BERLIN. Die GEW ruft Lehrkräfte an 28 ausgewählten Schulen in Berlin für den 6. Oktober zu einem ganztägigen Warnstreik auf. Die Gewerkschaft fordert den Abschluss eines Tarifvertrages zum Gesundheitsschutz, in dem das Verhältnis von Schülerzahl zu Lehrkräften und damit die Klassengröße verbindlich geregelt wird. „Das Ziel ist, in diesem Tarifvertrag eine Verkleinerung der Klassen festzuschreiben und so durch eine geringere Arbeitsbelastung zum Gesundheitsschutz der Lehrkräfte beizutragen“, erklärte Anne Albers, Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik in der Berliner GEW.
Im Juni hatte die GEW Finanzsenator Matthias Kollatz und Bildungssenatorin Sandra Scheeres (beide SPD) dazu aufgefordert, Tarifverhandlungen über einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz aufzunehmen. „Der Finanzsenator hat unsere Aufforderung, in Tarifverhandlungen einzutreten, abgelehnt. Daher bleibt als nächster Schritt nur die Möglichkeit, mit einem Warnstreik Druck auf den Arbeitgeber auszuüben“, sagte der Leiter des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik, Udo Mertens.
„Uns ist bewusst, dass der Unterrichtsausfall der letzten Monate durch Corona für die Familien eine enorme Belastung war. Daher haben wir auch nur einen Teil der Lehrkräfte zum Streik aufgerufen, um die Belastungen in Grenzen zu halten. Wir bitten alle Eltern um Unterstützung und Solidarität – auch ihre Kinder werden von kleineren Klassen profitieren“, betonte der Landesvorsitzende der GEW, Tom Erdmann.
Die Demonstration am 6. Oktober findet als Fahrraddemonstration statt. Der Demonstrationszug startet ab 10 Uhr am Oranienplatz in Kreuzberg und führt entlang der Parteizentralen von Grünen, FDP, Linken und SPD. Abschlusskundgebung ist gegen 11:15 Uhr auf dem Max-Josef-Metzger-Platz im Wedding. Die GEW erhofft sich von diesem ersten Warnstreik auch ein Signal in Richtung der anstehenden Koalitionsverhandlungen.
„Weniger Lärm, weniger Vor- und Nachbereitung, weniger Korrekturaufwand – Entlastung entsteht durch kleinere Lerngruppen“
Bereits im Juni hatte die Gewerkschaft das „Tarifprojekt Gesundheitsschutz“ angekündigt. „Weniger Lärm, weniger Vor- und Nachbereitung, weniger Korrekturaufwand – Entlastung entsteht durch kleinere Lerngruppen, das sagt die Praxiserfahrung der Kolleg*innen“, erklärte Anne Albers seinerzeit. „In kleineren Klassen bleibt mehr Zeit für die Kernaufgaben von Lehrer*innen: Unterricht, Beziehungsarbeit, individualisierte Förderung“, unterstrich sie laut damaliger Pressemitteilung.
Eine Befragung unter mehr als 2.000 angestellten Lehrkräften an Berliner Schulen aus dem Januar hatte zuvor unterstrichen, dass die Klassengröße aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer die wirksamste Stellschraube bei der Senkung der Arbeitsbelastung ist.
Konkrete Ergebnisse: Lehrkräfte nehmen „große Lerngruppen“ mit 67,9 Prozent Zustimmung als wichtigsten Belastungsfaktor wahr, weit vor Personalmangel (46,6 Prozent), schlechter technischer Ausstattung (45,5 Prozent) oder Lärm (45,1 Prozent). Als wichtigste Potenziale kleiner Klassen nennen die Lehrkräfte „mehr Zeit für Beziehungsarbeit für jede*n Schüler*in«“ (87,1 Prozent), „mehr Zeit für individuelle Förderung“ (85,6 Prozent), „mehr Zeit für Differenzierung“ (73,2 Prozent), dann erst folgt „weniger Korrekturaufwand“ (61,8 Prozent). „Dieses sind auch zentrale Merkmale eines guten, binnendifferenzierten Unterrichts in der inklusiven Schule und einer zeitgemäßen schüler*innenorientierten Didaktik“, betonte Albers.
Sie fasste die Ergebnisse der Untersuchung so zusammen: „Lehrer*innen wollen die Entlastung durch kleinere Klassen, um ihren Job gut machen zu können. Am besten geht das in kleineren Lerngruppen, die für mehr Arbeitszufriedenheit sorgen und mit weniger Lärm und geringerer psychischer Belastung einhergehen. Sie leisten einen großen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz von Lehrer*innen“.
Bisher wird das Verhältnis von Schülerzahl zu Lehrkräften in Verwaltungsvorschriften einseitig vom Arbeitgeber festgelegt
Udo Mertens, zusammen mit Albers Leiter des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik, betonte: „Ein Tarifvertrag, mit dem wir das Verhältnis von Schüler*innen zu Lehrkräften regeln, wäre ein bundesweites Novum und ein grundlegender Paradigmenwechsel.“ Bisher wird das Verhältnis von Schülerzahl zu Lehrkräften in Verwaltungsvorschriften einseitig vom Arbeitgeber festgelegt. „Gewerkschaften sind aber bei Tarifbeschäftigten anders als bei Beamt*innen nicht darauf beschränkt, nur die Folgen einer verfehlten Bildungspolitik zu kritisieren, sie können auch vorbeugend Arbeitsentlastungen in Tarifverträgen regeln. Genau das wollen wir hier erreichen.“
Mertens unterstrich: „Unser Tarifprojekt fordert, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Gute Arbeitsbedingungen in Tarifverträgen festzuschreiben. Durch bessere Lernbedingungen würden alle profitieren: Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern.“
Wenn bis nach den Sommerferien keine Reaktion von Kollatz und Scheeres erfolgt sei, werde es zu Aktionen kommen. Die können durchaus schmerzhaft ausfallen: Die meisten Lehrkräfte in Berlin sind angestellt; die Bundeshauptstadt verbeamtet Lehrerinnen und Lehrer seit 2004 nicht mehr. News4teachers
Hier geht es zum Streikaufruf mit der Liste der betroffenen Schulen.
Kultusministerium: Dass kleinere Klassen besser sind, ist „subjektive Wahrnehmung“
