Er verwies auf den Impffortschritt und die eingespielten Hygienemaßnahmen mit Masken und Tests.
Auch vor einem Jahr im Sommer hatten Kultusminister und Bildungspolitiker allerdings schon versichert, dass es möglichst nicht noch einmal zu Schulschließungen wie zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 kommen solle. Im Dezember war es schließlich angesichts der stark steigenden Infektionszahlen dann aber doch wieder soweit. Hunderte von Ausbrüchen in Kitas und Schulen hatte das Robert-Koch-Institut bis dahin gezählt. Und diesmal dauerten die Schließungen sogar noch länger.
KMK-Präsidentin Britta Ernst sieht im Vergleich zum Vorjahr aber eine andere Situation. Nach den Ferien werde ein großer Teil der Lehrkräfte zweimal geimpft sein, sagte sie und plädierte zudem dafür, Erkenntnisse über die Folgen von Schulschließungen für Kinder und Jugendliche bei einer möglichen vierten Welle zu berücksichtigen. «Und das bedeutet, dass die Schule so lange es geht geöffnet bleibt.» Dass – andererseits – die allermeisten Kinder und Jugendlichen nicht geimpft sein werden, dass Gesundheitsschutzmaßnahmen wie Luftfilter bis heute in Klassenräumen fehlen und dass Wissenschaftler Sorge davor haben, dass Mutationen (wie akutell in Großbritannien) sich ausbreiten und dann insbesondere in Kitas und Schulen freie Bahn haben, erwähnte Ernst nicht.
Sie sprach sich trotzdem, wie auch Rabe, dafür aus, die Frage von Schulschließungen und Öffnungen nicht an die Ansteckungszahlen in der Gesamtbevölkerung (Inzidenz) zu koppeln. «Wenn jetzt die tatsächlich gefährdeten Gruppen stark geimpft sind, dann trügt der Inzidenzwert, indem er eine Gefahr suggeriert, die möglicherweise in dem Maße nach heutigen Maßstäben nicht mehr existiert», sagte Rabe. Deswegen sei der Inzidenzwert zunehmend zu hinterfragen. In der öffentlichen Diskussion müssten weitere Parameter in den Blick genommen werden. Welche, das blieb offen.
Die gesetzliche Voraussetzung, die Kitas und Schulen um jeden Preis offenzuhalten, sind mit dem angekündigten Auslaufen der Bundesnotbremse zum 30. Juni (die bislang den Ländern Schulschließungen ab einem Inzidenzwert von 165 vorschrieb) gegeben. Die KMK selbst hat bereits im März beschlossen – bei damals noch hohem Infektionsgeschehen also -, die Inzidenzwerte weniger beachten zu wollen, wie News4teachers berichtete. Damit wären auch die nach wie vor gültigen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts hinfällig, die die Abstandsregel im Klassenraum und, damit verbunden, Wechselunterricht ab einem Inzidenzwert von 50 vorsehen.
«Es ist schwer vorstellbar, dass sich das Infektionsgeschehen von dem KMK-Beschluss beeindrucken lässt»
Von der Bildungsgewerkschaft VBE kam Kritik. «Es ist schwer vorstellbar, dass sich das Infektionsgeschehen davon beeindrucken lässt, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) die Pandemie anscheinend für beendet erklärt», sagte VBE-Chef Udo Beckmann. Die KMK bleibe die Frage schuldig, welche Maßnahmen sie vorbereitet, wenn die Inzidenzen im Herbst doch wieder steigen sollten. Die Möglichkeit einer vierten Welle werde einfach ignoriert.
Beckmann forderte den Einbau von Luftfilteranlagen in den Schulen, der sogar staatlich gefördert würde. «Anstatt jedoch vom einmal vereinbarten Standpunkt, dass dies nichts bringe, abzurücken, wird weiter darauf beharrt, dass das Lüften ausreichend ist. Gerade bei den warmen Temperaturen momentan zeigt sich aber, dass der Luftaustausch kaum stattfindet. Nichts umsonst heißt es an heißen Sommertagen ‚Die Luft steht.‘ Zudem könnten diese Systeme auch langfristig dabei helfen, nicht nur Corona-, sondern alle Arten von Erkältungsviren zu vermindern. Das hilft der ganzen Schulfamilie.»
Auch die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Maike Finnern, hatte die Bundesländer dazu aufgefordert, die Zeit bis nach den Sommerferien zu nutzen, um in Luftfilteranlagen in den Schulen zu investieren. Immer mehr Elterninitiativen greifen die Forderung auf. Die KMK erwähnt das Thema nicht einmal. News4teachers / mit Material der dpa
Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 10. Juni 2021:
- Schülerinnen und Schüler blicken auf viele Monate mit eingeschränktem Schulbetrieb und stark reduzierten sozialen Kontakten zurück. Sie, ihre Eltern sowie die Schulleitungen, Lehrkräfte und alle an den Schulen Beschäftigten haben in dieser Zeit Großes geleistet und viel dazu beigetragen, den Unterricht unter schwierigen Bedingungen in neuen Formaten zu ermöglichen. Schülerinnen und Schüler mussten im Rahmen der Eindämmung der Pandemie besonders große Lasten tragen, indem sie – phasenweise und regional verschieden – keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu ihrer Schule als einem zentralen Ort des Lernens und des sozialen Miteinanders hatten.
- Das Infektionsgeschehen hat sich in den vergangenen Wochen positiv entwickelt. Dabei – so auch das Robert Koch Institut – geht von Kindern und Jugendlichen keine treibende Kraft in der aktuellen Situation aus. Ein großer Teil der Bevölkerung hat zudem bereits mindestens eine Impfung erhalten, zum Beginn des neuen Schuljahres werden viele bereits zwei Mal geimpft sein. Auch der Schulbetrieb wird dadurch sicherer.
- Die Kultusministerkonferenz ist der gemeinsamen Überzeugung, dass der Präsenzunterricht in seiner ganzen Breite die notwendige Grundlage erfolgreichen Lehrens und Lernens ist. Die Kultusministerkonferenz ist sich deshalb darin einig, dass alle Schulen mit Beginn des neuen Schuljahrs 2021/22 dauerhaft im Regelbetrieb (regulärer Schulbetrieb mit allen Schulfächern und Unterrichtsstunden) besucht werden.
- Schulischer Regelbetrieb bedeutet, dass der Unterricht in der Schule ohne weitere Einschränkungen erteilt und das schulische Leben wieder ermöglicht wird, unter Beachtung der je nach Infektionsgeschehen geltenden Infektionsschutz- und Hygienemaßnahmen.
- Vollständiger Präsenzunterricht mit allen damit verbundenen Möglichkeiten ist zugleich eine zentrale Voraussetzung, um die vielfältigen geplanten Unterstützungsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche wirksam einzusetzen.
- Auch schulische und außerschulische Angebote, die das soziale Miteinander fördern, werden grundsätzlich wieder in vollem Umfang ermöglicht. Dazu zählen insbesondere die Einbeziehung außerschulischer Lernorte, Kooperationen mit externen Partnerinnen und Partnern (beispielsweise in den Bereichen Sport, Kultur sowie künstlerische und ästhetische Bildung) sowie Schulfahrten oder Austauschmaßnahmen. Ganztagsschulische Bildung und Betreuung finden statt.
- Schülerinnen und Schüler, die im nächsten Jahr einen Schulabschluss absolvieren, sind durch die Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie besonders betroffen. Die Kultusministerkonferenz wird – wie schon 2020 und 2021 – für diese Schülerinnen und Schüler angemessene Regelungen finden, um ihnen beim Schulabschluss keine Nachteile entstehen zu lassen.
- Der Regelbetrieb ist nicht an individuelle Impfungen von Schülerinnen und Schülern bzw. Impfquoten geknüpft. Zugleich ist aber bei entsprechenden Empfehlungen der Ständigen Impfkommission und entsprechenden altersbezogenen Zulassungen für Kinder und Jugendliche, die bzw. deren Sorgeberechtigte es wünschen, ein Impfangebot zu unterbreiten bzw. sind diese gleichberechtigt in die Bedarfsberechnungen zur Beschaffung von Impfstoff einzubeziehen.
- Die gut eingespielten und bewährten Infektionsschutz- sowie Hygienemaßnahmen und -konzepte für Schulen leisten einen wesentlichen Beitrag für einen sicheren Schulbetrieb in voller Präsenz. Die Pflicht zum Tragen medizinischer Masken, wo Abstände in Innenräumen nicht eingehalten werden können, und die Teststrategien sind ebenso wie konsequentes Lüften daher auch im neuen Schuljahr unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens in Betracht zu ziehen.