BERLIN. Die Vorschläge des Bundes für die Corona-Schutzmaßnahmen ab Herbst liegen gerade auf dem Tisch. Schon entzündet sich Kritik an ihnen. Der Deutsche Lehrerverband wundert sich, dass Grundschulen von der Möglichkeit zur Einführung einer Maskenpflicht praktisch ausgenommen sind. Und der VBE vermisst nach wie vor klare Kriterien dafür, welche Schutzmaßnahmen wann in Kitas und Schulen greifen.
Der Entwurf der Bundesregierung für das Infektionsschutzgesetz ist auf geteiltes Echo gestoßen. Dass das Konzept keine pauschalen Schließungen von Schulen vorsieht, wurde etwa von Ärztevertretern begrüßt. Von Lehrervertretern kam Zuspruch dafür, dass die Bundesländer ab Oktober an weiterführenden Schulen eine Maskenpflicht verordnen können sollen – für den Fall, dass es zu einer heftigen Infektionswelle kommt. In Richtung Regierung wurde aber auch der Vorwurf laut, dass manche der geplanten Regelungen nicht alltagstauglich seien – und Deutschland sich aufgrund der Möglichkeit für die Bundesländer, schärfere Maßnahmen zu ergreifen, wieder in einen «Flickenteppich» zu verwandeln drohe.
Das Corona-Schutzkonzept von den Bundesministerien für Gesundheit und Justiz sieht unter anderem eine bundesweite Maskenpflicht in Bus, Bahn und Flugzeugen vor. Zudem soll ab Oktober eine Masken- und Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gelten. Die Bundesländer sollen von da an auch Maskenpflichten in öffentlich zugänglichen Innenräumen verhängen und Tests in Schulen, Kitas und Einrichtungen zur Unterbringung von Asylbewerbern vorschreiben dürfen. Eine Maskenpflicht in der Schule ist nur vorgesehen, wenn sonst kein geregelter Präsenzunterricht möglich wäre – und auch dann nur ab dem fünften Schuljahr.
“Es fehlen weiterhin transparente Stufenpläne für Kitas und Schulen auf der Basis bundeseinheitlicher Kriterien“
Letzteres stößt beim Lehrerverband auf Unverständnis. Zwar sei die Möglichkeit der Maskenpflicht im Fall hoher Infektionszahlen an weiterführenden Schulen zu begrüßen, sagte Präsident des Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Warum im gleichen Fall, also zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs, eine Maskenpflicht an Grundschulen nicht angeordnet werden kann, ist allerdings absolut nicht nachvollziehbar.» Bei Grundschulen werde offensichtlich eher eine Schulschließung oder Unterrichtsausfall in Kauf genommen.
Die Bundesärztekammer hielt der Bundesregierung zugute, dass sie den Ländern pandemiebedingte Schulschließungen weiterhin verbietet. Ärztepräsident Klaus Reinhardt bemängelte gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe zugleich, dass sich das Corona-Schutzkonzept an einigen Stellen «leider noch im Vagen» halte. Unklar sei etwa, was passieren solle, wenn eine Überlastung der medizinischen Infrastruktur drohe. «Wichtig ist, dass in Zukunft im ganzen Bundesgebiet einheitliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn bestimmte, klar definierte Kriterien erfüllt sind», sagte Reinhardt.
Die vermisst auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) für den Bildungsbereich. „Der vorgelegte Entwurf enthält abermals Leerstellen und offene Fragen, dessen Klärung für ein vorausschauendes, klares und verbindliches Agieren an Schule und Kita unabdingbar sind. Es fehlt weiterhin ein vollumfänglichen Sicherheits- und Hygienekonzept, es fehlen weiterhin transparente Stufenpläne auf der Basis bundeseinheitlicher Kriterien“, sagt VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann und betont: „Es muss für Schule und Kita klar, realistisch umsetzbar und planbar sein, was genau passiert, wenn welche Kriterien vorliegen – das ist weiterhin nicht der Fall.“
Deutschland steuere erneut auf einen Flickenteppich an Vorgaben zu. Beckmann: „Es kann nicht sein, dass am Ende wieder die pädagogischen Fachkräfte und Leitungen an Schule und Kita diejenigen sind, die unter dem Deckmantel von Entscheidungsbefugnissen das an Einschränkungen kommunizieren und das an Entscheidungen treffen sollen, was sie weder zu verantworten haben noch, wofür sie zuständig sind. Die Politik muss sich ehrlich und damit aufhören, Verantwortung abzuschieben.“
“Es droht der bunteste und schlimmste Maßnahmenflickenteppich seit Beginn der Pandemie”
Es sei klar, dass das Offenhalten von Bildungseinrichtungen höchste Priorität haben müsse. Aber: „Ohne zu wissen, welchen Verlauf die Coronapandemie in den kommenden Monaten tatsächlich nehmen wird, jetzt schon kategorisch letzte Mittel auszuschließen, um Lernorte offenzuhalten, wie die eingeschränkte temporäre Möglichkeit zur Umsetzung einer Maskenpflicht an Grundschulen, ist schwer nachvollziehbar. Erst recht, wenn man sich bewusst macht, dass vorausschauende Maßnahmen zur Minimierung von Risiken, wie etwa die flächendeckende Einführung von Luftfiltern, in den meisten Bundesländern nicht umgesetzt wurden. Auch hier muss sich die Politik ehrlich machen, was bei extremen Infektionsverläufen an einzelnen Einrichtungen wichtiger ist: Diese zu schließen, weil ein Betrieb nicht mehr gewährleistet werden kann oder im Notfall weitere Schutzmaßnahmen für ein Offenhalten zu ergreifen?“
Der Virologe Prof. Hendrik Streeck warnte ebenfalls, dass Deutschland sich angesichts unterschiedlicher Maßnahmen je nach Bundesland in einen Flickenteppich verwandeln könnte. Um das zu vermeiden, brauche es klare Vorgaben für die Länder, wann diese Maßnahmen wie die Maskenpflicht an Schulen ergreifen sollten, sagte Streeck dem Fernsehsender Welt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte bei «RTL Direkt» hingegen: «Dass da ein Flickenteppich kommt, hoffe ich nicht, wir arbeiten mit den Ländern zusammen, dass sie das Maximum nutzen, das wir anbieten.»
Lehrerverbandschef Heinz-Peter Meidinger befand hingegen, das neue Corona-Konzept könne nur funktionieren, wenn «die Länder die ihnen jetzt zukommende Entscheidungskompetenz auch verantwortlich und vor allem in vergleichbarer Weise wahrnehmen». Ansonsten drohe «der bunteste und schlimmste Maßnahmenflickenteppich seit Beginn der Pandemie». News4teachers / mit Material der dpa
