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Ludwigshafener Oberbürgermeisterin tritt aus der SPD aus – wegen der Bildungspolitik (“eine besonders große Enttäuschung”)

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ach Bekanntwerden ihres Austritts aus der SPD hat die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck ihre frühere Partei in harschen Worten kritisiert. Die Bildungspolitik der SPD sei eine besonders große Enttäuschung und «letztendlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht» habe, erklärte Steinruck im SWR – konkret angesprochen ist die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD).

“All das wird ignoriert”: Jutta Steinruck. Foto: Sven Mandel / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

«Meine SPD, wie ich sie vor fast 30 Jahren kennengelernt habe, hat alles bis zu den Menschen vor Ort gedacht», betonte Steinruck in einer Stellungnahme an den SWR. Die Partei habe zugehört, hingeschaut, erklärt, habe soziale Folgen von Entscheidungen abgefedert und habe Wirtschafts- und Industriepolitik als lokale Arbeitsmarktpolitik verstanden. «Doch das alles hat sich geändert.»

Am Montag hatte die 60-jährige Steinruck, die seit Anfang 2018 Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen ist und seit 1996 SPD-Mitglied war, erklärt, ihre Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten «nach langer und reiflicher Überlegung» vor einigen Wochen beendet zu haben. Dabei hieß es zunächst nur, dass es dafür «sehr viele Gründe» gegeben habe.

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Nun verwies sie gegenüber dem SWR unter anderem auf den Fall der Grundschule Gräfenau in Ludwigshafen. Dort müssen nach früheren Angaben der Rektorin 39 der 126 Erstklässler das Schuljahr wiederholen. Die Probleme am Schulstandort Hemshof, der von vielen als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird und wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, hatte überregional für Aufsehen gesorgt. Viele der Kinder sprechen etwa schlecht Deutsch.

«All das wird ignoriert, obwohl die Schulen – nicht nur die Gräfenauschule – nicht erst in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen haben»

Steinruck erklärte dem SWR, das von einer Ampel regierte Land Rheinland-Pfalz wolle die Situation in einer Industriestadt wie Ludwigshafen mit ihrer Sozialstruktur nicht wahrhaben. «All das wird ignoriert, obwohl die Schulen – nicht nur die Gräfenauschule – nicht erst in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen haben.» In Richtung von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) hieß es in der Erklärung Steinrucks, es müsse einen Ludwigshafener Sonderweg geben.

Wörtlich sagte sie: «Die Schulen – nicht nur die Gräfenauschule – haben in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen. Wenn Bildungsministerin Stefanie Hubig sagt, es wird keinen Ludwigshafener Sonderweg geben, kann ich nur sagen, dass es dringend einen Ludwigshafener Sonderweg geben muss!»

Hintergrund: In der Grundschule Gräfenau müssen gleich 39 der 126 Erstklässler das Schuljahr wiederholen (News4teachers berichtete). «Die extrem hohe Zahl ist erschreckend. Im vergangenen Jahr waren es 23 oder 24», erklärte die Schulleiterin bereits im April, als sich die Zahl bereits abzeichnete. «Auch in anderen Klassenstufen gibt es Wiederholer – aber bei weitem nicht so viele.» Die Gründe seien vielfältig. Oft sprächen die Kinder schlecht Deutsch oder kämen aus bildungsfernen Familien.

Und meist waren die Kinder nur kurz oder gar nicht in einem deutschen Kindergarten. «Viele sagen, die Eltern sollen mal machen, aber die geben meist ihr Bestes. Ich habe Kinder, die waren zwei Jahre auf der Flucht. Da war nicht viel mit Schule», sagte die Schulleitern. «Es fehlen die Vorläuferfähigkeiten. Es geht nicht nur darum, eine Schere richtig zu halten, sondern auch darum, sich in der Gruppe richtig zu verhalten.»

Den Fall nahmen Eltern und Lehrkräfte der übrigen Grundschulen in Ludwigshafen zum Anlass, einen gemeinsamen Brandbrief zu schreiben, in dem sie Hubig mit Nachdruck zu Reformen aufforderte . «Die Uhr schlägt eine Minute vor zwölf», heißt es in dem mehrseitigen Schreiben von Schulleitungen und Schulelternbeiräten. Kritisiert wurden vor allem mangelnde Deutschkenntnisse vieler Kinder – und eine hohe Belastung der Lehrkräfte.

«Viele Kinder sind in Deutschland geboren, haben zum Teil die Kita besucht und verfügen trotzdem nur über unzureichende Deutschkenntnisse»

Konkret wurde in dem Schreiben etwa genannt: «Bei 8 bis 25 Prozent der Kinder von Stufe 1 und 2 ist die Versetzung gefährdet beziehungsweise wird das Klassenziel nicht erreicht.» Etwa 35 bis 70 Prozent der Kinder in Grundschulen der zweitgrößten Stadt in Rheinland-Pfalz verfügten über kaum oder gar keine Deutschkenntnisse oder mindestens sprachliche Defizite. «Viele Kinder sind in Deutschland geboren, haben zum Teil die Kita besucht und verfügen trotzdem nur über unzureichende Deutschkenntnisse.»

Um Missstände an den Grundschulen in Ballungszentren sinnvoll anzugehen, müsse politisch gehandelt werden – insbesondere mit größeren personellen Ressourcen, hieß es. «Wir fordern Sie auf, sich der Probleme unserer Schulen anzunehmen und hoffen auf baldige, konstruktive Lösungsvorschläge aus Ihrem Ministerium.»

Die sahen dann so aus: Im Mai gab es ein Treffen mit Vertretern des Bildungsministeriums, der Schulaufsicht und der Stadt Ludwigshafen. Ein Ergebnis war nach Angaben des Ministeriums, dass es für Grundschulen in Ludwigshafen künftig «zusätzliche Förderangebote» geben soll (ohne dass öffentlich gemacht worden wäre, was das konkret heißt). Zudem «prüft» die Schulaufsicht zusätzliche Stundenzuweisungen an die Grundschule Gräfenau. Ein Ministeriumssprecher sprach nun von einem langen und intensiven Gespräch, das Teil eines regelmäßigen engen Austauschs sei, der fortgesetzt werde. «Das Gespräch verlief in konstruktiver und zielführender Atmosphäre», behauptete der Sprecher weiter.

Offenbar eine recht einseitige Sicht der Dinge, wie sich jetzt herausstellt. News4teachers / mit Material der dpa

40 Erstklässler nicht schulreif: Grundschule in Ludwigshafen ist kein Einzelfall

 

 

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