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Lehrer ohne Abitur und Studium: Bundesland senkt die Hürden für den Schuldienst so tief wie nie

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MAGDEBURG. Ein Bundesland senkt die Voraussetzungen zum Einstieg in Dienst an allgemeinbildenden Schulen so tief wie nie: An Sekundarschulen in Sachsen-Anhalt sollen bestimmte Fächer künftig von Seiteneinsteigern ohne Abitur und Studium unterrichtet werden können. Die Ausschreibung der ersten Stellen sei für Mai geplant, sagte ein Sprecher des Bildungsministeriums. Die GEW kann damit nach eigenem Bekunden leben, fordert aber eine bessere Aus- und Fortbildung. An der hapert es tatsächlich.

Geht’s noch tiefer? Foto: Shutterstock

Bereits 1.330 Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger gibt es an den Schulen in Sachsen-Anhalt. Mittlerweile hat dort jede achte Lehrkraft nicht auf Lehramt studiert, bei den Neueinstellungen machen die Seiteneinsteiger sogar die Hälfte aus. Mit der weiteren Öffnung reagiert das Land auf den – sich trotzdem auswachsenden – Lehrkräftemangel, der an Sekundarschulen besonders groß ist. Diese Seiteneinsteiger ohne Abitur sollen aber keine Kernfächer wie Deutsch oder Mathematik unterrichten. Stellen für Fächer wie Technik, Wirtschaft, Hauswirtschaft sowie Gestalten sollen für sie ausgeschrieben werden. An berufsbildenden Schulen werden bereits Nicht-Akademiker als Lehrkräfte eingesetzt.

Die GEW reagiert einem Bericht des MDR zufolge skeptisch auf die Pläne. „Ich hoffe, dass es hier bei Einzelfällen bleibt“, sagt Landeschefin Eva Gerth dem Sender am Montagmorgen. Für sie ist der Vorstoß Ausdruck des steigenden Drucks, den Elternvertreter auf das Bildungsministerium ausüben. Es zeige sich auch ein Stück weit Verzweiflung darin, so Gerth.

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„Lehrkräfte im Seiteneinstieg sind ein entscheidender und ausgesprochen willkommener Bestandteil des sachsen-anhaltischen Schulsystems”

Sie könne dennoch mit den Plänen leben, zumal Menschen aus der Praxis Sekundarschüler womöglich besser „anpacken“ könnten. Allerdings brauche es unbedingt ein verpflichtendes Aus- und Fortbildungsprogramm für solche Seiteneinsteiger ohne Abitur, betont die GEW-Chefin. „Wir können diese Menschen nicht ins kalte Wasser werfen.“ Zudem müsse vorab nicht nur die fachliche Eignung der Kandidaten gut geprüft werden, sondern auch das menschliche Vermögen, mit Kindern umzugehen.

Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger in den Lehrkräfteberuf müssen in Sachsen-Anhalt vor Dienstantritt in der Schule einen vierwöchigen Kompaktkurs absolvieren, „um den vielfältigen Aufgaben im Berufsalltag effektiv begegnen zu können“.

Ziel des Kurses ist es laut Bildungsministerium, „grundlegende Kompetenzen in den Bereichen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren aufzubauen und zu entwickeln. Die Seiteneinsteigenden setzen sich dabei u. a. mit Themen wie Unterrichtsmethoden, Unterrichtsplanung und allgemeiner Didaktik sowie dem Schulgesetz auseinander. Der Kurs teilt sich in Präsenztage, schulformspezifische Netzwerkarbeit, eigenständige Praxiserkundungen und Selbststudienzeiten sowie Phasen des kollegialen und individuellen Lernens auf. Dem Kompaktkurs folgt eine umfangreiche berufsbegleitende Professionalisierungsphase, die dem weiteren Kompetenzerwerb in Unterrichtstätigkeiten dient.“

Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) meint dazu: „Lehrkräfte im Seiteneinstieg sind ein entscheidender und ausgesprochen willkommener Bestandteil des sachsen-anhaltischen Schulsystems. Der Kurs gibt Seiteneinsteigenden eine erste und wichtige Orientierung für die weiteren Schritte im Lehrberuf. Ich bin davon überzeugt, dass der Kurs einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, auch zukünftig eine qualitativ hochwertige Bildung in Sachsen-Anhalt sicherstellen zu können.“

Qualitativ hochwertig? Nach diesen vier Wochen Vorbereitungskurs (und einem zweitätigen „Willkommenskurs“ an der Schule) stehen die frischgebackenen Lehrkräfte bereits allein vor Klassen. Wenn die Seiteneinsteiger ins kalte Wasser geworfen würden, ohne die Chance zu haben, das Schwimmen dosiert zu erlernen, dann „muss man sich natürlich auch nicht wundern, wenn die untergehen“, sagt Thomas Lippmann, bildungspolitischer Sprecher der Links-Fraktion in Sachsen-Anhalt laut MDR. Lippmann war früher selbst Lehrer und Schulleiter.

„Die Kinder und am Ende die Gesellschaft bezahlen die Zeche für diese Fehlentscheidungen der Kultusministerkonferenz“

Seit langem fordert Lippmann die Landesregierung auf, offenzulegen wie viele Seiteneinsteiger eigentlich im Schuldienst bleiben. Jetzt hat er eine Antwort bekommen. Ergebnis: Die Fluktuation ist hoch. Allein im Jahr 2022 wurden zwar 804 neue Seiteneinsteiger eingestellt, 499 aber verließen das System auch wieder, sei es durch Kündigung oder befristete Verträge. Am Jahresende waren nur 305 Seiteneinsteiger mehr beschäftigt als im Jahr zuvor.

Für Lippmann ein Unding: „Die Kinder und am Ende die Gesellschaft bezahlen die Zeche für diese Fehlentscheidungen der Kultusministerkonferenz“ (die den Seiteneinstieg nicht reglementiert hat). Man müsse mit den Menschen anders umgehen. Es reiche nicht, nur zu schauen, wer durchkommt und wer nicht, um dann einfach Neue zu suchen. Vom Menschlichen mal abgesehen: Der Fachkräftemangel betreffe ja nicht nur die Schulen – heißt: Auch diese Quelle ist nicht unerschöpflich. News4teachers / mit Material der dpa

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