Hitzealarm in Südeuropa, Überschwemmungen in den USA, Heftige Regenfälle in Japan – Menschen haben in diesem Sommer in vielen Erdregionen mit Wetterextremen und ihren Folgen zu kämpfen. Studien zufolge häufen sich solche Ereignisse, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht überrascht.
«Vor zunehmender Hitze, Dürre und dadurch Bränden sowie Starkregen und dadurch Überschwemmungen infolge der Erderwärmung durch den Treibhausgasausstoß warnen die Klimaforscher seit Jahrzehnten», sagt Prof. Stefan Rahmstorf, Abteilungsleiter im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und langjähriger Berater der Bundesregierung. «Die Vorhersagen treffen ja auch schon seit vielen Jahren ein, wie die Messdaten belegen.»
Die Wetterextreme nähmen seit Jahrzehnten kontinuierlich zu, erläutert Rahmstorf. Dieser Trend könne sich fortsetzen. «Dieselben Extreme, die seit Jahrzehnten zunehmen, werden auch weiter zunehmen, solange die Welt nicht die Klimaneutralität erreicht hat.» Dabei könnte es künftig sogar zu Ereignissen kommen, die es so in der jüngeren Vergangenheit noch gar nicht gegeben habe.
Wie stark haben Hitzeextreme weltweit schon zugenommen? Wie heiß wird es in Zukunft?
Kurzer Clip aus einem Vortrag in Schönau Anfang Juli. In voller Länge hier zu sehen: https://t.co/EnFIvRWuZn pic.twitter.com/WFhkrpMQni— Prof. Stefan Rahmstorf 🌏 🦣 (@rahmstorf) July 18, 2023
Der meteorologische Sommer zeigte in diesem Jahr schon viele Rekorde: So war der Juni laut EU-Klimawandeldienst Copernicus seit Beginn der Aufzeichnungen noch nie so warm wie in diesem Jahr. Kanada leidet nach Angaben der dortigen Behörden unter der schlimmsten Waldbrand-Saison seiner Geschichte. Und die durchschnittliche globale Temperatur lag im Juli an mehreren Tagen über dem bisherigen Rekordwert aus dem Jahr 2016, wie aus «Climate Reanalyzer»-Daten der amerikanischen Universität von Maine hervorgeht.
Aus Sicht von Rahmstorf gilt es zu handeln – und zwar schnell. Es sei wichtig, durch raschen Klimaschutz das Unbeherrschbare zu vermeiden und sich gleichzeitig an den unvermeidlichen Teil des Klimawandels so gut wie möglich anzupassen, erklärt er. Im Pariser Abkommen hatten die Staaten vereinbart, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch Rahmstorf befürchtet, dass dieses Ziel verfehlt wird. «Solange fossile Energienutzung noch subventioniert wird, selbst gesetzte Klimaziele zum Beispiel im Verkehrssektor ignoriert werden und auch sofort wirksame Gratismaßnahmen wie ein allgemeines Tempolimit nicht genutzt werden, kann von ernsthaften Anstrengungen in Richtung 1,5 Grad nicht die Rede sein.»
Europa sei mehr als andere Erdregionen der mittleren Breiten von zunehmender Hitze betroffen. «Dies wird auf häufigeres und anhaltenderes Auftreten einer Wetterlage mit doppeltem Jetstream zurückgeführt, wie sie aktuell wieder herrscht», erklärt Rahmstorf. Der Jetstream ist ein bandartiges Starkwindfeld in etwa zehn Kilometern Höhe, das sich über den nördlichen Breiten um die Erde windet. Bei einem doppelten Jetstream spaltet sich dieser in zwei Äste auf. Die Jetstream-Lagen halten dadurch länger an und sorgen laut einer Studie des PIK für häufigere Hitzewellen in Westeuropa.
«Wir Menschen werden immer häufiger nie Dagewesenes, neue Extremwetter und weitere Veränderungen erleben»
Nach jüngsten Daten der Weltwetterorganisation WMO erreichten die Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre 2021 jeweils neue Höchstwerte. Es bestehe die Sorge, dass Ökosysteme an Land und die Ozeane immer weniger CO2 aufnehmen können. Bislang puffern sie einiges CO2 ab. In einigen Landregionen der Welt sei der Übergang von der CO2-Senke zur -Quelle bereits im Gange, etwa in Teilen des Amazonasregenwalds.
Auch in den Meeren zeigen die Temperaturen diesen Sommer Extremwerte. Generell liege das auch am «Anstieg der Treibhausgase in unserer Lufthülle», sagt Rahmstorf. Von der dadurch zusätzlich eingefangenen Energie gingen wegen der Wärmespeicherfähigkeit des Wassers etwas mehr als 90 Prozent in den Ozean. «Daher gibt es dort seit Jahrzehnten regelmäßig neue Wärmerekorde.»
Nach «Climate Reanalyzer»-Daten liegt die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Meere seit März auf Rekordhöhe: Jeder einzelne Tag ist der wärmste für sein jeweiliges Datum. Messbeginn war vor 40 Jahren. In den vergangenen Tagen lag die Temperatur jeweils circa 0,8 Grad höher als im Schnitt zum selben Zeitraum der Jahre 1982 bis 2011.
Rahmstorf geht davon aus, dass neben der Erderwärmung mehrere weitere Faktoren zu dem Anstieg beitragen. Dazu gehöre auch das El-Niño-Ereignis, das im tropischen Pazifik die Oberflächentemperaturen steigen lasse. El Niño ist ein natürliches Phänomen, das alle paar Jahre auftritt. Es kann die Folgen des Klimawandels verschärfen, weil es einen zusätzlich wärmenden Effekt hat. Je nach Weltregion gibt es durch El-Niño mehr Hitze und Dürren oder mehr Überschwemmungen.
Trotzdem gibt Rahmstorf die Hoffnung nicht auf. «In der Tat bewegt sich schon einiges. Ich bin da nicht vollkommen pessimistisch. Vor zehn Jahren, also vor dem Pariser Abkommen, hat die Wissenschaft auf Grundlage der damaligen Klimapolitik noch mit einer Erwärmung von etwa vier Grad bis 2100 gerechnet. Inzwischen steuern wir mit der jetzigen Klimapolitik auf einem 2,7-Grad-Kurs», erklärte er unlängst in einem Interview mit dem Wissenschaftsmagazin Spektrum.de.
Zu tun gibt es aber immer noch viel. Denn: «Mit 3 Grad Erwärmung werden wir sehr weit aus der natürlichen Schwankungsbreite der letzten 100.000 Jahre hinauskatapultiert. Wir haben das Klima des Nacheiszeitalters Holozän, also die recht stabilen letzten 10.000 Jahre, inzwischen verlassen. Das bedeutet, dass die Ökosysteme sich weltweit zunehmend nicht mehr an das immer ungewohntere Klima anpassen können. Wir Menschen werden immer häufiger nie Dagewesenes, neue Extremwetter und weitere Veränderungen erleben.» Es sei denn: Die Politik steuert endlich entschieden dagegen.
Zumindest bei vielen jungen Menschen scheint das Problem angekommen zu sein (nicht zuletzt deshalb, weil die Schule das dafür notwendige Wissen vermittelt): In Schwerin leiteten Schülerinnen und Schüler das Referat des renommierten Klimaforschers mit eigenen Vorträgen zum Thema ein. News4teachers / mit Material der dpa
