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Weil viele Schulgebäude verrotten: Immer mehr Lehrkräfte greifen zu Besen und Pinsel, um Klassenzimmer halbwegs herzurichten

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BERLIN. Klassenzimmer streichen, Fenster putzen, Materialien aus der eigenen Tasche kaufen – Tätigkeiten, die mit dem Bildungsauftrag von Lehrkräften eigentlich nichts zu tun haben, gehören in vielen Schulen längst zum Alltag. Weil Kommunen unter Finanznot leiden, stopfen Pädagoginnen und Pädagogen die größten Lücken selbst. Verbände sprechen von „Raubbau an der Schule“ und fordern endlich ein Investitionsprogramm des Bundes, das die Verantwortlichen vor Ort entlastet.

Selbst ist die Frau!? (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Die Farbe blättert von den Wänden, kleine Löcher gähnen im Putz. In vielen Schulen ist die Lage so, dass Eltern und Lehrkräfte bereit sind, selbst Hand anzulegen. „Ich will mich mal outen. Ich habe das schon gemacht“, gestand Claudia Schweizer-Motte, Schulleiterin am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium in Wuppertal, im vergangenen Jahr gegenüber dem WDR. Sie hat kurzerhand selbst gespachtelt, wo eigentlich Fachkräfte gebraucht würden. „Und da läuft man unter Umständen Gefahr, weil ich natürlich nicht vom Fach bin, sich eine Anzeige einzuhandeln, weil man dann öffentliches Eigentum beschädigt hat.“

Themenmonat Schulbau

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Was sie beschreibt, ist Alltag: Eltern, Lehrkräfte und Schüler, die in den Ferien oder nach Schulschluss streichen, putzen oder reparieren – weil sonst niemand kommt. In Wuppertal wollten Eltern sogar Farbe für die Klassenzimmer spenden. Doch die Stadt lehnte ab. Begründung: Man könne nicht garantieren, dass die Farbe auch allen Normen entspreche. Eigeninitiative? Unerwünscht. „Selbst Eigeninitiative ist im Moment nicht möglich, und das ist ein Skandal“, kritisierte Richard Voß von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) damals.

Düll: „Eine adäquate Lernumgebung darf nicht vom Finanzstatus abhängen“

Der Deutsche Lehrerverband (DL) sieht diese Entwicklung mit wachsender Sorge. Präsident Stefan Düll erklärte gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): „Eine angenehme Lern- und Lehrumgebung ist wichtig für Schülerinnen und Schüler wie für Lehrkräfte.“ Doch genau daran mangele es vielerorts. „Viele Schulgebäude, die in den 70er-Jahren gebaut wurden, sind heute stark sanierungsbedürftig. Je älter ein Gebäude sei, desto höher falle der Renovierungs- beziehungsweise Sanierungsbedarf aus.“

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Nach Angaben von Düll erreichen seinen Verband in jüngster Zeit immer mehr Berichte von Aktionen, „bei denen Lehrkräfte oder auch Eltern selbst zu Besen und Pinsel greifen, um einem Klassenzimmer einen neuen Anstrich zu verpassen“. Eine Entwicklung, die er für höchst problematisch hält: „Eigentlich sollte es nicht von Lehrkräften oder Eltern abhängen, dass ihre Arbeitsumgebung in einem adäquaten Zustand ist.“

Düll verwies auf eine aktuelle Umfrage der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW): Die Kommunen sehen einen Investitionsstau von fast 68 Milliarden Euro allein im Schulbereich. „Eigentlich sollte es nicht von Lehrkräften oder Eltern abhängen, dass ihre Arbeitsumgebung in einem adäquaten Zustand ist“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Kinder und Jugendliche verdienen eine attraktive und nicht heruntergekommene Lernumgebung. Beides darf nicht vom Finanzstatus der jeweiligen Kommune abhängig sein.“

Der Verbandschef forderte deshalb ein bundesweites Investitionsprogramm: „Der Bund muss die Kommunen durch ein Programm aus den Mitteln des Investitions-Sondervermögens unterstützen.“ Schulen seien Teil der Daseinsvorsorge, die nicht länger dem Spardiktat vor Ort geopfert werden dürfe.

Investitionsstau auf Rekordniveau – 67,8 Milliarden Euro bei den Schulgebäuden

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Das aktuelle KfW-Kommunalpanel, über das News4teachers im Juli berichtete, weist den höchsten Investitionsrückstand seit Beginn der Erhebung aus: 215,7 Milliarden Euro. Ein Drittel davon betrifft die Schulen. Das entspricht 67,8 Milliarden Euro – oder einer Strecke von rund 99.000 Kilometern, wenn man 100-Euro-Scheine aneinanderlegt. Das reicht zweieinhalb Mal um die Erde.

Fast jede fünfte Kommune kann nach eigenen Angaben den Unterhalt ihrer Schulen kaum noch stemmen. Besonders dramatisch ist die Lage in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland. Allein beim Schulbau klafft die Lücke immer weiter. „Damit steigt in vielen Kommunen das Risiko teurer Instandsetzungsmaßnahmen in der Zukunft erheblich“, warnen die Autor:innen des Kommunalpanels.

Hinzu kommen strukturelle Probleme: fehlendes Personal in Bauämtern, langwierige Genehmigungsverfahren, komplizierte Dokumentationspflichten. Selbst geplante Investitionen können oft nicht umgesetzt werden. Im vergangenen Jahr blieben die Kommunen 17 Milliarden Euro unter Plan.

Behlau: „Lehrkräfte dürfen nicht die Lücken der Kommunen füllen“

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) schlägt Alarm. NRW-Landesvorsitzender Stefan Behlau sagte der KNA: „Putzen oder Renovierungsarbeiten sollten keine Aufgabe von Lehrkräften oder Eltern sein.“ Doch genau das passiere inzwischen vielerorts. Behlau beklagt zudem, dass Lehrkräfte oft noch viel weiter gehen: „Lehrerinnen und Lehrer organisieren oftmals beispielsweise Bastelmaterialien, Kopierpapier oder Hygieneartikel selbst und bezahlen diese aus eigener Tasche. In der freien Wirtschaft wäre ein solches Vorgehen undenkbar.“

Er fordert ein klares Budget für Schulen: „Es braucht Mittel, um Materialien zu besorgen, Klassenzimmer zu gestalten und für die Kinder außerhalb von Lehrbüchern und Arbeitsheften Lernimpulse zu setzen.“ Alles andere sei ein Armutszeugnis für die Bildungspolitik.

„Raubbau an der Schule“ – weitere Stimmen aus der Bildungslandschaft

Auch auf Bundesebene wächst der Druck. Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE, stellte im RND klar: „Lehrkräfte reinigen nicht, streichen keine Wände und bringen auch nicht den Abfall raus. Aufgabe von Lehrkräften ist es, gut ausgebildet und vorbereitet Kinder zu bilden und zu erziehen.“ Einsparungen bei Reinigung und Instandhaltung seien nichts anderes als „Raubbau an der Schule“.

Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands (DPHV), sprach von einem „Dauerzustand“. Sie forderte: „Viele Kommunen sind finanziell überfordert. Ohne eine stärkere Rolle des Bundes lässt sich Gleichwertigkeit bei Bildung nicht herstellen.“ Der jetzige Zustand sei „unwürdig“ – für die Schulen, die Lehrkräfte und die Schüler gleichermaßen. Auch der Grundschulverband meldet sich zu Wort: „Lehrkräfte gehen seit jeher über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus, um das schulische Leben für Kinder ansprechend zu gestalten“, sagte Vorstandsmitglied Eva-Kristina Franz dem RND. Doch dieses Engagement bleibe meist unsichtbar.

Auch das von Eltern und Schülern. „Uns wird immer wieder von Schulen berichtet, in denen nicht nur Lehrkräfte, sondern auch die Schülerschaft oder Eltern Renovierungsarbeiten übernehmen. Der Sanierungsstau ist real“, erklärte Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. „Wir brauchen die Zeit und Aufmerksamkeit zu 100 Prozent für guten Unterricht.“ Auch der Bundeselternrat kritisiert die sogenannten „Pinselsanierungen“. Sie seien die direkte Konsequenz des milliardenschweren Investitionsstaus. Eltern und Fördervereine würden vielerorts nicht nur Arbeitskraft, sondern auch Farben und Materialien stellen. Wenn die Kommune vor Ort sie denn lässt.

Zurück nach Wuppertal: Wenn selbst Spachteln zur Grauzone wird

Zurück nach Wuppertal, wo Claudia Schweizer-Motte die kleinen Löcher in der Wand notdürftig gespachtelt hat – mit dem Risiko, sich dabei strafbar zu machen. Die Debatte zeigt, wie sehr das Problem den Schulalltag prägt: Zwischen dem guten Willen von Eltern und Lehrkräften und den starren Regeln der Kommunen bleibt das Wichtigste auf der Strecke – die Lernumgebung der Kinder.

Immerhin: Nach massiver Kritik ruderte die Stadt zurück. „Eltern und Lehrkräfte, die bereit sind, in ihrer Freizeit Schulräume zu renovieren, werden weiterhin bei diesem vorbildlichen ehrenamtlichen Einsatz mit allem notwendigen Material und Werkzeug unterstützt“, teilte das Gebäudemanagement mit. Die entstandenen Irritationen bedauere man. News4teachers

Schulgebäude vor dem Kollaps: Investitionsstau auf neuem historischen Höchststand

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