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Studie: Auf zwei Lehrkräfte, die das Pensionsalter erreichen, kommen mittlerweile fünf, die vorzeitig den Schuldienst quittieren

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BERLIN. Gibt es einen Massenexodus der Lehrkräfte? Diese Frage stellt eine aktuelle Untersuchung des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) angesichts besorgniserregender Befunde. Das hat sich die Abgänge aus dem Schuldienst der 16 Bundesländer genauer angeschaut und festgestellt, dass dabei der Anteil derjenigen, die regulär aufgrund ihres Alters ausscheiden, immer kleiner wird – ein deutliches Zeichen dafür, so schlussfolgert der Studienautor Dr. Dieter Dohmen, dass die Belastung im Lehrberuf immer größer wird.

Die Bedingungen im Schuldienst treiben offenbar immer mehr Lehrkräfte nach draußen. Illustration: Shutterstock

Jedes Jahr schieden in den Jahren 2018/19 bis 2022/23 jeweils über 10 Prozent der Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland nach offiziellen Angaben aus dem Schuldienst ihres jeweiligen Bundeslandes aus, zuletzt waren es laut Studie 9,5 Prozent. „In diesen Anteilswerten bzw. den zugrundeliegenden absoluten Zahlen sind jedoch auch die Lehrkräfte enthalten, die in den Schuldienst anderer Bundesländer oder die Schule im jeweiligen Bundesland wechseln sowie diejenigen, die temporär ausscheiden, z.B. aufgrund von Schwangerschaft, Geburt eines Kindes bzw. Elternzeit. Lässt man diese Gruppen unberücksichtigt, dann schwankt die Zahl der dauerhaft aus dem Schuldienst ausscheidenden Lehrkräfte um den Wert von 5,4 Prozent am Gesamtbestand, bei Ausschlägen von bis zu 1,4 Prozentpunkten insbesondere nach oben.“ So weit, so normal also.

“Über die altersbedingt zu erwartende Zahl an ausscheidenden Lehrkräften scheiden also immer mehr aus anderen Gründen dauerhaft aus”

Allerdings: „Auffallend ist bei dieser relativen Konstanz der Anteilswerte dauerhaft ausscheidender Lehrkräfte an allen Lehrkräften die starke Verschiebung zwischen der Zahl und dem Anteil an Lehrkräften, die altersbedingt bzw. aus anderen Gründen aus dem Schuldienst ausscheiden. Betrug das Verhältnis zwischen diesen beiden Gruppen über längere Zeit zwischen 1:1,1 und 1:1,3, beträgt die Relation nunmehr 1:2,6, bei seit 2015/16 stark steigender Tendenz. Über die altersbedingt zu erwartende Zahl an ausscheidenden Lehrkräften scheiden also immer mehr aus anderen Gründen dauerhaft aus. Wenn sich der Trend der letzten Jahre auch zukünftig fortsetzt, dann ist bald eine Relation von 1:3 zu erwarten.“

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Dabei sind die Unterschiede in den Bundesländern jedoch beträchtlich. „Besonders hoch ist die Quote der dauerhaft ausscheidenden Lehrkräfte in Mecklenburg-Vorpommern mit seit Jahren sehr hohen Werten von bis zu 10 Prozent. Im Schuljahr 2023/24 lag der Wert bei 9,4%, und bleibt damit der höchste aller Länder. Auch in den anderen ostdeutschen Länder – einschließlich Berlin – liegen die Anteilswerten der Untersuchung zufolge seit Jahren bei über 6 Prozent.

„In allen westdeutschen Flächenländern sind die Anteilswerte meist niedriger als in den ostdeutschen Ländern, wobei Baden-Württemberg lange Zeit bei 6 Prozent und höher lag (Ausnahme 2023/24: 4,4 Prozent). Zu erwähnen ist auch Rheinland-Pfalz, wo nach sehr hohen Anteilswerten von dauerhaft ausscheidenden Lehrkräften bis zum Schuljahr 2020/21 (Werte von bis zu 11,0 Prozent) eine deutliche Umkehr mit Werten von unter 4% festzustellen ist. Im Saarland ist eine gegenläufige Tendenz festzuhalten: War der Anteil dauerhaft ausscheidender Lehrkräfte meist vergleichsweise moderat, so ist der Wert im Schuljahr 2023/24 deutlich auf 6,5 Prozent angestiegen.“ Die niedrigsten Anteile an dauerhaft ausscheidenden Lehrkräften verzeichneten im Schuljahr 2023/24 Hamburg und Hessen mit jeweils 3,0 Prozent. Heißt: dort überwiegend altersbedingt.

“Studien verweisen regelmäßig darauf, dass die tatsächliche Arbeitszeit von Lehrkräften  deutlich über eine ‚reguläre‘ 40-Stunden-Woche hinausgeht”

Fazit des Autors: „Wenn die Zahl bzw. der Anteil der vorzeitig aus dem Schuldienst in einem derart großen Umfang ansteigt, dann ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass der Schuldienst entweder an Attraktivität verliert oder die Belastung von vielen Lehrkräften als nicht mehr bzw. länger tragbar angesehen wird. Arbeitszeitstudien verweisen regelmäßig darauf, dass die tatsächliche Arbeitszeit von Lehrkräften gerade während der Unterrichtszeit deutlich über eine ‚reguläre‘ 40-Stunden-Woche hinausgeht. Heterogenität der Schülerschaft sowie die zunehmenden psychischen und sozialen Herausforderungen dürften ein Übriges tun.“

Gerade auch mit Blick auf den bereits bestehenden und sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verstärkenden Lehrkräftemangel im deutschen seien Bildungspolitik und -ministerien gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, die die von den Lehrkräften als sehr hoch empfundenen Belastungen verringern. „Dazu zählen u.a. veränderte Modi der Arbeitszeiterfassung bei Lehrkräften, Ausbau multiprofessioneller Teams etc..  Es wird aber auch über veränderte Formen der Klassenstrukturierung nachzudenken sein: Eine Klasse oder Lerngruppe mit mehreren Schüler:innen mit psychischen oder sozialen Beeinträchtigungen kann nicht so groß sein wie eine Klasse ohne solche Schüler:innen. Alternativ könnte die ‘Bestückung’ mit Lehr- oder Begleitpersonen flexibilisiert werden.“

So wie bisher werde es angesichts der Entwicklung in keinem Fall weiterlaufen können: „Die bevorstehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation wie auch insbesondere der dauerhafte Lehrkräftemangel werden grundlegende Veränderungen in den Schulen und an den Lernformaten erfordern.“ News4teachers

Hier geht es zu dem vollständigen Untersuchungsbericht.

Arbeitsstudie: Bei fast jeder fünften Lehrkraft besteht ein hohes Risiko für Depression oder Burnout

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