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Debatte: Wie sich der Lehrermangel schnell beheben ließe – und die Lehrerausbildung verbessern

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BIELEFELD. Die Umfragen pfeifen es von den Dächern: „Deutschland braucht mehr Lehrer“. Natürlich auch Lehrerinnen. Aber selbst wenn in den Strahlen der Aprilsonne zigtausende junger Menschen wie durch ein Wunder ihr Berufsziel ändern und sich ab sofort dem Lehramtsstudium verschreiben würden, hätten wir erst in sechs Jahren mehr, vielleicht gar genug Lehrer. Wir brauchen aber sofort mehr pädagogisches Personal. Wie sich das Problem lösen ließe, skizziert unser Gastautor Prof. Dr. Rainer Dollase, em. Universität Bielefeld, im folgenden Beitrag.

Warum sollten Lehramtsstudierende nicht gleich in Schulen mitarbeiten? (Symbolbild) Foto: Shutterstock

Den Gordischen Knoten zerschlagen: Lehramtsausbildung als duales Studium

Viel Zeit ließe sich gewinnen, wenn Studium und Referendariat parallel und verzahnt organisiert würden – als „duale Lehrer(aus)bildung“. Angehende Lehrkräfte würden alle drei Monate zwischen Universität und Unterrichtspraxis wechseln, natürlich auch bezahlt (statt Semesterferien hätten sie Schulferien). Das würde den Weg in die Praxis verkürzen, die Lehrerausbildung endlich stärker an der Praxis orientieren und die Finanzierung des Studiums zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen.

Denken wir einmal über das „duale Studium für Lehrer“ nach – nicht zu verwechseln mit dem „dualen Ausbildungssystem“ für unsere Handwerker und Facharbeiter, einem besonderen highlight bundesdeutscher Bildungspolitik, das auch international Ansehen gewonnen hat. In Wikipedia heißt es: „Als duales Studium wird in Anlehnung an das duale Ausbildungssystem ein Hochschulstudium mit fest integrierten Praxiseinsätzen in Unternehmen bezeichnet. Von ‚klassischen‘ Studiengängen unterscheidet es sich durch einen höheren Praxisbezug, der abhängig von Studiengang und Hochschule variiert.“

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Jeder Abiturient hat übrigens genügend Jahre der Beobachtung von hervorragendem Lehrerverhalten hinter sich

In einer Reihe von Studiengängen gibt es so etwas wie ein duales Studium schon seit längerem (z.B. BWL, Wirtschaftsingenieurwesen, Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Tourismusmanagement, soziale Arbeit, Pflegemanagement ). Prinzipiell scheint die Idee also zu funktionieren. Man kann zum Beispiel – regional unterschiedlich – in Deutschland „Altenpfleger“ auf die folgende Art und Weise werden:

  1. Mit dem Eintritt in die Ausbildung bekommt man ein Gehalt
  2. Die Ausbildung findet im Wechsel von Theorie und Praxis statt: drei Monate Theorie, d. h. Unterricht, und anschließend drei Monate Einsatz in der Praxis.
  3. Beim Einsatz in der Praxis leistet man richtige und vor Ort notwendige Arbeit, natürlich nur die, die man auch bewältigen kann.
  4. Die praktische Arbeit, die man dort leistet, wird mit zunehmender Dauer des dualen Studiums zunehmend anspruchsvoller.

Mit dieser Art „neuartiger Ausbildung“ hätte man gleich mehrere Vorteile für die Lehrerausbildung gebündelt:

  1. Man erweitert das Personal in der Praxis um die gesamte Nachwuchsschülerschaft, die sich für den Beruf interessiert. In der Praxis halten sich während der Praxisphasen massiv mehr Menschen auf, die mithelfen können, etwa bei Individualisierung und individueller Förderung. Angehende Lehrer könnten in den Praxisphasen Fördergruppen übernehmen oder bei Lehrerexperten hospitieren und mithelfen. Wenn sie nach 3 Monaten wieder an die Uni gehen, kommen andere von der Uni – und setzen die skizzierte Arbeit fort. Jeder Abiturient hat übrigens genügend Jahre der Beobachtung von hervorragendem Lehrerverhalten hinter sich. Er wird doch wohl sinnvoll im Unterricht helfen können – oder?
  2. Man integriert auf optimale Art und Weise Theorie und Praxis – Lehrerausbildung ist gezwungen, auch im Theoriesegment, also der universitären Lehre, die Probleme der Praxis zu lösen und real wirksame Problemlösungen zu empfehlen. Dass die Uniausbildung Richtung Lehramt relativ praxisirrelevant sein könnte, ist nach einer aktuellen empirischen Untersuchung das Unangenehmste, was sich der Nachwuchs vorstellen kann (Dollase, Löchner, Felten 2022). Nach Aussage zahlreicher Hochschullehrer brechen Lehramtsstudenten ihr Studium ab, weil sie die Verbindung ihres Studiums zum Berufsziel verlieren. Das gäbe es im beschriebenen Modell nicht.
  3. Man schafft bei dem potentiellen Lehrernachwuchs einen starken Berufswahlanreiz, indem bereits die Ausbildung angemessen entlohnt wird – schon der Studierende ist eigentlich berufstätig und leistet für die Gesellschaft wesentliche, systemrelevante Arbeit.
  4. In sinnvoller Weise wäre dabei eine Integration von erster und zweiter Phase der Lehrerausbildung realisiert. Durch die ständige Verschränkung könnte das Ausbildungspersonal wesentlich größere Kapazitäten bewältigen. Zudem würde bis zum Erwerb der vollen Lehrbefähigung weniger Zeit verstreichen.

Natürlich werden jetzt viele sagen: Was bei Altenpflegern geht, kann man doch nicht so ohne weiteres auf die Lehrerausbildung übertragen! Doch, man kann es. Ob es bei diesem „drei zu drei“ Modell bleiben kann, wie man Schulferien und Semesterferien synchronisiert und koordiniert, wie man fachspezifische Besonderheiten berücksichtigt – das sind Petitessen, die Organisationsprofis, die zu schnellem und gründlichem Denken fähig sind, in kürzester Zeit lösen könnten.

Junge Menschen unterrichten zu dürfen, ist eine lebenslang spannende Tätigkeit

Nachwort: Dieses Modell würde natürlich nicht alle Probleme aus der Welt schaffen. Der Lehrberuf ist ein sehr anstrengender. Man hat mit zunehmend unreifen oder unerzogenen Kindern zu tun, mit immer anspruchsvolleren Eltern, mit Kultusbehörden, deren Anforderungslisten ständig wachsen. Aber junge Menschen unterrichten zu dürfen, ist auch eine lebenslang spannende Tätigkeit. Die Fachinhalte mögen sich hie und da wandeln – die Kinder und Jugendlichen aber bescheren einem garantiert stets neue Fragen und Erfahrungen. Und nicht selten sind diese durchaus beglückend.

Zur Person
Der Psychologie-Professor Rainer Dollase gehört zu den renommiertesten Bildungswissenschaftlern in Deutschland. Foto: privat

Der Autor Dr. Rainer Dollase war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 Professor in der Abteilung Psychologie und am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.

Die Vorschulerziehung stellte dabei einen seiner Arbeits- und Veröffentlichungsschwerpunkte dar. Später hat er sich einen Namen in der G8/G9-Debatte gemacht – als wortgewaltiger Gegner des Turbo-Abiturs.

Perspektiven der Lehrerausbildung: Wie bringen angehende Lehrkräfte das, was sie an den Unis lernen, in den Unterricht?

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