MÜNCHEN. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will Schülerinnen und Schüler in einer Doppelstunde pro Schuljahr auf mögliche Krisen- und Kriegsfälle vorbereiten – mit dem Ziel, die Bevölkerung widerstandsfähiger zu machen. Doch Bayerns Lehrerverbandspräsidentin Simone Fleischmann hält den Vorstoß für zu billig: Es brauche Zeit, mit Kindern unterschiedlichen Alters über Krieg, Krisen oder Ängste zu sprechen. Sie warnt vor Symbolpolitik.
„Kriegstüchtigkeit, Krisenvorsorge oder starke resiliente Menschen – was ist eigentlich unser Bildungsziel?“, fragt Fleischmann in einer aktuellen Stellungnahme. „Die Zeit der Multikrisen spiegelt sich in unseren Schulen wider. Alle Themen der Gesellschaft, vor allem Ängste und Sorgen, kommen mit den Kindern und Jugendlichen in die Schule. Die bleiben nicht draußen vor der Tür.“ Deshalb brauche es pädagogische Professionalität und Zeit, um solche Themen aufzugreifen – aber sicher nicht eine einmalige Doppelstunde pro Jahr.
Bundesinnenminister Dobrindt hatte angekündigt, eine regelmäßige Unterrichtseinheit zur Krisenvorsorge in den Schulen einzuführen. Ältere Schülerinnen und Schüler sollen dabei lernen, welche Bedrohungsszenarien es gibt und wie man sich darauf vorbereitet. „Kinder sind wichtige Wissensträger in die Familien hinein“, sagte der CSU-Politiker dem Handelsblatt. Sein Vorschlag solle im Dezember auf der Innenministerkonferenz diskutiert werden.
Fleischmann sieht die Verantwortung für gesellschaftliche Krisenfragen schon heute im Schulalltag angekommen – allerdings anders, als es Dobrindt vorschwebt. „Wenn wir starke, resiliente Kinder erziehen und bilden wollen, die in dieser Welt kompetent stehen können, dann wird es mit 90 Minuten im Jahr nicht hinhauen“, so die BLLV-Präsidentin. „Wir brauchen Zeit, Ressourcen und Freiheiten, um diese Themen fächerübergreifend einzubinden. Wir Lehrerinnen und Lehrer können das.“
„Der Auftrag der Schule ist, Kinder zu unterstützen, hellsichtige, starke und resiliente Menschen zu werden“
Sie betont, dass Lehrkräfte sehr wohl wüssten, wie man mit Kindern unterschiedlichen Alters über Krieg, Krisen oder Ängste spreche. „Wir wissen, wie man mit Zehnjährigen über so etwas diskutiert. Und wir wissen auch, wie man bei 17-Jährigen deren Interessen und Wissen reinholt. Aber: Wenn man das Thema in den Mittelpunkt stellt, reicht eine Doppelstunde garantiert nicht – und wenn man es gut machen will, kostet das Zeit. Dann fällt vielleicht etwas anderes hinten runter.“
Schulen seien kein Ort der Bedrohung, sondern Orte der Bildung, sagt Fleischmann. Der Bildungsauftrag müsse lauten, Kinder zu stärken – nicht, ihnen neue Ängste einzupflanzen. „Der Auftrag der Schule ist, Kinder zu unterstützen, hellsichtige, starke und resiliente Menschen zu werden, die die Welt verstehen und kompetente Entscheidungen treffen. Das in zwei Stunden pro Jahr erreichen zu wollen, verkennt den Auftrag von Schule, die Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer und die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler – und bringt nur ‚klein, klein‘ statt starker Lösungen.“
Für Fleischmann ist die Debatte symptomatisch für eine Politik, die Schulen immer neue Aufgaben überträgt, ohne die Voraussetzungen dafür zu schaffen. „In der Zeit von Multikrisen müssen wir schnell reagieren – aber wir brauchen Zeit und Ressourcen dafür. Der Versuch, das in eine symbolische Doppelstunde zu pressen, geht völlig an der Realität vorbei.“ Schule sei längst Krisenraum, aber auch Hoffnungsort. „Wir Lehrerinnen und Lehrer sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber wir brauchen dafür politische Rückendeckung, nicht politische Schlagzeilen.“ News4teachers
Doppelstunde pro Schuljahr: Dobrindt will Schüler auf Krisen- und Kriegsfall vorbereiten
