BERLIN. Mithilfe von geeigneter Diagnose-Software können Lehrkräfte die Lesefähigkeiten von Grundschülerinnen und Grundschülern besser im Blick behalten und zielsicherer auf Lernprobleme reagieren. Dies ist Ergebnis einer aktuellen Studie, die am DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation durchgeführt worden ist. Danach profitierten besonders Kinder, die im Klassenvergleich größere Probleme beim Leseverständnis hatten, vom Einsatz der Software. Auch die beteiligten Lehrkräfte bewerteten das Verfahren als nützlich.
An der Studie hatten insgesamt 668 Kinder aus 77 Grundschulklassen in Hessen und Niedersachsen teilgenommen. In 46 Klassen wurde das Lernverlaufsdiagnostikprogramm „quop.“ eingesetzt, das an der Universität Münster entwickelt worden ist und den hessischen Grundschulen kostenfrei zur Verfügung steht. Die übrigen 31 Klassen, in denen keine derartige Software eingesetzt wurde, dienten als Kontrollgruppe. Jeweils am Anfang und am Ende des dritten Schuljahrs führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in allen 77 Klassen Erhebungen zum Leseverständnis durch. Zusätzlich wurden die Fähigkeiten der Kinder in der Rechtschreibung und der Dekodierfähigkeit erfasst. Letztere beinhaltet, die Buchstaben eines Wortes korrekt den einzelnen Lauten zuordnen, zusammenfügen und unter anderem auch Fantasiewörter flüssig vorlesen zu können.
In den „quop.“-Klassen überprüften die Lehrkräfte zudem dreiwöchentlich mithilfe des digitalen Tools den Lernfortschritt der Schüler*innen im Leseverständnis. Jeweils im Anschluss daran erhielten sie eine grafische Übersicht über den durchschnittlichen Lernzuwachs der ganzen Klasse sowie der einzelnen Schülerinnen und Schüler und konnten somit im Unterricht gezielt auf bestehende Probleme reagieren. Ebenfalls dreiwöchentlich befragten die Forschenden die teilnehmenden Lehrkräfte, wie sie die Übersichten verwendeten. Demnach empfanden 88 Prozent die individuellen Verlaufsgrafiken als nützlich.
„Mit Blick auf die Ergebnisse der IGLU-Studie, die bei Viertklässler*innen im Bereich Lesen in den vergangenen Jahren einen negativen Trend festgestellt hat, kann der Einsatz von computergestützten Lernverlaufsdiagnostiken sinnvoll sein“
„Bei unseren Untersuchungen zeigte sich, dass bei der Erhebung am Ende des Schuljahres die Kinder aus den Klassen, in denen die Software eingesetzt wurde, erfolgreicher im Leseverständnis abschnitten als die Schüler*innen aus den Kontrollklassen“, erläutert Dr. Alexandra Schmitterer, assoziierte Wissenschaftlerin am DIPF und Erstautorin der Veröffentlichung, in der die Studie vorgestellt worden ist.
Besonders stark sei dieser Effekt bei den Schülerinnen und Schülern gewesen, die anfangs besonders große Probleme mit dem Leseverständnis hatten. Sie profitierten demnach am meisten vom Einsatz dieser digitalen Lernverlaufsdiagnostik. Kinder mit überdurchschnittlichen Lesefähigkeiten hingegen entwickelten ihre Lesefähigkeiten im Laufe des Schuljahres in gleichem Maße, unabhängig davon, ob sie eine „quop.“-Klasse oder eine Kontrollklasse besuchten. Transfereffekte auf die ebenfalls untersuchten Fähigkeiten im Dekodieren und in der Rechtschreibung konnten in der Studie nicht beobachtet werden. Diese beiden Teilkompetenzen entwickelten sich in den quop.-Klassen und den Kontrollklassen in gleicher Weise, also unabhängig vom Einsatz der Software weiter.
„Mit Blick auf die Digitalisierung an den Schulen und die Ergebnisse der IGLU-Studie, die bei Viertklässler*innen im Bereich Lesen in den vergangenen Jahren einen negativen Trend festgestellt hat, kann der Einsatz von computergestützten Lernverlaufsdiagnostiken sinnvoll sein“, unterstreicht Schmitterer (über die IGLU-Studie hat News4teachers ausführlich berichtet – hier). „Lehrkräfte erhalten damit ein Instrument, mit dem sie die individuelle Leseentwicklung der Schüler*innen über das Schuljahr hinweg besser verfolgen und gezielt auf Leseprobleme eingehen können.“
Zugleich sei es relevant, digitale Instrumente wissenschaftlich zu evaluieren und zu überprüfen, welche Teilkompetenzen sie wirksam fördern, so die Psycholinguistin weiter. „Digitale Hilfsmittel wie solche Lernverlaufsdiagnostik-Tools haben viel Potenzial, aber auch ihre Grenzen. Indem wir diese wissenschaftlich untersuchen und aufzeigen, ermöglichen wir den Lehrkräften, solche Tools erfolgreich einzusetzen und Frustration zu vermeiden.“ Ein wissenschaftlicher Beitrag dazu ist jetzt im „Journal of Computer Assisted Learning“ erschienen. News4teachers
Schmitterer, A. M. A., Tetzlaff, L. D., Hasselhorn, M., & Brod, G. (2023). Who benefits from computerized learning progress assessment in reading education? Evidence from a two-cohort pre–post design. Journal of Computer Assisted Learning, 1– 13.
Der Beitrag ist im Open Access erschienen und damit frei zugänglich – hier.