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Im Teufelskreis: Lehrermangel, Druck, Flucht aus dem System, noch mehr Lehrermangel

BERLIN. Viele Berufstätige – vor allem: Kita-Fachkräfte, Lehrkräfte – stehen häufig unter Strom. Zu häufig. Doch bei Stress im Job heißt die Devise laut einer neuen, vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vorgelegten Studie oft noch: Da kann man noch etwas oben draufpacken. Mit dramatischen Folgen.

Wo, bitteschön, geht’s heraus aus dem Teufelskreis? Foto: Shutterstock

«In der Debatte um Fachkräftemangel werden häufig die wirtschaftlichen Folgen von Fachkräftemangel diskutiert. Ein wichtiger Aspekt wird oft vernachlässigt: die Rolle der Arbeitsbedingungen», so heißt es einleitend. Dabei zeigten die Befragungsergebnisse des «DGB-Index Gute Arbeit» wie relevant das Thema Arbeitsqualität für die Fachkräftesicherung sei.

«Das betrifft einerseits die Auswirkungen auf die Beschäftigten. Der Personalmangel, der besonders in Engpassberufen auftritt, führt zu höheren Belastungen für die verbliebenen Beschäftigten: Zusätzliche Arbeitsaufgaben (76 Prozent), ein höheres Arbeitstempo (60 Prozent) und mehr Überstunden (57 Prozent) sind die häufigsten Folgen von Personalmangel. Die Folge ist eine Abwärtsspirale, wenn die ohne Belastung dazu führt, dass weitere Beschäftigte den Arbeitsbereich verlassen.»

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Wo sind die Engpässe am größten?

Laut der Erhebung liegt der Anteil der in sehr hohem oder hohem Maß Betroffenen bei Lehrkräften, Beschäftigten in der Alten- und Krankenpflege, Fahrzeugführerinnen und -führern sowie Erzieherinnen und Erziehern zwischen 60 und 70 Prozent. Insgesamt berichten 46 Prozent aller Beschäftigten von Personalmangel. Die entsprechenden Probleme gibt es übrigens nicht nur in Arbeitsbereichen bei typischen Engpassberufen, sondern – in etwas geringerem Umfang – auch zum Beispiel in einem sehr verantwortungsvollen Bereich wie der Organisation in einem Unternehmen (37 Prozent).

Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2024

Auch bei der Dauer des Personalmangels stehen die Engpassberufe an der Spitze. Von
den Befragten mit Personalmangel arbeiten in Bauberufen 83 Prozent seit mehr als
18 Monaten unter diesen Bedingungen. In der Krankenpflege sind es 78 Prozent, bei
Lehrkräften 71 Prozent und bei Erzieher*innen 66 Prozent.

Was sind die typischen Folgen von Personalmangel?

Natürlich sind Engpässe ein Problem für Unternehmen. Aber – so der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) – auch für die Beschäftigten sind die Auswirkungen oft verheerend. Die Studie stellt fest: «Der Druck auf die verbliebenen Beschäftigten wird erhöht.» So zumindest berichten es viele Betroffene. Drei Viertel (76 Prozent) der Befragten, die über großen Personalmangel in ihrem Arbeitsbereich berichten, müssen wegen des fehlenden Personals zusätzliche Aufgaben übernehmen. 60 Prozent berichten über erhöhtes Arbeitstempo zum Ausgleich der Folgen des Personalmangels – mit allen möglichen Folgen für die Gesundheit.

Was ist bei den Betroffenen noch typisch?

Der Einfluss der Beschäftigten auf die eigene Arbeitsgestaltung sinkt. Jeweils 57 Prozent geben an, dass sie aufgrund des Personalmangels Überstunden machen beziehungsweise ihre Arbeitszeiten an die betrieblichen Erfordernisse anpassen müssen. Für 30 Prozent führt der Personalmangel laut der Erhebung dazu, dass sie Aufgaben übernehmen müssen, für die sie nicht qualifiziert sind. Der Gewerkschaftsbund warnt vor Auswirkungen auf die Qualität der Leistungen für betroffene Schülerinnen und Schüler, Patientinnen und Patienten oder Fahrgäste etwa von Bussen.

Ist bei den Betroffenen wenigstens Land in Sicht?

Meist nicht – im Gegenteil. Von den Beschäftigten, die in (sehr) hohem Maß von Personalmangel betroffen sind, berichten 72 Prozent, dass aufgrund dieser Situation weitere Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsbereich verlassen hätten. Bei 39 Prozent der Betroffenen war dies sogar in hohem Maß der Fall, so der DGB. «Personalmangel und die damit verbundenen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen können eine Abwärtsspirale in Gang setzen», schlussfolgern die Studienautorinnen und -autoren. «Je länger der Personalmangel andauert, desto häufiger wird davon berichtet, dass Kolleg*innen den Arbeitsbereich verlassen.»

Flucht in die Teilzeit – (k)ein Ausweg

Eine zu hohe Arbeitsbelastung treibt viele Beschäftigte in Teilzeitbeschäftigung. Besonders ausgeprägt ist dies in einigen Berufen mit Fachkräftelücken. Bei teilzeitbeschäftigten Lehrer*innen geben 80 Prozent die hohe Belastung als Grund für verkürzte Arbeitszeiten an. Was den Teufelskreis weiter antreibt: Personalmangel verstärkt den Trend zur Teilzeitbeschäftigung – die wiederum den Personalmangel verschärft.

Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2024

Nur die wenigsten glauben, die Belastung bis zur Rente durchhalten zu können

Gesundheitlich belastende Arbeitsbedingungen werden die Fachkräftelücke noch verschärfen. Darauf deutet der Blick auf die Bewertung der zukünftigen Arbeitsfähigkeit
in ausgewählten Engpassberufen hin. Besonders pessimistisch ist die Einschätzung
in der Krankenpflege: Lediglich 23 Prozent der Pflegekräfte gehen davon aus, bis zur
Rente durchhalten zu können. Ebenfalls sehr negativ bewerten die Beschäftigten in den Engpassberufen Altenpflege, bei Lehrer*innen und Erzieher*innen sowie in der Sozialarbeit ihre künftige Arbeitsfähigkeit. In diesen Gruppen geht nur jeder dritte Befragte davon aus, das Rentenalter im aktuellen Beruf zu erreichen.

Quelle: DGB-Index Gute Arbeit 2024

Würden Sie Ihren Job weiterempfehlen?

Auch das wurden die Studienteilnehmenden gefragt. Sind die Arbeitsbedingungen in Ordnung, würden laut der Erhebung 96 Prozent eine Empfehlung ihres Arbeitgebers gegenüber einem Freund oder einer Freundin aussprechen. Wenig überraschend: «Je schlechter die Arbeitsqualität ist, desto seltener ist das der Fall», so der DGB. Bei schlechten Arbeitsbedingungen würden gut drei Viertel der Befragten davon abraten, bei diesem Arbeitgeber zu arbeiten.

Kann man der Lage auch etwas Positives abgewinnen?

Schon. Yasmin Fahimi, die DGB-Vorsitzende, meint: «Der Bedarf an Fachkräften rückt diejenigen Personengruppen stärker in den Fokus, die am Arbeitsmarkt bislang benachteiligt sind: Frauen in Teilzeitbeschäftigung, Beschäftigte mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen, Geringqualifizierte und ältere Beschäftigte.»

Seitens der Politik und der Firmen bestehe die Aufgabe nun darin, die Hürden anzugehen, die einer stärkeren Arbeitsbeteiligung dieser Gruppen entgegenstehen. Fahimi meint damit fehlende Unterstützung bei Kinderbetreuung und Pflege, Hindernisse beim Zugang zu Aus- und Weiterbildung, Arbeitsüberlastung – «und Arbeitszeiten, die nicht zum Leben passen», so die frühere SPD-Politikerin.

Wie wurde die Studie erstellt?

Die Qualität der Arbeitsbedingungen wurde anhand von 42 Fragen zur konkreten Arbeitssituation ermittelt. Die Beschäftigten bewerteten die verfügbaren Ressourcen, die auftretenden Belastungen sowie das Einkommen und die Beschäftigungssicherheit. Auf dieser Basis ordneten die Studienmacher die Ergebnisse in vier Stufen von schlechter bis guter Arbeit ein. Der Report basiert dabei auf einer Zufallsstichprobe von 6985 abhängig Beschäftigten, die in Deutschland arbeiten. News4teachers / mit Material der dpa

Hier lässt sich der «DGB-Index Gute Arbeit» herunterladen.

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