BERLIN. Die Lehrer in Deutschland sehen sich durch ihre Schüler immer stärker gefordert – vor allem als Erzieher. Die Pädagogen stellen eine gesunkene Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft ihrer Schützlinge fest. Dies sind Ergebnisse der Studie „Eltern – Lehrer – Schulerfolg“, die Anfang der Woche in Berlin vorgestellt wurde.
„Fast alle Lehrer stellen im Vergleich zur Situation vor 15, 20 oder 25 Jahren eine niedrigere Anstrengungsbereitschaft ihrer Schülerschaft fest“, heißt es in der Untersuchung, die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums und der Konrad-Adenauer-Stiftung von der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern vorgelegt wurde. Die Ursache für die von ihnen beobachtete mangelnde Motivation der Kinder und Jugendlichen sehen Lehrer darin, dass die heutigen Schüler weniger als die Generation zuvor die Notwendigkeit erkennen würden, sich anzustrengen. Zudem erfolge der Wissenserwerb immer häufiger über das Internet. Für Jugendliche scheine die Schule ihre Hoheit über Wissen und Wissensvermittlung weitgehend verloren zu haben: „Die Schüler entwickeln immer später ein zielführendes Lernverhalten“, kritisiert die Mehrzahl der Pädagogen.
Gleichzeitig allerdings beobachten dem Bericht zufolge Lehrer an Gymnasien einen gestiegenen Leistungsdruck, der auf den Schülern laste – wegen G8, insbesondere wegen der Einführung der zweiten Fremdsprache schon in Klasse 6, einer wachsenden Anzahl an Vergleichsarbeiten und dem häufigen Nachmittagsunterricht. Aber auch die hohen Erwartungen der Eltern hinsichtlich eines guten Schulabschlusses werden genannt.
Während in früheren Zeiten nur einzelne Schüler besonderen Belastungen ausgesetzt gewesen seien, stellen Lehrer heute eine zunehmende Zahl von Schülern mit vielfältigen Belastungsfaktoren fest. „Immer mehr Heranwachsende leben in nicht intakten Herkunftsfamilien oder in neu formierten Patchwork-Konstellationen und müssen eine Trennung oder Scheidung ihrer Eltern verarbeiten. Hinzu kommen Arbeitslosigkeit oder psychische Erkrankungen eines oder beider Elternteile, die die Jugendlichen belasten und Auswirkungen auf ihre Schulleistungen haben. Zugenommen haben auch psychische Störungen, Essstörungen, ADHS, individuelle Leistungsstörungen sowie Schul- und Prüfungsangst“, heißt es. Solche Belastungsfaktoren häuften sich bei Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern, seien aber auch in der gesellschaftlichen Mitte zu finden.
Zu viel Medienkonsum begrenzt die Aufnahmefähigkeit
Eine wesentliche Ursache für ein sinkendes Leistungsniveau in allen Schularten sehen Lehrer der Untersuchung zufolge in der mangelnden Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit der Schüler durch deren vielfältige Nutzung von Medien. Ein vertieftes Lernen mit längeren Konzentrationsphasen gelinge immer weniger Schülern. „Die Lebenswirklichkeit heutiger Jugendlicher ist geprägt von der Gleichzeitigkeit der Lebensbereiche, in der Schule nur ein Element ist. Lernen erfolgt nicht mehr an festen Orten, zu festen Zeiten und ohne Unterbrechung. Medien in Form von Handy, PC oder TV bieten attraktive Gegenwelten ohne kognitive Zumutungen mit eigenen Anerkennungsarenen“, so berichten die Autoren der Studie.
In ihrem beruflichen Alltag sähen sich Lehrer deshalb heute gefordert, zulasten der Vermittlung von Wissen deutlich mehr Erziehungsaufgaben zu übernehmen. Vor allem Lehrer an Haupt-, Mittel-, Real- und Gesamtschulen sehen sich Schülern gegenüber, die ihnen ohne erkennbare Erziehungsstruktur und ohne Erfahrung von Grenzen gegenübertreten. Parallel dazu treffen sie auf Eltern (vorwiegend in den unteren Milieus), die die Erziehung ihrer Kinder praktisch aufgegeben haben und an die Schule delegieren. Von praktischer und emotionaler Verwahrlosung ist eine steigende Zahl von Kindern in allen sozialen Schichten betroffen – wenngleich seltener aus Akademikerfamilien.
Von der Politik fühlen sich die Lehrer weitgehend im Stich gelassen. „Die aktuellen Schulreformen sind keine Antwort auf die drängenden Probleme im Schulalltag, sondern tragen aus Sicht der Lehrer zur Belastung des Schulalltags bei“, heißt es. Die Folge: eine wachsende Resignation. Lehrer in Deutschland fühlten sich zunehmend als „Befehlsempfänger“, deren Alltagserfahrungen weder bei der Planung noch bei der Umsetzung und Bewertung von Reformmaßnahmen einbezogen würden. News4teachers
(27.2.2013)
