HANNOVER. Messerattacken an Schulen, angegriffene Lehrkräfte, verunsicherte Eltern – die Debatte über Jugendgewalt wird von schockierenden Einzelfällen bestimmt. Doch die Forschung zeichnet ein anderes, deutlich differenzierteres Bild: Eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigt, dass Jugendliche zwar häufiger Gewalt erleben – selbst aber nicht brutaler werden. Was die Daten wirklich aussagen – und warum Susann Prätor von der Polizeiakademie Niedersachsen mahnt, nicht vorschnell auf gesellschaftliche Verrohung zu schließen.

Es war ein Angriff, der selbst erfahrene Ermittler fassungslos machte: An einem Berufskolleg in Essen stach ein 17-jähriger Schüler mehrfach mit einem Messer auf seine Lehrerin ein und verletzte sie schwer. Anschließend attackierte der Jugendliche auf offener Straße einen Obdachlosen, bevor die Polizei ihn durch Schüsse stoppte. Mittlerweile ermittelt die Bundesanwaltschaft – auch wegen des Verdachts auf ein terroristisches Motiv. Der Fall, der bundesweit Entsetzen ausgelöst hat, steht exemplarisch für das, was viele als Beleg einer zunehmenden Verrohung junger Menschen deuten: Jugendgewalt scheint brutaler, unberechenbarer, unverständlicher geworden zu sein.
Doch die Wissenschaft zeichnet ein deutlich differenzierteres Bild. Während spektakuläre Einzelfälle wie der von Essen die öffentliche Wahrnehmung prägen, zeigen aktuelle Studien: Die Gewalt unter Jugendlichen ist in der Breite nicht brutaler geworden. Zu diesem Schluss kommt die Soziologin Susann Prätor, Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen. Sie forscht seit Jahren zur Kinder- und Jugendkriminalität und wertet dafür sowohl polizeiliche Statistiken (den sogenannten Hellbereich) als auch empirische Befragungen (den Dunkelbereich) aus.
In einem Vortrag in Berlin erklärte sie laut Deutschlandfunk Nova bereits im März: „Es gibt keine Hinweise dafür, dass Jugendgewalt brutaler wird.“ Diese Einschätzung, die angesichts jüngerer Vorfälle zunächst für Erstaunen sorgte, findet nun wissenschaftliche Bestätigung in der neuen Ausgabe des Niedersachsensurveys, der größten und renommiertesten Langzeitstudie zur Jugendkriminalität in Deutschland. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat dafür 2024 mehr als 9.200 Neuntklässlerinnen und Neuntklässler befragt – die Ergebnisse liegen dem Spiegel exklusiv vor.
Mehr Jugendliche werden Opfer von Gewalt – aber was sagen die Zahlen über Täter aus?
Die Studie zeigt zunächst: Gewalt unter Jugendlichen ist nach wie vor ein reales Problem – und sie betrifft zunehmend auch junge Menschen als Opfer. 20 Prozent der Befragten berichteten, im vergangenen Jahr Gewalt erlebt zu haben, deutlich mehr als 2015 (15 Prozent). Besonders häufig ging es um Körperverletzung, sexuelle Belästigung, Raub oder Erpressung. Auffällig ist: Mädchen berichten deutlich häufiger von sexuellen Übergriffen, Jungen häufiger von körperlicher Gewalt und Raub.
Doch auf der Täterseite zeigt sich ein anderes Bild: Nur rund sechs Prozent der Jugendlichen gaben an, im selben Zeitraum selbst ein Gewaltdelikt begangen zu haben – ein Anteil, der seit Jahren stabil ist und sogar unter dem Wert von 2019 liegt. Das bedeutet: Die Zahl der Jugendlichen, die überhaupt gewalttätig werden, nimmt nicht zu.
Zugleich weisen die Forschenden darauf hin, dass sich die Delikte stärker auf eine kleinere Gruppe konzentrieren. Es gibt also mehr sogenannte Mehrfachtäter – Jugendliche, die in einem Jahr mehrere Gewalttaten begehen. Diese Entwicklung kann den Eindruck einer steigenden Gewaltbereitschaft erzeugen, obwohl sich die Gesamtheit der jugendlichen Täterinnen und Täter nicht vergrößert. Der Anstieg an Gewalterfahrungen erklärt sich demnach weniger durch eine generelle Verrohung, sondern durch einzelne Jugendliche, die wiederholt auffallen.
Die Forschenden haben laut Spiegel mehrere Hypothesen, wie sich der scheinbare Widerspruch zwischen mehr Opfern und gleichbleibender Täterzahl erklären lässt: Zum einen könnten Gruppendelikte zugenommen haben, sodass auf eine Tat mehrere Opfer kommen. Zum anderen ist es denkbar, dass die Sensibilität gegenüber Gewalt gestiegen ist – etwa durch gesellschaftliche Debatten wie #MeToo. Handlungen, die früher bagatellisiert wurden, werden heute häufiger als Grenzüberschreitungen erkannt und benannt.
Wird die Jugend tatsächlich brutaler – oder nehmen wir Gewalt nur anders wahr?
Für die These einer zunehmenden Brutalisierung finden die Forscher keine Anhaltspunkte. Zwar gaben 15 Prozent der Jugendlichen an, bei der zuletzt erlebten Tat Verletzungen erlitten zu haben, die ärztlich behandelt werden mussten. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein deutlicher Anstieg gegenüber 2019, als nur 7,9 Prozent solche Verletzungen meldeten. Doch die Forscher weisen darauf hin, dass dieser Wert in früheren Erhebungen – etwa 2013 und 2015 – ähnlich hoch lag. Über die Zeit betrachtet ergibt sich also kein klarer Aufwärtstrend, sondern eine wellenförmige Entwicklung.
Hinzu kommt ein weiterer Befund: Die Zahl der von Schulen gemeldeten sogenannten „Raufunfälle“ – also körperlicher Auseinandersetzungen, bei denen Schülerinnen und Schüler verletzt wurden – ist in den vergangenen Jahren rückläufig. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass Gewalthandlungen an Schulen nicht häufiger und auch nicht gefährlicher geworden sind. Zusammengenommen sprechen beide Indikatoren gegen die Annahme, dass die Gewalt unter Jugendlichen brutaler wird. Vielmehr schwankt das Ausmaß körperlicher Auseinandersetzungen über die Jahre – ohne einen langfristigen Trend zu steigender Härte.
Auch beim Thema Messer widerspricht der Niedersachsensurvey der öffentlichen Wahrnehmung. In der Polizeilichen Kriminalstatistik ist die Zahl der Taten mit Messern zwar gestiegen, doch der Anteil solcher Delikte an allen Gewalttaten blieb konstant. Im Survey selbst ist der Anteil der Jugendlichen, die angaben, bei einer Tat eine Waffe eingesetzt zu haben, seit 2013 nahezu unverändert. Seit 2017 führen Jugendliche zwar etwas häufiger Waffen mit sich – dieser Wert stagniert aber seit Jahren, und der Anteil derjenigen, die Messer mitnehmen, ist sogar leicht gesunken.
Die Forscherinnen und Forscher sehen daher keinen empirischen Beleg für eine „neue Qualität“ der Gewalt. Stattdessen zeigen ihre Daten, dass Gewaltphänomene in der Jugend zwar sichtbar bleiben, aber keine Eskalation in ihrer Schwere aufweisen.
Wie arbeitet die Wissenschaft – und warum unterscheidet sie sich von der Polizei?
Was den Niedersachsensurvey besonders macht, ist die Methodik. Für die Untersuchung befragte das KFN Tausende Jugendliche direkt – anonym und unabhängig vom Strafverfolgungssystem. Die Befragten schilderten ihre Erfahrungen als Opfer und Täter, unabhängig davon, ob ein Vorfall bei der Polizei bekannt wurde. Damit erfasst die Studie auch den sogenannten Dunkelbereich – also jenen Teil der Kriminalität, der in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht auftaucht.
„Wenn wir nur auf die Polizeizahlen schauen, sehen wir immer nur den Teil, der angezeigt und verfolgt wird“, erklärte Susann Prätor. „Aber viele Vorfälle werden gar nicht gemeldet – aus Scham, Angst oder weil sie in der Familie oder im Freundeskreis stattfinden.“ Erst durch die Kombination von Hell- und Dunkelfeldanalysen lasse sich die tatsächliche Entwicklung von Jugendgewalt beurteilen.
Der Niedersachsensurvey ist dabei einzigartig, weil er seit mehr als einem Jahrzehnt kontinuierlich Daten erhebt und damit Trends sichtbar macht, die über kurzfristige Schwankungen hinausgehen. Die anonymen Befragungen, durchgeführt in Schulen unter wissenschaftlicher Aufsicht, gelten als repräsentativ für die neunten Klassen im Land.
Warum steigen dann die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik?
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), die im April veröffentlicht wurde, scheint ein anderes Bild zu zeichnen. Sie weist für 2024 erneut Höchststände bei tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen aus: 13.755 Kinder und 31.383 Jugendliche wurden registriert – ein Anstieg um 11,3 beziehungsweise 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt die Zahl junger Tatverdächtiger auf dem höchsten Niveau seit über einem Jahrzehnt.
Das Bundeskriminalamt sprach im Frühjahr von einem „Mehr-als-nur-Nach-Corona-Effekt“. Ursachen seien psychische Belastungen, Zukunftssorgen, häusliche Gewalt oder gesellschaftliche Krisen. Das Bundesinnenministerium mahnte allerdings zur Vorsicht bei der Interpretation der Daten: Die PKS sei kein exaktes Abbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine Annäherung. Anzeigeverhalten, Kontrollintensität, Erfassungsweisen oder gesetzliche Änderungen könnten die Zahlen erheblich beeinflussen.
Wie erleben Lehrkräfte die Entwicklung an Schulen?
Und was ist mit der Wahrnehmung an den Schulen? Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) vom Frühjahr 2024 berichteten 60 Prozent der Schulleitungen, dass körperliche und psychische Gewalt an ihren Schulen in den vergangenen fünf Jahren zugenommen habe. In 97 Prozent der Fälle gingen die Übergriffe von Schülerinnen und Schülern aus.
„Gewalttaten gegen Lehrkräfte sind keine Einzelfälle“, sagte VBE-Bundeschef Gerhard Brand. „Das soziale Klima ist in den letzten Jahren spürbar rauer geworden. Der Respekt gegenüber schulischen Autoritäten nimmt ab, Konflikte eskalieren schneller.“ Brand kritisierte, dass die Politik das Thema bislang nicht ernsthaft systematisch erfasst habe. Lehrkräfte würden mit Bedrohungen, Beschimpfungen und Übergriffen zu oft allein gelassen.
Was folgt daraus?
Ja, sagte Professorin Prätor im März, die Daten zeigen, dass Jugendgewalt in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen hat und dass jugendliche Gewalttäter oft jünger sind, als sie es früher waren. Aus den Daten lasse sich aber nicht ablesen, dass Jugendgewalt brutaler geworden ist. Wichtig auch: „Die Anstiege der Gewaltkriminalität in den letzten Jahren finden sich für deutsche und nichtdeutsche Jugendliche gleichermaßen.“ Herkunft, betont sie, spiele keine Rolle, wenn man Jugendliche unter gleichen Lebensbedingungen vergleiche. Entscheidend seien soziale und emotionale Faktoren, nicht kulturelle Zuschreibungen.
„Es gibt überhaupt keine Unterschiede im Gewaltverhalten, wenn ich einen fairen Vergleich mache, nämlich Menschen unter gleichen Lebensbedingungen vergleiche“, sagte Prätor. Sie betonte, dass die meisten jugendlichen Täter keine Schwerverbrecher seien, sondern in instabilen Lebenslagen agierten – häufig impulsiv, emotional überfordert, manchmal ohne familiäre Rückbindung. Die Soziologin: „Das Androhen von Strafe wirkt bei Kindern kaum, weil sie oft spontan und ohne Planung handeln.“
Für sie ist klar: Wer Jugendgewalt verstehen will, muss die Lebensrealitäten junger Menschen betrachten – ihre psychischen Belastungen, Zukunftsängste, familiären Konflikte und sozialen Milieus. Härtere Gesetze oder Symbolpolitik, sagt sie, helfen nicht. „Wir müssen die Lebensumstände von Jugendlichen verbessern.“ News4teachers
Anekdotische Evidenz: Der Ton auf den Straßen, Schulhöfen, aber auch in Familien, ist definitiv rauher geworden, die soziale Arbeit ist überall mehr gefordert und muss Jahr für Jahr mehr Fälle bearbeiten, in denen Gewalt immer öfter eine Rolle spielt. Dies kann körperliche oder psychische Gewalt sein.
Aber wenn Kriminologen sagen, dies sei nicht so…tja…dann weiß ich ja jetzt auch nicht…und starre auf die dicken Fallordner in unseren Büros.
Anekdotische Evidenz: mein Brot fällt immer auf die Marmeladenseite. 🙁
Bei einer normalen Tischhöhe und der Beschaffenheit von Brot führt der Drehimpuls, der entsteht, wenn das Brot über die Kante rutscht, dazu, dass es sich in der Luft um etwa eine halbe Umdrehung dreht und somit auf der bestrichenen Seite landet. Und jetzt?
Ich halte die Methodik der Studie übrigens auch für fragwürdig:
“Was den Niedersachsensurvey besonders macht, ist die Methodik. Für die Untersuchung befragte das KFN Tausende Jugendliche direkt – anonym und unabhängig vom Strafverfolgungssystem.” – Eine Schulbefragung mit Zustimmung der Eltern – Ersthaft?
🙂 Hier der passende link zu “Murphy´s law”:
https://fis.uni-osnabrueck.de/vivouos/display/wf10v7
Dann essen Sie doch am Stehtisch.
Und wenn man nicht mit 2015, sondern mit 1995 verglichen hätte oder mit 1975? Und wenn man nicht Neuntklässler, sondern 21-jährige befragt hätte? Wenn ich mich so zurückerinnere, in der 9. Klasse war ich noch eher ein Kind.
Und wie wird “brutal” definiert? Um zu sagen, brutaler sei es nicht geworden! Ich lese, das Kriterium sei, ob es seine Verletzung gab. Das kann ein Nasenbeinbruch oder eine Stichwunde im Gesicht oder das brühmte blaue Auge sein, nicht wahr?! Welche Verletzungen gelten als brutal und welche nicht oder gelten sie alle als gleich brutal? Ich finde nicht alle Verletzungen gleich “brutal/harmlos”.
Interessant ist auch die These, dass Strafen nicht abschreckend wirken, weil Straftaten trotzdem begangen werden. Woher weiß die Soziologin denn, welche Straftaten alle nicht begangen wurden, weil eine Strafe drohte und abschreckte? Wie ist das erfasst worden?
Inwieweit sind Selbstauskünfte, vor allem negative, repräsentativ? Ist nicht eher anzunehmen, dass Selbstauskünfte tendenziell immer geschönt sind, sodass es da eine (angeblich überwundene) Dunkelziffer gibt? Mehr als zugegeben wird? Die Polizeistatistik erfasst nicht, was nicht angezeigt wurde. Die Selbstauskunft erfasst nicht, was verschwiegen wurde.
Raufunfälle seien zurückgegangen. Mag sein. Ist eine Messerstecherei ein Raufunfall? Darunter würde ich eher ein “Handgemenge” verstehen. Es gibt vielleicht weniger Handgemenge, aber mehr Messerstechereien? Und wie gesagt, hier sind nur 9.-Klasse-Schüler befragt worden. Ich war da noch ein Kind.
Dann mal zu, verbessert die Lebensumstände doch!
Wie denn ganz genau? Mit Appellen, dass man nur die Lebensumstände verbessern müsse, kommt niemand weiter.
Wie wäre es mal mit wirklich praktikablen Vorschlägen?!
Vor allem wie soll man noch sozial stabil blieben bei sinkenden Nettolohn und steigenden Lebenserhaltungskosten seit 2020 ca 25%? Das produziert doch genau den politischen Unmut den die “Rechten” abholen…
Die Aussage von Frau Professorin Prätor, dass Strafandrohnung nicht abschrecke, stimmt nur, wenn die Anzahl der verübten Straftaten der Anzahl aller möglichen Straftaten (bzw. Straftatswilligen) entspräche. Dann könnte man sagen, die Strafen bringen ja gar nichts, denn die Straftaten werden ja trotzdem verübt.
Die Anzahl möglicher Straftaten kennen wir aber nicht, denn sie wurden nicht verübt. Wir wissen nicht, wie viele Menschen durch Strafen (Recht und Gesetz) davon abgehalten wurden, andere Menschen zu bestehlen, zu schinden, zu misshandeln, zu vergewaltigen, zu töten, also straffällig zu werden, wenn das nicht bestraft werden würde.
Es gibt jedoch Indizien. Nämlich überall, wo Recht und Gesetz, also die zivile Ordnung zusammenbrechen/zusammengebrochen sind. Man denke an Bürgerkriege und Kriege. Man denke an den Völkermord in Ruanda 1994 (?), an die Massaker während der Jugoslawienkriege, an die Ukraine, an PolPot in Kambodscha, an Hitlerdeutschland… Überall zeigt sich, dass “ganz normale Mitmenschen” zu grausamsten Taten fähig sind, und zwar massenhaft, wenn sie keine Strafverfolgung mehr fürchten müssen. “Die Decke der Zivilisation ist dünn!”
Es spricht also eigentlich doch sehr viel dafür, dass Recht und Gesetz, also auch Strafandrohung bei Nicht-Einhaltung desselben, sehr viele Straftaten verhindert. Nur leider nicht alle.
Aber zumindest verwahrloster, das kommt auf s selbe ‘raus!
“‘Es gibt überhaupt keine Unterschiede im Gewaltverhalten, wenn ich einen fairen Vergleich mache, nämlich Menschen unter gleichen Lebensbedingungen vergleiche’, sagte Prätor. Sie betonte, dass die meisten jugendlichen Täter keine Schwerverbrecher seien, sondern in instabilen Lebenslagen agierten – häufig impulsiv, emotional überfordert, manchmal ohne familiäre Rückbindung.”
Was ist das denn für eine hanebüchene Argumentation? Wenn ich die Jugend nicht als Menge aller Jugendlichen definiere, sondern als die Teilmenge der Jugendlichen in “instabilen Lebenslagen”, werde ich, unter der Annahme, dass ein konstanter Anteil dieser Jugendlich gewaltkriminell wird, selbstverständlich niemals einen Anstieg (oder eine Abnahme) messen können. Statistischer Taschenspielertrick.
Analog könnte man z.B. argumentieren, die durchschnittlichen Deutschkenntnisse in der Bevölkerung seien durch Migranten gar nicht abgesunken, weil die Deutschkenntnisse unter Migranten konstant geblieben sind. Schwachsinn.
Die “Jugend” ist aber nunmal die Menge aller Jugendlichen. Die begehen mehr Gewalttatten. Also ist die These “die Jugend ist brutaler geworden” selbstverständlich korrekt!
Wenn Einzelne, die schon vorher Gewalttaten begingen, mehr Gewalttaten begehen (nicht mal schwerere), tun es die Übrigen aus der Kohorte eben nicht. Deshalb ist die pauschale Behauptung, “die Jugend ist brutaler geworden”, die sich sachlogisch auf die Anzahl der Delinquenten und die Schwere der Taten bezieht, selbstverständlich nicht korrekt.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Zitat aus dem Artikel:
“Sie weist für 2024 erneut Höchststände bei tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen aus: 13.755 Kinder und 31.383 Jugendliche wurden registriert – ein Anstieg um 11,3 beziehungsweise 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.“
Das ist doch eindeutig. Es ist die Rede von tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen, nicht Tatverdachten.
Mit der Einschränkung eben (im Beitrag nachlesbar), dass es sich eben nur um Tatverdächtige handelt – nicht um Täter. Herzliche Grüße Die Redaktion
Unter der Annahme, dass die Polizei in etwa gleichbeibend gute Arbeit macht, bedeutet ein Anstieg der Verdächtigen auch einen Anstieg der Täter.
Das bedeutet es eben nicht – siehe Hinweis des Bundesinnenministeriums. Zur Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik:
“Die PKS umfasst nur das sogenannte Hellfeld, also jene Straftaten, die der Polizei bekannt geworden sind. Das Dunkelfeld dagegen enthält nicht polizeilich registrierte Kriminalität und bleibt in der Statistik unsichtbar. Kriminologen schätzen, dass auf jede in der PKS erfasste Tat mindestens eine weitere unentdeckt bleibt. Bei bestimmten Delikten ist das Dunkelfeld sogar bis zu dreimal so groß wie das Hellfeld. Hinzu kommt, dass rund drei Viertel aller polizeilich registrierten Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt oder in Gerichtsverfahren mit Freispruch enden. Die PKS gibt also weder die tatsächliche Anzahl begangener Straftaten wieder noch die Zahl verurteilter Straftäter.” Quelle: https://ht-strafrecht.de/blog/defensio/die-kriminalstatistik-drei-gute-gruende-warum-ihre-aussagekraft-begrenzt-ist/
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Natürlich kann man jeden Zusammenhang zwischen der PKS und den tatsächlichen Straftaten ausschließen. Das ist aber weder naheliegend noch in irgendeiner Form plausibel.
Ich wiederhole mich: aus der zeitlichen Entwicklung PKS kann man durchaus Trends ablesen und selbstverständlich sind diese Trends auch eine Abbildung (im mathematischen Sinne) der Realität. Das zu leugnen ist weltfremd. Einfach es die mit Abstand wahrscheinlichste Erklärung ist.
Alleine die von Ihnen zitierte Aussage, dass drei Viertel aller Verfahren eingestellt wird, untermauert doch meine Aussage. Im Umkehrschluss heißt das doch gerade, dass ein Viertel ( ein konstanter Anteil!) nicht eingestellt wird. Steigende PKS -> Steigende Anzahl Urteile.
Welcher Angabe entnehmen Sie die Information “ein konstanter Anteil!”? Hat niemand so erklärt.
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Der Präsens impliziert eine Regelmäßigkeit, oder nicht?
Nein – das erfasst ja gar keiner regelmäßig. Herzliche Grüße Die Redaktion
Dann sollte das Bundesinnenministerium seine Pressetexte genauer verfassen. Und wenn sie Recht haben, die ganze PKS direkt einstellen. Ungeheure Verschwendung von Steuergeldern, wenn sie mit der Realität nichts zu tun hat. Man kann dann leider absolut gar nichts daraus schließen, außer, dass sie irgendwer verfasst hat.
Deshalb gibt es kriminologische Studien, über die wir dann berichten (wenn sie den Bildungsbereich betreffen).
Herzliche Grüße
Die Redaktion
Bei unter 14-jährigen werden die Delikte in der Regel auch nicht ausermittelt, folglich bleibt der Eintrag im POLIS.
Sie behaupteten :Die “Jugend” ist aber nun mal die Menge aller Jugendlichen. Die begehen mehr Gewalttat”. Also ist die These “die Jugend ist brutaler geworden” selbstverständlich korrekt!” Ihre Behauptungen sind definitiv falsch, denn alle validen Statistiken sprechen gegen ihre Thesen. Dazu die folgende Quelle:
“Das Jugendalter ist die Zeit höchster Aktivität, des Erkundens und Austestens von Grenzen. Allerdings unterscheiden sich die Belastungszahlen je nach Art des Delikts: So weisen laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) die 14- bis unter 16-Jährigen bei Ladendiebstahl die höchste Belastung auf, die 18- bis unter 21-Jährigen bei Körperverletzungsdelikten. Bei der Wirtschaftskriminalität weist wiederum die Gruppe der 50- bis unter 60-Jährigen die höchsten Raten auf.”
“Jugendkriminalität ist – bei beiden Geschlechtern – in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen und fast wieder auf dem Niveau Ende der 1980er Jahre. Die Höherbelastung junger Menschen mit registrierter Kriminalität setzt sich nicht weit in das Vollerwachsenenalter hinein fort. Dieses Muster zeigen auch alle nationalen wie internationalen Statistiken (sog. Age-Crime-Curve). Ein gegen Strafnormen verstoßendes Verhalten bleibt somit für die weit überwiegende Zahl der jungen Menschen eine Episode im Rahmen ihres Reifungs- und Anpassungsprozesses. Jugendkriminalität von heute ist nicht die Erwachsenenkriminalität von morgen.”
https://www.bpb.de/themen/recht-justiz/gangsterlaeufer/203562/jugendkriminalitaet-zahlen-und-fakten/
https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/jugendkriminalitaet/Zahlen-Daten-Fakten-Jugendgewalt_Mai_2024.pdf
Ihre These passt nur leider überhaupt nicht zur im Artikel zitierten PKS. Und nun?
Die lediglich Tatverdächtige erfasst, siehe Beitrag. Herzliche Grüße Die Redaktion
Das ist keine These sondern eine Stellungnahme zur Jugendkriminalität von Jugendlichen im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte einschließlich des vergangenen Jahres. Ihr subjektiver Eindruck ist auf Grund der vermehrten Berichterstattung im verlaufe der vergangenen Jahre, dass die Gewalt unter Jugendlichen zugenommen hätte. Während spektakuläre Einzelfälle wie der von Essen die öffentliche Wahrnehmung prägen, zeigen aktuelle Studien: Die Gewalt unter Jugendlichen ist in der Breite nicht brutaler geworden. Jugendliche Stratäter scheinen brutaler geworden zu sein. Kommt es zu gewalttätigen Übergriffen, wird schnell der Ruf nach härterem Durchgreifen gegen die Täter laut – in den Medien, in der Politik, in der Öffentlichkeit. Der Kriminologe und Jurist Wolfgang Heinz skizziert die Jugendkriminalität in Deutschland. Diese sei insgesamt nicht brutaler geworden. Und auch wenn die Zahl gewalttätiger Übergriffe durch Jugendliche in jüngster Zeit zugenommen hat, seien die Delikte im langjährigen Durchschnitt rückläufig. Jugendkriminalität – Zahlen und Fakten | Gangsterläufer | bpb.de
Statistische Daten mit Umfragen zu vergleichen, halte ich für zumindest diskutabel, schon weil die Befragten sicherlich schlau genug sind, um konforme Antworten zu geben. Und man könnte auch statt Neuntklässler mal 18-jährige nehmen.
Wie unterscheidet sich die Wissenschaft von der Statistik der Polizei?
Es sind viele Medien, Politiker* und andere Populist*innen, welche die Statistiken falsch darstellen und grottenschlechte Diagramme unkritisch wiederholen. Die Präsentation der neusten Polizeistatistik ist inzwischen der Stoff von Legenden – im wahrsten Sinne! (augenroll)
Als brutal wird hier alles bezeichnet, was zu einer Verletzung führt. Der Schluss ist, es gäbe keine Hinweise auf mehr Messerstecherei. Etwas voreilig und nicht zwangsläufig richtig. Wenn innerhalb der Verletzungen die Zahl gebrochener Nasen sinkt und die Anzahl von Messerdelikten steigt, ist u.U. die Zahl der Verletzungen insgesamt aber doch gleich geblieben. Dann wäre der genannte Schluss ein Trugschluss.