Günter Grass ist tot – noch vergangenes Jahr gab er Lehrern eine Fortbildung

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LÜBECK. „Die Schule ist ein geschützter Raum. Außerhalb der Schule herrscht ein raueres Klima. Mit Gegenwind ist zu rechnen. Doch darauf wird es ankommen: auch bei Gegenwind den Mund aufzumachen, gegen den Wind laut ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ zu sagen und dieses ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ zu begründen.“ Dies sagte Günter Grass 2009 vor Schülerinnen und Schülern der Paul-Natorp-Oberschule in Berlin, wo er anlässlich einer Abiturfeier als Gastredner auftrat. Jetzt ist der Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger tot. Er starb am Montag im Alter von 87 Jahren in Lübeck. Im vergangenen Jahr noch hatte Grass eine Fortbildung für Lehrer veranstaltet.

"Mit Gegenwind ist zu rechnen": Günter Grass. Foto: Blaues Sofa from Berlin, Wikimedia Commons (CC BY 2.0)
„Mit Gegenwind ist zu rechnen“: Günter Grass. Foto: Blaues Sofa from Berlin, Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Wie das Günter-Grass-Haus in Lübeck erklärte, sei der Autor einer Infektion erlegen. Das Museum veröffentlichte zum Tode des Autors auf seiner Homepage das Grass-Gedicht „Wegzehrung“: „Mit einem Sack Nüsse will ich begraben sein und mit neuesten Zähnen. Wenn es dann kracht, wo ich liege, kann vermutet werden: Er ist das, immer noch er.“ Grass hatte in dem Haus im vergangenen Juli Deutschlehrern bei der Vorbereitung von Abituraufgaben geholfen, in dem er Fragen zu seiner Novelle „Im Krebsgang“ veröffentlichte.

Grass galt als einer der weltweit bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Lebenslang schaltete er sich leidenschaftlich in gesellschaftspolitische Debatten ein. Gleich sein erster, 1959 erschienener Roman „Die Blechtrommel“, geriet zum Welterfolg. 40 Jahre später wurde Grass für sein Gesamtwerk mit dem Literatur-Nobelpreis geehrt.

„Die Blechtrommel“ brachte dem gebürtigen Danziger auch international den Durchbruch. Sie gehört zu den wichtigsten Romanen der deutschen Nachkriegsliteratur und gilt als Jahrhundertwerk. Das Nobelpreis-Komitee nannte das Buch die „Wiedergeburt des deutschen Romans im 20. Jahrhundert“. Grass erzählt darin von den Erlebnissen des aus Danzig stammenden Zwerges Oskar Matzerath, der sich mit drei Jahren weigert, weiter zu wachsen.

Das Erscheinen des Bildungs- und Schelmenromans rief in der Bundesrepublik manche Sittenwächter auf den Plan, die sich an den teils deftigen erotischen Szenen störten. Seit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann habe kein Erstling einen derartigen Aufruhr verursacht, befand das Nobelpreiskomitee. Die Verfilmung des deutschen Regisseurs Volker Schlöndorff wurde 1980 mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet.

Der zuletzt in Behlendorf bei Lübeck lebende Grass hatte nach dem Krieg eine Steinmetzlehre gemacht und in Düsseldorf und Berlin Kunst studiert; er war Bildhauer und Grafiker. Er zeichnete auch und schrieb Gedichte. „Die Blechtrommel“ bildet zusammen mit der Novelle „Katz und Maus“ (1961) und dem Roman „Hundejahre“ (1963) die sogenannte Danziger Trilogie.

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Weitere wichtige Werke sind die Novelle „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“, die Romane „Der Butt“ (1977) und „Die Rättin“ (1986), das skandalumrankte Buch „Ein weites Feld“ (1995) sowie die Novelle „Im Krebsgang“ (2002). Fast ein halbes Jahrhundert nach der „Danziger Trilogie“ schrieb Grass seine „Erinnerung der Trilogie“ mit drei autobiografischen Bänden.

Der erste autobiografische Band „Beim Häuten der Zwiebel“ sorgte 2006 für manchen Aufschrei. Überraschend machte Grass öffentlich, dass er als 17-Jähriger am Ende des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS war. Dem Autor wurde vorgeworfen, seine SS-Zugehörigkeit zu lange verschwiegen zu haben, während er andere immer wieder wegen ihrer NS-Vergangenheit öffentlich kritisiert habe. Grass hatte wegen des Krieges kein Abitur machen können; nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft hatte er es nachholen wollen – es sich dann aber anders überlegt und  als Koppeljunge in einem Kalibergwerk zwischen Hildesheim und Hannover gearbeitet.

In der Bundesrepublik engagierte sich Grass schon seit den 1960er Jahren als Gesellschaftskritiker. Seit den 1960er Jahren warb er in Wahlkämpfen für die SPD. Aus Protest gegen deren Asylpolitik trat er 1992 zwar aus der Partei aus, blieb ihr aber bis zuletzt verbunden. Früh setzte er sich auch für eine deutsch-polnische Verständigung und für den Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete ein. Immer wieder löste er heftige Kontroversen aus, zuletzt 2012 wegen eines Israel-kritischen Gedichts.

„Eigentlich schade“, so sagte Grass 2009 vor den Schülerinnen und Schülern der Paul-Natorp-Oberschule in Berlin, „dass ich nie die Chance hatte, hier Schüler sein zu dürfen. Vielleicht hätte ich doch noch das Abitur geschafft!“  News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Bildungsdebatte – Warum der Deutsch-Unterricht fast nur noch tote Autoren behandelt

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