Ein offener Brief zum Jahreswechsel: Liebe Schulpolitiker …

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Ein ironischer Jahresrückblick von NINA BRAUN.

Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: Bildungsjournalisten.de
Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: Bildungsjournalisten.de

Liebe (Bildungs-)Politiker in Deutschland,

marode Schulgebäude? Ausgebranntes Personal? Bildungsungerechtigkeit? Ach was. Eure Motivationskraft, Euer Wirken fast wie von Zauberhand überstrahlt alles, was die Unken von der Presse und den Verbänden zu quaken haben. Ich muss mir das mal von der Seele schreiben. Wie Ihr es immer wieder schafft, den – zugegeben – real hin und wieder auftretenden Problemen und Problemchen im Bildungssystem zu begegnen, in dem Ihr den Schwarzen Peter lächelnd an die zurückgebt, die ihn übellaunig ins Spiel gebracht haben, das ist schon bemerkenswert und wird viel zu wenig gewürdigt. Das soll hier und jetzt geschehen: ein dreifaches Hurra auf so viel weise Staatskunst.

Wie? Ihr versteht nicht so recht, womit Ihr das Lob verdient habt? Na, es ist doch toll, wie Ihr es immer wieder schafft, eine so störrische und (sprechen wir’s mal deutlich aus – wir sind ja unter uns) arbeitsscheue Klientel wie die Lehrerschaft an die Kandare zu nehmen. Ihr seid ganz schön ausgefuchste Motivatoren, von denen sich so mancher Sklaventreiber, äh, Personalchef in der Wirtschaft etwas abgucken könnte. Was beim damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder seinerzeit noch als freundlich-joviale Neckerei daherkam („faule Säcke“), habt Ihr zu einem stimmigen Motivationskonzept ausgebaut. Und dabei aus der überkommenen pädagogischen Formel „Zuckerbrot und Peitsche“ das überflüssige „Zuckerbrot“ gestrichen. So schlicht, so genial.

Ihr wisst immer noch nicht genau, wovon hier die Rede ist? Dann will ich das mal anhand einiger aktueller Beispiele aufzeigen. Baden-Württemberg etwa bietet derzeit beste Anschauung. Da möchte eine Landesregierung das bisherige gegliederte Schulsystem nur ein wenig komplett umkrempeln und kündigt zur Einstimmung die Streichung von 11.600 Lehrerstellen bis 2020 an, weil ja auch gespart werden muss. Leicht einzusehen. Aber was machen die Lehrer und ihre Verbände? Jammern herum, protestieren und demonstrieren. Da haben sie die Rechnung aber ohne die Partei gemacht, die in Stuttgart das Kultusministerium so souverän führt, das sie erst nach 20 Monaten einen Ministerwechsel vornehmen musste. (Die erste Amtsinhaberin soll immer zu spät zu Terminen gekommen sein und war auch bei der Pressekonferenz zum Schuljahresauftakt noch in Urlaub – was die Neidhammel von den Lehrerverbänden ihr übelnahmen.) Der Fraktionschef jedenfalls mochte sich solch destruktives Gehabe von Pädagogenseite nicht länger anschauen und kartätschte verbal dazwischen. „Heulsusen“ seien das, die organisierten Lehrer, so diktierte er der Presse in die Blöcke.

Die Gescholtenen hatten kaum Zeit, diese fein vorgetragene Kritik auf sich wirken zu lassen, da kam schon die nächste Breitseite – diesmal vom neuen Kultusminister selbst, einem Juristen, der den Lehrern angesichts einer weiteren Sparmaßnahme, der Kürzung von Anrechnungsstunden nämlich, ihren Job erklärte. Die Ausgabe von Taschenrechnern gehöre zur Aufgabe dazu und müsse nicht extra bei der Arbeitszeit berücksichtigt werden, so befand er im Landtag und beschämte damit eine Klientel, die sich wirklich jede Kleinigkeit wie die Wartung der Schul-PC oder Arbeiten in der Schulbibliothek anrechnen lassen will. Wo doch jeder Minister abends ehrenamtlich die Ministeriums-PC wartet und die Ministeriumsbibliothek betreut.

Aber so nicht! Nur wenige Tage später setzte der Kultusminister noch einen drauf: Er forderte die Lehrer via Presse auf, Praktika in der Wirtschaft zu machen – selbstverständlich während der Ferien, von denen Lehrer ja bekanntlich Unmengen haben. Rrrrrumms. Das saß. (Dass er wenige Tage später einen Rückzieher machte á la „war nicht bös‘ gemeint“, gehört natürlich zur Strategie – es geht ja immer nur um die Sache, augenzwinker, und nie darum, das Bild der Lehrerschaft in der Öffentlichkeit zu beschädigen und auf deren Kosten zu punkten, kicherkicher).

Einfallsreich, wenn’s um die Motivation des Personals in den Schulen geht, zeigen sich auch andere Bundesländer – Sachsen beispielsweise. Die Lehrerverbände dort forderten unter anderem Tarifverhandlungen für die angestellten Lehrer (andere gibt es dort sowieso nicht) und eine neue Altersteilzeit-Regelung. Der Finanzminister reagierte und legte Eckpunkte vor, die weit unter den Forderungen der Pädagogen lagen und Tarifverhandlungen gar nicht erst erwähnten. Großzügige Geste. Dafür wollte der Mann zu recht auch etwas haben. Im Gegenzug erwarte die Regierung, so sagte er auf einer Pressekonferenz, dass es bis Ende kommenden Jahres keine Lehrerstreiks mehr gebe, die schon seit dem vergangenen Jahr den Freistaat erschüttern. Das Land habe durch das jüngste Hochwasser wichtige Probleme zu bewältigen, so dass man an der „Lehrerfront“ vorerst Ruhe haben wolle. Jawoll, Herr General, so wird’s gemacht. Not gegen Elend auszuspielen, das zieht immer.

In diesem Jahr hat die Bildungspolitik ein Feuerwerk nach dem anderen gezündet. Foto: Jerry Daykin / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)
In diesem Jahr hat die Bildungspolitik ein Feuerwerk nach dem anderen gezündet. Foto: Jerry Daykin / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Gibt es eigentlich, liebe (Bildungs-)Politiker, so was wie einen parteiübergreifenden Wettbewerb im Lehrer-Bashing, eine Art „Orden wider den tierischen Ernst“ der Schulpolitik? Wenn nicht: Hier wären geeignete Preisträger, die durch eine besonders originelle Art der öffentlichen Herabwürdigung von Pädagogen in jüngster Zeit aufgefallen sind. Die Liste darf von einem möglichen Stifter (Herr Burda – Bildungsbambi?) gerne als Grundlage für eine solche Ehrung genutzt werden. Bitte, bitte, keine Ursache.

• Platz fünf geht dabei an die neue niedersächsische Landesregierung, die ihre „Bildungsoffensive“ damit eröffnete, dass sie den Gymnasiallehrern eine kleine Erhöhung der Unterrichtszeit von 23,5 auf 24,5 Stunden aufbrummte und für alle Lehrer die für 2014 bereits vereinbarte Arbeitszeitermäßigung ab dem 55. Lebensjahr auf nicht absehbare Zeit aussetzte. Das sorgte gleich für Schwung.

• Platz vier hat sich der Berliner Senat redlich verdient, der seinen für einen Tarifvertrag streikenden angestellten Lehrern mit einem Maßnahmenbündel nach eigenem Bekunden entgegenkommen wollte. Der Katalog enthielt Mehrarbeit in den Ferien – aber keinen Tarifvertrag.

• Dritter: Altbundespräsident Roman Herzog, der in einem Interview befand, „dass diese ganzen sogenannten Reformen (nach PISA) in erster Linie Organisationsspielereien waren, die im überwiegenden Interesse der Lehrer veranstaltet wurden“. G8 zum Beispiel wurde also nur den Lehrern zuliebe eingeführt? Interessant. Wahrscheinlich, weil die Lehrer Schüler und Eltern mal so richtig ärgern wollten.

• Platz zwei geht an den Wirtschaftsweisen Lars Feld (zwar kein Politiker, aber er kann’s ja noch werden). Der Ökonomikus befand in einem Interview zur Bildungspolitik: „Es mangelt an Qualität und Einstellung der Lehrer. Das heißt: Wir müssen die Lehrerausbildung verbessern, und wir müssen den Lehrern kontinuierlich Anreize liefern, damit ihre Anstrengungen im Unterricht nicht abflachen.“ Mal frech dazwischengefragt, lieber Herr Feld: Wie läuft das denn so bei Wirtschaftsprofessoren? Gibt’s Extra-Kohle für Beiträge zu Themen, von denen man offenbar keine Ahnung hat, oder sprudelt das ohne Anreize heraus?

• Sieger unseres kleinen Wettbewerbs, tätäääää, ist dagegen jemand vom Fach: nämlich Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh, bis zum Jahreswechsel Präsident der Kultusministerkonferenz. Er forderte die Lehrer zu mehr Engagement beim gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht-behinderter Schüler auf. Es fehle etlichen Pädagogen an der Bereitschaft, sich auf die Inklusion einzustellen, sagte Dorgerloh in einem Zeitungsinterview. Ha, ha, der ist gut. Erst kündige ich mit viel Brimborium den kompletten Umbau der Schullandschaft an, dann stelle ich fest, huch, das kostet ja mehr Geld, als ich aufbringen will, und schließlich mache ich die Lehrer zu denjenigen, die’s verbockt haben. Ist klar. Und den Großflughafen Berlin-Brandenburg haben die Bauarbeiter in den Sand gesetzt; die bauen ja auch schon ewig daran herum.

Überhaupt: Inklusion. Bei dem Thema demonstriert die nordrhein-westfälische Landesregierung, wie Lehrer auch ohne ein einziges böses Wort brüskiert werden können – nämlich komplett ohne Worte. Die Landesregierung schweigt konsequent, obwohl ansonsten durchaus sprechfähig, zu der Frage, was denn die Inklusion kostet (insbesondere in Lehrerstellen) und wie sie das zu zahlen gedenkt. Dabei schafft sie längst Fakten, indem sie beispielsweise den Rechtsanspruch von Eltern auf freie Schulwahl einführt.

Wortreich fällt hingegen die Erklärung der Landesregierung aus, warum sie höheren Beamten in NRW (und damit dem Gros der Lehrerschaft) in diesem und im nächsten Jahr keine Besoldungserhöhung zahlen will. Nein, natürlich nicht wegen der Inklusion. In dem 18-seitigen Papier, das offenbar schon der Vorbereitung der vom VBE und anderen Verbänden angestrengten Musterprozesse gegen die Nullrunden dienen soll, wird vielmehr den Betroffenen erklärt, warum sie ohnehin schon glückliche Menschen sind: „Bei größerer Planungssicherheit kann ein geringerer Lohnbetrag zu einem höheren Lebenskomfort führen als ein höherer Einkommensbetrag bei unsicherer Zukunftsprognose.“ Und ein noch geringerer Lohnbetrag, so denken wir uns das weiter, macht dann wohl noch glücklicher.

Weiter erinnert der Finanzminister die vergesslichen Lehrer und andere Beamte an all die Wohltaten, die ihnen das Leben bereits jetzt versüßen: „Die Arbeitsplatzsicherung, die Gewissheit, welche die Gewährung einer Pension mit sich bringt, und die übrigen beamtenrechtlichen Sicherungsinstrumente haben für die meisten Menschen weiterhin einen sehr hohen Stellenwert.“ Die zahlreichen Anträge insbesondere der Lehrerschaft auf Übernahme in ein Beamtenverhältnis verdeutlichten dies „auf eindeutige Weise“. Im Land Nordrhein-Westfalen sei kein Fall bekannt, in dem ein Beamter seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis wegen geringerer Alimentation im Vergleich zum Entgelt in dem entsprechenden Tarifbeschäftigtenverhältnis verlangt habe – und dies sei auch künftig nicht zu erwarten. (Natürlich nicht: Die angestellten Lehrer verdienen ja noch weniger. Ihnen wurde ja unlängst ein eigener, bundesweit geltender Tarifvertrag verweigert, der die Eingruppierung nach Gutsherrenart durch jedes einzelne Bundesland beendet und ihren Angestelltenstatus damit aufgewertet hätte.)

Fazit des Finanzministers: „Der Reallohnverlust ist für die betroffenen Besoldungsgruppen zu verkraften.“ Ob nach diesen einfühlsam-warmen Worten zu erwarten ist, dass sich Scharen von Bewerber auf die vakanten Schulleiterstellen in NRW stürzen? Oder auf die freien Lehrerstellen in den naturwissenschaftlichen Fächern, die in Konkurrenz zur Wirtschaft angeboten werden?

Wohl eher nicht. Denn: Lehrer sind renitent und – so deutlich muss ich es leider sagen – völlig motivationsunempfänglich. Wie anders ist es zu erklären, dass trotz Eurer Bemühungen, liebe (Bildungs-)Politiker, noch immer in Berlin gestreikt, in Niedersachsen demonstriert, in Sachsen und Baden-Württemberg gezankt und in NRW geklagt wird? Wie wäre es, liebe (Bildungs-)Politiker, wenn Ihr mit Eurem Talent, Menschen für Ideen zu begeistern und mitzureißen, mal in die Schulen gehen würdet? Und dort Schüler begeistern und mitreißen würdet? Dann könnten die Lehrer mal sehen, wie sich Unterricht unter dem Jubel der Pubertierenden mit großem, zweifellos sogar bei PISA messbaren Erfolg machen ließe. Wie? Keine Zeit? Klar, Ihr müsst ja die Lehrer antreiben.

Anstrengende Aufgabe. Das weiß:

Eure Nina Braun

 

Der Text erschien zuerst in „Schule heute“, dem Magazin des VBE in Nordrhein-Westfalen.

 

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