POTSDAM. Seit Januar stritten Gewerkschaften und Arbeitgeber über Einkommen und Arbeitszeiten von mehr als 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Jetzt gibt es eine Einigung, die den Gewerkschaften wenig Grund zum Jubeln gibt – die aber Signalwirkung haben dürfte: Im Herbst beginnen für die Angestellten der Länder die Tarifverhandlungen, die direkt oder mittelbar die allermeisten Lehrkräfte betreffen. Als „hart erkämpfen Kompromiss“ bezeichnete die GEW-Vorsitzende Maike Finnern den Tarifabschluss. Der VBE will aus den Erfahrungen für den kommenden Tarifstreit lernen.
Im Tarifstreit beim öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen haben Gewerkschaften und Arbeitgeber eine Einigung erzielt. Demnach bekommen die mehr als 2,5 Millionen Beschäftigten in zwei Stufen mehr Geld, wie beide Seiten in Potsdam mitteilten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lobte den Abschluss: „Wir haben einen Tarifabschluss erreicht, der in schwierigen Zeiten einen guten Ausgleich bringt. Wir machen die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst flexibler, moderner und attraktiver.“ Der neue Tarifvertrag sei ein Zeichen des Respekts für die Beschäftigten und davor, was die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes leisteten.
Verdi-Chef Frank Werneke erklärte für die Arbeitnehmerseite, die Annahme des Ergebnisses sei der Gewerkschaft nicht leicht gefallen: „Es ist ein schwieriges Ergebnis in schwierigen Zeiten.“ Der Verhandlungsführer der Gewerkschaft dbb Beamtenbund, Volker Geyer, betonte dennoch: „In dieser Einigung kann sich jede und jeder wiederfinden.“
Die Einigung folgt im Wesentlichen einer Empfehlung von Schlichtern von Ende März. Demnach steigen die Einkommen ab 1. April 2025 um drei Prozent, mindestens aber um 110 Euro im Monat; zum 1. Mai 2026 dann noch einmal um 2,8 Prozent. Das 13. Monatsgehalt soll erhöht werden. Zum Paket gehören zudem höhere Schichtzulagen. Der neue Tarifvertrag soll rückwirkend ab 1. Januar 2025 für 27 Monate laufen. So lange dürften Warnstreiks oder Streiks in diesem Teil des öffentlichen Diensts vom Tisch sein. Für die Beschäftigten der Länder wird im Herbst gesondert verhandelt.
Teil des Potsdamer Einigungspakets sind auch flexiblere Regelungen zu Arbeitszeiten und freien Tagen. Ab 2027 soll es einen zusätzlichen Urlaubstag geben. Zudem soll es für die meisten Beschäftigten möglich sein, Teile des 13. Monats in bis zu drei freie Tage umzuwandeln.
Freiwillig und befristet sollen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit auf bis zu 42 Stunden die Woche erhöhen können. Gegen diesen Punkt gab es nach Angaben aus Verhandlungskreisen Bedenken der Gewerkschaften. Sie befürchten Druck auf Arbeitnehmer, länger zu arbeiten. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden. „Niemand kann gedrängt werden, mehr zu arbeiten – das ist Teil der Tarifvereinbarung“, sagte Werneke. „Wer freiwillig mehr arbeitet, erhält für die zusätzlichen Stunden einen Aufschlag.“
„Die Gewerkschaften haben in diesen Verhandlungen hart gekämpft und konnten am Ende einige wichtige Punkte durchsetzen“
Ursprünglich forderten die Gewerkschaften acht Prozent mehr Geld, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat, sowie unter anderem mindestens drei zusätzliche freie Tage im Jahr. Sie wollten, dass der Tarifvertrag nur ein Jahr läuft. Dies bezeichnete die Arbeitgeberseite als nicht finanzierbar. In der dritten Verhandlungsrunde boten die Arbeitgeber dem Vernehmen nach eine Erhöhung der Entgelte um 5,5 Prozent sowie ein höheres 13. Monatsgehalt und höhere Schichtzulagen. Die Laufzeit blieb offen. Den Gewerkschaften reichte das nicht. Letztlich rief die Arbeitgeberseite die Schlichtung an, weil die Gewerkschaften sich zu wenig bewegt hätten.
„Die Gewerkschaften haben in diesen Verhandlungen hart gekämpft und konnten am Ende einige wichtige Punkte durchsetzen“, sagt GEW-Chefin Maike Finnern. Dass die Arbeitgeber die Forderung nach einem sogenannten „Meine-Zeit-Konto“ bis zum Schluss blockierten, kritisierte die Gewerkschaftsvorsitzende. „Trotzdem ist am Ende wenigstens der Einstieg in mehr Eigenverantwortlichkeit über die Arbeitszeit gelungen, den es weiterzuentwickeln gilt. Neben dem zusätzlichen Urlaubstag ab 2027 können die Kolleginnen und Kollegen in vielen Bereichen des TVöD – unter anderem in kommunalen Kitas – ab sofort am Anfang des Jahres selbst entscheiden, ob sie die Jahressonderzahlung in voller Höhe ausbezahlt haben oder einen Teil in bis zu drei Urlaubstage umwandeln wollen“, erklärte Finnern. Das „Meine-Zeit-Konto“ sollte nach Vorstellungen der Gewerkschaften auch für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit genutzt werden können.
„Die Erhöhung der Gehälter sichert für die Beschäftigten in den sozialen Berufen und der frühkindlichen Bildung finanzielle Sicherheit in wirtschaftlich unsicheren Zeiten“, meint die GEW-Vorsitzende. Zudem sei mit der Möglichkeit für mehr freie Tage eine wichtige Forderung der Beschäftigten nach mehr Zeit erfüllt worden. „Die Kolleginnen und Kollegen im gesamten Sozial- und Erziehungsdienst gehen auf dem Zahnfleisch. Mit dem Lohnplus und der Möglichkeit für viele, Teile der Jahressonderzahlung in zusätzliche freie Tage umzuwandeln, haben wir ein Stück Entlastung erreicht“, sagte Finnern. Gleichzeitig bekräftigte die GEW-Chefin, sich auf politischer Ebene weiterhin dafür stark zu machen, die Arbeitsbedingungen in Kitas über bundesweite Standards im Kita-Qualitätsgesetz zu verbessern.
„Für die kommende Einkommensrunde für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst der Länder müssen wir uns ganz neu aufstellen“
„Es ist gut, dass wir nun trotz der Verweigerungshaltung der Arbeitgebenden endlich einen Abschluss erzielen konnten, auch wenn er kein Grund zum Jubeln ist“, so bewertet Rita Mölders, stellvertretende Bundesvorsitzende des VBE und Verantwortliche für den Arbeitsbereich Tarifpolitik, den Tarifabschluss. „Für die kommende Einkommensrunde für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst der Länder, die im November dieses Jahres starten wird, müssen wir uns angesichts der anhaltenden Ignoranz, die uns entgegengebracht wurde, ganz neu aufstellen. Und das werden wir tun!”
Mölders weiter: „Es konnte aufgrund der extrem schwierigen und zähen Verhandlungen mit den Kommunen und dem Bund nicht damit gerechnet werden, dass das Schlichtungsergebnis zum Tragen kommt und in ein Ergebnis der Einkommensrunde mündet. Gleichzeitig war es wichtig, trotz des herausfordernden und komplizierten Prozesses, einen Abschluss zu erzielen, denn eine faire Bezahlung, Möglichkeiten der Entlastung und attraktivere Arbeitsbedingungen bilden die Grundlage dafür, dass Beschäftigte im Öffentlichen Dienst gehalten oder gar gewonnen werden können. Das gilt auch für die Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertageseinrichtungen, die Tag für Tag, unter hoher Belastung und mit großem Engagement, diesen Öffentlichen Dienst am Laufen halten. Unter den gegebenen Umständen können wir das Ergebnis akzeptieren, aber Grund zum Jubeln besteht nicht.“
Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE, ergänzt: „Das Auftreten der Arbeitgeberseite hat dem Vertrauen der Beschäftigten in den Staat geschadet. Anstatt in ein starkes und konkurrenzfähiges System zu investieren, hat man sich entschlossen, weiterhin nicht über den Tellerrand zu sehen und den Kopf in den Sand zu stecken. Unsere demokratische Gesellschaft braucht einen gut funktionierenden Öffentlichen Dienst. Auch die Arbeitgeberseite muss endlich einsehen, dass dies nicht ohne Investitionen funktionieren kann.“
Die mehr als 2,5 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen arbeiten in einer Vielzahl wichtiger Jobs von der Verwaltung über Kitas und Müllabfuhr bis hin zu Nahverkehr und Flughäfen. Der Tarifkonflikt berührte viele Bürger, weil es seit Januar immer wieder Warnstreiks gab.
Für die Arbeitnehmer saßen die Gewerkschaften Verdi und dbb Beamtenbund am Tisch, für die Arbeitgeber die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber VKA und das Bundesinnenministerium. Die GEW gehört Verdi an, der VBE dem dbb Beamtenbund. Nach drei Runden waren die Verhandlungen Mitte März für gescheitert erklärt worden. Es folgte eine Schlichtung unter Führung des ehemaligen CDU-Politikers Roland Koch und des früheren Bremer Staatsrats Henning Lühr (SPD). Obwohl die Eckpunkte damit klar waren, ging die vierte Verhandlungsrunde in Potsdam nur sehr zäh voran. News4teachers / mit Material der dpa
Weitere Informationen zu den konkreten Ergebnissen gibt es hier.
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