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“Was erzählen wir Eltern, deren Kinder dann straffällig werden?”: Empörung über angeblich geplante Vorträge der Letzten Generation in Schulen

BERLIN. Was ist bedrohlicher – wenn sich das Klima durch menschlichen Einfluss erwärmt und damit unsere Lebensgrundlagen ins Wanken geraten? Oder wenn sich junge Menschen auf Straßen festkleben? Wer insbesondere die Medien des Springer-Verlags verfolgt, kann leicht den Eindruck bekommen: zweiteres. «Jetzt wollen Klima-Extremisten unsere Kinder rekrutieren!», so schreibt etwa die «Bild»-Zeitung aktuell über angebliche Pläne der «Letzten Generation», Vorträge in Schulen zu halten. Die Empörungswelle rollt.  

Aktivistinnen und Aktivisten der “Letzten Generation” blockieren eine Straße am Berliner Hauptbahnhof. Foto: Stefan Müller / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Bundesjustizminister Marco Buschmann hält nach eigenem Bekunden nichts davon, wenn Schulen Klimaschutzaktivisten der Gruppe Letzte Generation Vorträge in Klassenräumen gestatten. Etliche begingen nämlich fortgesetzt Straftaten und säten immer wieder Skepsis an der repräsentativen Demokratie, sagte der FDP-Politiker der «Welt am Sonntag». Solches Gedankengut könne kritisch im Unterricht besprochen und eingeordnet werden. «Aber niemandem, der solches Gedankengut vertritt, darf in einer Schule der rote Teppich ausgerollt werden.»

Der Zeitung zufolge berichteten am Dienstag Vertreter der Letzten Generation über Pläne, systematisch an Schüler heranzutreten – vor allem in der Oberstufe. «Bild“ weiß angeblich mehr: «Demnach wollten sich die Aktivisten von Lehrern, Direktoren und Bündnissen wie „Teachers for Future“ in die Einrichtungen einladen lassen. Genutzt werden solle für die Vorträge eine Powerpoint-Vorlage mit dem Titel „Ziviler Widerstand gestern und heute“ (41 Folien). Darin sei prominent zu sehen: Klimaaktivistin Aimée van Baalen, die von Polizisten bei einer Klebe-Aktion weggetragen werde.» Tatsächlich kleben sich Aktivisten der Gruppe regelmäßig aus Protest auf Straßen fest, um ein Umsteuern im Kampf gegen die Klimakrise einzufordern. Der Verein Teachers for Future hat auf den Bericht reagiert – und weist eine Zusammenarbeit mit der Letzten Generation zurück (siehe Stellungnahme unten).

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«Unsere Schulen dürfen nicht als Plattform für eine radikale Gruppe, deren Mitglieder auch vor Straftaten nicht zurückschrecken, missbraucht werden»

Dass an Schulen für ihre Ziele geworben wird, daraus macht die Initiative gar keinen Hehl. Auf der Homepage der Initiative heißt es unter der Überschrift «Strategie»: «In der zweiten Jahreshälfte 2022 veranstalteten wir über 320 Vorträge. So konnten wir in den Monaten ab Oktober etwa 750 Teilnahmen an Blockaden mit knapp 400 Festnahmen und Dutzenden Menschen im Gefängnis erreichen. Dabei haben wir es geschafft, Verbindungen zur Kirche, Gewerkschaften, Schulen, Universitäten und vielen weiteren Gruppen aufzubauen, deren Unterstützung unseren Protest auf eine neue Stufe gestellt hat.»

Und weiter: «Der friedliche Protest ist lokal noch nicht so debattiert worden. Dieses Potenzial wollen wir ausschöpfen. Der friedliche Protest, welcher bisher größtenteils in Berlin stattgefunden hat, soll überall im Land noch spürbarer werden, indem er vor der eigenen Haustür ankommt. Die Unterstützung von lokalen Gewerkschaften, Behörden, Kirchen, Landwirt:innen, Schulen, Universitäten, Bildungseinrichtungen und der Kulturszene ermöglicht es, dass mehr Menschen sich #WirAlleSindDieLetzteGeneration anschließen. Jede Säule hat eine eigene Verbindung zur Klimakrise und diese gilt es anzusprechen. So haben wir die Chance, nicht nur Individuen zu mobilisieren, sondern ganze Netzwerke.»

Die CDU lehnt mögliche Auftritte in Schulen ab. «Unsere Schulen dürfen nicht als Plattform für eine radikale Gruppe, deren Mitglieder auch vor Straftaten nicht zurückschrecken, missbraucht werden», sagte Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der Union im Bundestag, der «Welt am Sonntag». Die Mitglieder der Letzten Generation hätten sich schon lange aus dem demokratischen Diskurs verabschiedet, deshalb könne die Gruppe kein Partner für Schulen sein.

Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schaltete sich ein. Sie schrieb auf Twitter, es sei richtig, wenn sich junge Menschen für Klimaschutz einsetzen. «Sie dürfen aber nicht in der Schule für widerrechtliche Aktionen der sogenannten Letzten Generation rekrutiert werden. Die Länder müssen dem einen Riegel vorschieben.» Stark-Watzinger: «Zudem wäre es ein wichtiges Signal, wenn sich Fridays und Teachers for Future distanzieren würden. » Diese beiden Bündnisse gehen gemäßigter als die Letzte Generation vor.

«Die Grenze des Zulässigen ist überschritten, wenn Schulleitungen oder Lehrkräfte Organisationen und Referenten in die Schule einladen, die explizit für die Beteiligung an rechtswidrigen Aktionen werben»

Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht die Grenze des Zulässigen überschritten, wenn «Schulleitungen oder Lehrkräfte Organisationen und Referenten in die Schule einladen, die explizit für die Beteiligung an rechtswidrigen Aktionen werben und die Schule quasi als Rekrutierungsszene nutzen». Dadurch würde der «Schutzraum Schule missbraucht und instrumentalisiert», sagte Meidinger dem Medienbericht zufolge.

«Was erzählen wir Eltern, deren Kinder anschließend straffällig werden, weil sie in der Schule für die Beteiligung an solchen Rechtsverstößen geworben wurden?“, argumentierte Meidinger. Der Lehrerverbandschef forderte die Schulministerien und Landesregierungen daher auf, «eindeutig klarzustellen», dass derlei Veranstaltungen «nicht erlaubt» seien.

Die Gruppe plant in der letzten Aprilwoche bis in den Mai hinein in Berlin massive Straßenblockaden und andere Protestaktionen. «Ab Montag, dem 24. April, bringen wir Berlin friedlich durch Straßenblockaden zum Stillstand», heißt es auf der Homepage. Zuvor sei am Sonntag, 23. April, ab 15.00 Uhr am Brandenburger Tor eine Versammlung geplant. Die Aktivisten fordern als Sofortmaßnahmen gegen den drohenden «Klimakollaps» ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf den deutschen Autobahnen sowie ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn. News4teachers / mit Material der dpa

Teachers for Future

Derzeit behaupten mehrere Medien, die Letzte Generation wolle mit Hilfe von Teachers for Future Germany in Schulen «Aktivisten rekrutieren». Teachers for Future stellt klar: «Diese Aussage ist falsch.» Dazu hat der Verein eine Erklärung herausgegeben. Im Wortlaut: 

«Teachers for Future Germany e. V. steht anlassbezogen in Austausch mit Vertreter:innen der ‘Letzten Generation’. Eine Zusammenarbeit besteht nicht. Seine Haltung zur „Letzten Generation“ und ihren Aktionen hat der Verein bereits Ende 2022 in einer Solidaritätsbekundung zum Ausdruck gebracht, die sich gegen eine Kriminalisierung der dort aktiven Menschen richtet. Diese Solidaritätserklärung wurde mittlerweile von über 700 Lehrer:innen sowie weiteren Personen aus dem Bildungsbereich unterzeicht.

In der Schule sind nicht nur die Aktionen der Letzten Generation sondern auch deren Anlass, die Klimakrise, immer wieder Thema – lehrplanbezogen, aber auch im Rahmen unserer Aufgabe einer demokratischen Bildung und dem Auftrag, aktuelle politische und gesellschaftliche Geschehnisse multiperspektivisch zu thematisieren. Nicht zuletzt sind diese Aktionen und natürlich die Klimakrise selber ein Thema, das auch die Schüler:innen umtreibt und bewegt.

Im Rahmen ihrer Bildungsangebote konzipieren Teachers for Future Germany e.V. deswegen gerade u.a. einen Workshop, in dem die Geschichte und Gegenwart des Zivilen Ungehorsams multiperspektivisch untersucht werden soll, um dann aktuelle Protestaktionen wie z.B. die der ‘Letzten Generation’ kritisch mit den Schüler:innen zu diskutieren. Im Rahmen dessen sind auch Diskussionen mit Aktivist:innen selbst vorgesehen, so dass der Verein unter anderem bei der ‘Letzten Generation’ angefragt hat, ob einzelne Vertreter:innen für solche Diskussionsrunden zur Verfügung stehen bzw. vermittelt werden könnten. Ebenso halten wir als Teachers for Future es im Sinne von politischer Bildung und Demokratieerziehung für sinnvoll und gewinnbringend, die – ja im Einzelnen ganz unterschiedlich ausfallende – juristische Beurteilung von Aktionen der ‘Letzten Generation’ kritisch zu begleiten und aufzuarbeiten, z. B. durch den Besuch einer Gerichtsverhandlung.

Aus unserer pädagogischen Perspektive heraus gelten selbstredend für all unser Wirken, sei es im eigenen Unterricht oder aber im Kontext unserer verschiedenen Workshop-Angebote, die im Beutelsbacher Konsens festgehaltenen Prinzipien des Überwältigungsverbots und des Kontroversitätsgebots als wichtigste Prinzipien jeglicher politischen Bildung. Dementsprechend sind Befürchtungen, ‘illegale Protestmethoden’ würden ‘beworben/unkritisch vorgestellt werden’, unberechtigt und haltlos.

«Die Letzte Generation hat uns gegenüber mehrfach deutlich gemacht, dass mögliche Besuche in Schulen nicht zu Rekrutierungszwecken benutzt werden sollen»

Die Letzte Generation wird unabhängig von unserem Verein aus den genannten Gründen immer wieder aktiv von Lehrer:innen angefragt, die im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung das Gespräch mit den Aktivist:innen suchen. Solange sich die Lehrer:innen an die Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses halten und kontrovers diskutieren, halten wir dies für vertretbar. Die Letzte Generation hat uns gegenüber mehrfach deutlich gemacht, dass sie sich dieser Prinzipien bewusst sind und dass mögliche Besuche in Schulen nicht zu Rekrutierungszwecken benutzt werden sollen.

Wir verurteilen diese Kampagne der Springerpresse gegen die Letzte Generation aufs Schärfste, da hierbei nicht nur systematisch mit unlauteren Methoden der Informationsbeschaffung und bewusst mit Falschaussagen gearbeitet wird, um die Aktivist:innen zu diffamieren, sondern auch ein unberechtigstes Misstrauen gegenüber Lehrer:innen gesät wird.»

Weitere Informationen: https://teachersforfuture.org/

Der Klimawandel bedroht die Menschheit – Forscher fordern mehr Aufklärung, Lehrer entsprechend angepasste Lehrpläne

 

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