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Hin zu AfD und Kleinstparteien: Warum den etablierten Parteien die jungen Wählerinnen und Wähler davonlaufen

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BERLIN. Erstmals durften 16-jährige Deutsche in diesem Jahr an der Europawahl teilnehmen, und ihre Stimmvergabe zeigt deutliche Trends: Vor allem Parteien rechts der Mitte oder Kleinstparteien können bei jungen Wählerinnen und Wählern bis 24 Jahre punkten. Diese Tendenz offenbart die Unzufriedenheit der jungen Generation mit den Ampelparteien – und mit dem klassischen deutschen Parteiensystem generell. Eine kurz vor der Wahl veröffentlichte Studie zeigt Gründe dafür auf.

Viele junge Menschen fühlen sich von den etablierten Parteien nicht repräsentiert. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Viele junge Menschen fremdeln offensichtlich mit der real existierenden repräsentativen Demokratie. Während 68 Prozent nationale Wahlen für (eher) wichtig halten, sagen dies nur 58 Prozent über die Europawahl. Besorgniserregend ist, dass nur knapp über die Hälfte der Befragten (56 Prozent) – in Deutschland 72 Prozent – die Wahlen im jeweiligen Land (eher) für korrekt und fair abgehalten hält. Weniger als die Hälfte (42 Prozent) stimmt der Aussage (eher) zu, in der Schule oder Ausbildung gut auf Wahlen vorbereitet zu werden. In Deutschland sind es 51 Prozent – noch das höchste Ergebnis im Ländervergleich.

Das sind einige Ergebnisse der achten repräsentativen Jugendstudie „Junges Europa“ im Auftrag der TUI Stiftung. Die Studie wurde anlässlich der Wahlen zum Europäischen Parlament vorvergangene Woche in Berlin vorgestellt. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hatte dazu im März 2024 5.874 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in der Bundesrepublik, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt.

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Junge Erwachsene fühlen sich demnach weder in der EU, noch im eigenen Land ausreichend repräsentiert. Laut Studie halten sich nur 17 Prozent der Befragten durch das Europaparlament für stark oder sehr stark vertreten (in Deutschland 19 Prozent). Auf nationaler Ebene sieht es ähnlich aus: Auch hier sind es im Durchschnitt nur 17 Prozent, in Deutschland 23 Prozent, die sagen, „das Parlament vertritt mich stark oder sehr stark“. Besonders klar fällt die Ablehnung in Italien und Griechenland aus: Jeweils 55 Prozent der Befragten geben an, sie fühlten sich „überhaupt nicht“, oder „weniger stark“ vom jeweiligen nationalen Parlament vertreten. Dazu kommt, dass rund ein Drittel der jungen Erwachsenen den Eindruck haben, im jeweiligen Land würden eher die Interessen von Älteren berücksichtigt: in Deutschland sind es 40 Prozent, in Italien 49 Prozent.

„Es besteht eine kritische Repräsentationslücke. Diese bedroht die Legitimität der EU bei denjenigen, die doch ihre Zukunft sind“

Mehr als jeder Zweite (56 Prozent, in Deutschland 51 Prozent) stimmt der Aussage (eher) zu, dass Politiker und Politikerinnen sich nicht viel darum kümmerten, was junge Menschen denken. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68 Prozent, in Deutschland 64 Prozent) sind außerdem (eher) der Ansicht, dass Politiker und Politikerinnen zu viel reden und zu wenig handeln. „Es besteht eine kritische Repräsentationslücke. Diese bedroht die Legitimität der EU bei denjenigen, die doch ihre Zukunft sind. Deshalb bleiben Information und Aufklärung in und außerhalb der Schulen weiterhin ein wichtiges Element politischer Bildungsarbeit“, meint die Geschäftsführerin der TUI Stiftung, Elke Hlawatschek.

Aber welche Faktoren beeinflussen das Gefühl junger Menschen, von Abgeordneten des Europäischen Parlaments repräsentiert zu werden? Im Rahmen der Befragung wurde dazu ein Experiment durchgeführt. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden aus einer Vielzahl verschiedener Kombinationen jeweils drei hypothetische Kandidierende präsentiert, die sich hinsichtlich ihres Herkunftslandes, ihres Alters (25 und 55 Jahre alt), ihres Geschlechts und ihrer angestrebten Fraktion unterschieden. Dann wurden die Befragten um eine Bewertung gebeten, wie gut oder schlecht sie sich durch die gezeigte Person im Europäischen Parlament repräsentiert fühlten. Das Ergebnis: Repräsentation im Europäischen Parlament ist keine Frage von Geschlecht oder nationaler Herkunft der Abgeordneten, sondern von ihrem Alter und der von ihnen vertretenen Politik.

Knapp die Hälfte (49 Prozent) aller Befragten finden, das freies Reisen innerhalb der EU die wichtigste Errungenschaft sei (Deutschland 51 Prozent), danach kommt die EU-Freizügigkeit für Studium und Arbeit (42 Prozent gesamt, in Deutschland 40 Prozent). Es folgen der Euro als gemeinsame Währung (38 Prozent gesamt, in Deutschland 45 Prozent) und die EU-Grundwerte: Frieden und Solidarität (35 Prozent gesamt, in Deutschland 41 Prozent), Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit (32 Prozent gesamt, in Deutschland 38 Prozent).

Die Zustimmung zu den Stärken der EU ist bei jungen Menschen deutlich ausgeprägter als zu ihren Schwächen. 53 Prozent der Befragten sehen große Stärken, 41 Prozent sehen große Schwächen. In Deutschland überwiegt dieser positive Blick auf die EU mit 56 Prozent, nur 33 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die EU große Schwächen hat.

„Die eher flexible politische Einstellung macht es den Parteien schwierig, klare Angebote zu bieten“

Das gegenwärtig wichtigste Problem auf EU-Ebene ist für junge Europäerinnen und Europäer das Thema Migration und Asyl mit 36 Prozent. In Deutschland sind es 46 Prozent, in Polen 33 Prozent. Umwelt- und Klimaschutz rücken im Vergleich zu 2023 damit im Problembewusstsein auf Platz zwei mit 26 Prozent (Deutschland 33 Prozent). Bildungspolitik und Digitalisierung rangieren 2024 mit 13 Prozent bzw. neun Prozent weit unten auf der Problem-Skala.

Großer Unmut herrscht bei den jungen Europäern und Europäerinnen mit Blick auf den Zustand der Demokratie im eigenen Land. Nur knapp ein Viertel (23 Prozent) zeigt sich (eher) zufrieden. Deutschland ist hier eine Ausnahme: Hier sind es vier von zehn (42 Prozent). Im Zeitvergleich nimmt die Zustimmung leicht zu. Besonders deutlich zeigt sich das in Deutschland (2024: 42 Prozent, 2023: 35 Prozent) und Polen (2024: 23 Prozent, 2023: zehn Prozent). Dennoch: die Frustration bleibt groß. Deutschland ist auch weiterhin das einzige der befragten Länder, in dem zwar nicht die Mehrheit, aber ein größerer Anteil der Befragten eher zufrieden als unzufrieden ist.

Nach Plus- und Minuspunkten gefragt, werden bei den Stärken der Demokratie vor allem Meinungs- und Pressefreiheit (46 Prozent), aber auch politische Teilhabe (43 Prozent) genannt; bei den Schwächen Korruption (43 Prozent) und zu langsame Entscheidungen zum Beispiel in Krisensituationen (37 Prozent).

Im eigenen Land nehmen junge Menschen große gesellschaftliche Spannungen vor allem zwischen politisch links und rechts stehenden und zwischen reichen und armen Menschen wahr. Knapp jeder zweite Befragte beobachtet im eigenen Land demokratiefeindliches Verhalten (49 Prozent). In Deutschland ist es über die Hälfte der Befragten (55 Prozent), in Griechenland sogar 67 Prozent. Vier von zehn Befragten geben an, die Demokratie in ihrem Land sei in Gefahr.

Grundsätzlich ist die junge Generation in ihrer politischen Einstellung keine homogene Gruppe, die grundsätzlich eher konservativ oder eher progressiv positioniert ist. Junge Europäerinnen und Europäer nehmen im politischen Ordnungssystem keine eindeutige Position ein. Zum Beispiel zeigt sich rund ein Drittel der Befragten migrationskritisch. Gleichzeitig gehen 36 Prozent staatliche Gleichstellungsmaßnahmen nicht weit genug, und 35 Prozent würden die Bekämpfung des Klimawandels dem Wirtschaftswachstum vorziehen.

„Die demokratische Staatsform wird mit Stärken und Schwächen in der Umsetzung wahrgenommen. Es gibt ein stabiles Wertefundament, jungen Europäerinnen und Europäern ist es nicht egal, in welchem System sie leben – ob in einer Demokratie oder Autokratie. Sie denken nicht in Lagern, sondern eher pragmatisch, nüchtern und kritisch. Die eher flexible politische Einstellung macht es den Parteien schwierig, klare Angebote zu bieten“, sagt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thorsten Faas von der FU-Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat.

Mit Blick auf ihre persönliche Situation und Lebenswelt schauen junge Europäer und Europäerinnen weiterhin negativ in die Zukunft. Ein gutes Drittel (34 Prozent) ist (eher) pessimistisch eingestellt. Einzig in Frankreich zeigen sich junge Befragte optimistischer. Deutschland bleibt im Vergleich zum Vorjahr stabil (eher optimistisch und optimistisch: 56 Prozent). „Die Vielzahl an nationalen und globalen Krisen belastet und verunsichert junge Erwachsene in Europa nach wie vor. Eine sichere Zukunft und das Wohlstandsversprechen demokratischer Gesellschaften sind nicht selbstverständlich. Die Zukunftserwartung ist gedämpft, wird aber insgesamt nicht schlechter, sondern stabilisiert sich in diesem Jahr auf niedrigem Niveau“, sagt Faas.

Jungwählerinnen und -wähler

Wahlergebnisse im Detail: Laut einer Analyse der ARD gewann die AfD in der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen zwölf Prozent hinzu und erreicht damit 17 Prozent der Stimmen – leicht mehr als im bundesweiten Gesamtergebnis (15,9 Prozent). Auch die Union erhält demnach 17 Prozent der jungen Stimmen, was zwar einem Zugewinn bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern von fünf Prozent entspricht – aber gegenüber dem Gesamtergebnis (30 Prozent) deutlich abfällt.

Die Grünen verlieren satte 23 Prozentpunkte in dieser Altersgruppe und landen bei nur noch elf Prozent (Gesamt: 11,9 Prozent). Die FDP, die bei der letzten Bundestagswahl besonders bei Erstwählern punktete, verliert bei den 16- bis 24-Jährigen zwei Punkte und kommt auf sechs Prozent (gegenüber 5,2 Prozent im Gesamtergebnis). Die SPD holt neun Prozent der Stimmen und gewinnt einen Punkt hinzu – liegt damit aber deutlich unter ihrem Gesamtergebnis von 13,9 Prozent.

Überraschungserfolge kleiner Parteien: Die linksliberale Pro-Europa-Partei Volt erreicht neun Prozent und ist damit die erfolgreichste Kleinstpartei in dieser Altersgruppe – unter allen Wählerinnen und Wählern in Deutschland kommt sie auf lediglich 2,6 Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt aus dem Stand bei den Jungwählerinnen und -wählern auf sechs Prozent (Gesamt: 6,2 Prozent). Die Linkspartei erhält sieben Prozent der Stimmen – gegenüber einem Gesamtergebnis von 2,7 Prozent. Die Satirepartei „Die Partei“ erzielt vier Prozent (Gesamt: 1,9 Prozent). Die Tierschutzpartei kommt auf drei Prozent (Gesamt: 1,4 Prozent). Zusammen erreichen die übrigen Kleinstparteien elf Prozent der Stimmen bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern.

Im Gegensatz zu Bundestags- und Landtagswahlen gilt bei der Europawahl in Deutschland keine Sperrklausel wie die Fünfprozenthürde. Dies ermöglicht es vor allem kleinen Parteien wie Volt, vor allem dank der Unterstützung von Erstwählenden, auf Sitze im Europäischen Parlament zu hoffen.

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