BERLIN. Das Problem wird schon darin deutlich, dass es dafür kein adäquates deutsches Wort zu geben scheint: Der Berliner Professor Sven Ripsas plädiert für mehr „Entrepreneurial Education“ in Schulen. Mit Bildung für mehr Unternehmergeist ist das nicht ganz präzise übersetzt: Gemeint ist die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen, die benötigt werden, um ein Unternehmen zu gründen und zu leiten – um letztlich ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Deutsche Schülerinnen und Schülern werden nicht genügend auf ein eigenständiges Leben als Wirtschaftsakteure vorbereitet. Solche und ähnliche Befunde gehören nach wie vor zum Grundrauschen, wenn es um Diskussionen um die gesellschaftlichen Aufgaben der Schule geht. Tatsächlich fremdeln viele Menschen mit den Themen „Wirtschaft“ und „Finanzen“. Ob dafür eine mangelnde schulische (Aus-)bildung, eine grundlegende gesellschaftliche Kultur oder ganz andere Faktoren verantwortlich sind, sei dahingestellt.
Ganz praktisch sind viele Verbraucherinnen und Verbraucher kaum in der Lage, die ökonomischen Folgen ihres Handelns sicher einzuschätzen und optimale Entscheidungen zu fällen. Sven Ripsas, Professor für Entrepreneurship an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin), will indes noch mehr. Er setzt sich nicht nur für mehr ökonomische Bildung ein, sondern vor allem für die Förderung eines „entrepreneurial mindsets“ in Schulen. Er plädiert für die Einführung eines Schulfachs „Wirtschaft und Entrepreneurial Education“.
Im Interview erläutert Ripsas warum Entrepeneurial Education aus seiner Sicht eine aktive Kreativitätsförderung darstellt und warum mehr Unternehmergeist nicht heißen soll, dass alle Schülerinnen und Schüler zu Kapitalisten werden:
Herr Ripsas, was genau fehlt Ihnen in der Schule?
Ripsas: “Deutschland gehört innerhalb der EU in Sachen Entrepreneurship Education zu den Schlusslichtern, da es trotz der Erfolge der sozialen Marktwirtschaft eine unerklärliche Skepsis unter Lehrer:innen gegenüber Marktprozessen gibt. Es fehlt ein positives Narrativ. In Deutschland denken viele beim Thema Entrepreneurship nur an Geld und Männer. Dabei zielt die moderne Entrepreneurship Education auf alle Schülerinnen und Schüler und hat das kreative Problemlösen als Mittelpunkt. Ökonomie, Ökologie und Digitalisierung müssen vernetzt gedacht werden. Soziale Unternehmer:innen sind genauso Vorbilder wie Technologiegründer:innen.”
Warum ist es wichtig, mehr Wirtschaft als bisher im Lehrplan zu verankern und anders als in Fächern wie „Wirtschaft, Arbeit, Technik“?
Ripsas: “Ich möchte die jungen Menschen ertüchtigen, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Unabhängigkeit ist für uns alle ein wichtiges Lebensgefühl. Nicht vom Staat oder dem Arbeitgeber abhängig zu sein, sondern das zu tun, was ich besonders mag und gut kann, eröffnet mir eine positive Lebenseinstellung und ein hohes Selbstwertgefühl. Entrepreneurship Education ist Empowerment und ermöglicht reale Teilhabe.”
Weshalb gehört das für Sie zum notwendigen Alltagswissen?
Ripsas: “95 Prozent der deutschen Bildungspolitiker:innen und bestimmt auch 95 Prozent der Medienvertreter:innen und Eltern ist der Unterschied zwischen Entrepreneur und Kapitalist unbekannt. Dabei sehen sie fast täglich, wie Menschen mit Kreativität und Idealismus und wenig Kapital Unternehmen gründen und Produkte und Dienstleistungen schaffen, von denen wir sehr häufig profitieren. Eine Unternehmensgründung ist eine Herkulesaufgabe, umso mehr, als die ökologische Nachhaltigkeit des neuen Unternehmens im Jahr 2021 eine wichtige Rolle spielt.”
Sie sind ehrenamtlicher Vorsitzender des Network for Teaching Entrepreneurship in Deutschland. Was bringen Sie Lehrerinnen und Lehrern bei?
Ripsas: “Wir helfen den Pädagog:innen, Entrepreneurship als Prozess des Entdeckens zu verstehen. Es geht nicht um Kostenreduzierung und Ausbeutung, sondern um die kreative und sparsame Nutzung von Ressourcen und neuen Technologien, darum, unseren Lebensstandard zu erhalten. Social Entrepreneurship ist dabei eine fantastische Brücke, denn hier geht es vor allem um das Gemeinwohl. Social Entrepreneurship ist genauso wichtig wie das gewinnorientierte Startup, das dann die Steuern zahlt, um Sozialunternehmen zu ermöglichen.” News4teachers / Interview: Sylke Schumann
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