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Die AfD wirft Lehrern vor, Kinder durch Sexualaufklärung “akut zu gefährden” – Dragqueen Olivia Jones liest ihr dafür die Leviten

MAGDEBURG. Olivia Jones setzt ein Zeichen für Toleranz – gegenüber den Intoleranten. Eine Lesung der Dragqueen im Magdeburger Landtag wird zur Abrechnung mit den Positionen der AfD. Die kommt zeitlich gerade passend: Denn die Partei hat gestern eine Erklärung veröffentlicht, in der sie Schulen und Kitas in Deutschland vorwirft, Kinder “mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton” zu konfrontieren.

Warb vor AfD-Abgeordneten für Toleranz: Olivia Jones. Foto: 9EkieraM1 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

An klaren Worten spart Olivia Jones nicht. «Weltweit ist Hass wieder salonfähig», sagt die Travestiekünstlerin bei einer Lesung im Magdeburger Landtag. «Parteien wie die AfD gießen immer wieder Öl ins Feuer und schüren diesen Hass – das finde ich ziemlich pervers.» Die Veranstaltung auf Einladung der Grünen-Fraktion nutzt Jones zur Abrechnung mit den Rechtspopulisten. Schwule, Lesben, Transsexuelle – sie alle würden als unnormal beschimpft und müssten wieder zunehmend Hass und Anfeindungen ertragen. «Dabei wollen wir nicht mehr Rechte als andere, wir wollen einfach die gleichen Rechte», betont Jones.

“Respektvoll miteinander umgehen”

Doch die Dragqueen macht deutlich, dass sie trotz aller Beschimpfungen auf Dialog setzt. Mehrmals fordert sie im Saal anwesende AfD-Abgeordnete auf, sich an der Diskussion zu beteiligen. «Warum tolerieren Sie nicht einfach die Meinung der AfD?», schleudert ihr der AfD-Abgeordnete Daniel Rausch entgegen. Jones reagiert gelassen. «Toleranz bedeutet nicht, gegeneinander zu hetzen, sondern respektvoll miteinander umzugehen», gibt sie zurück.

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Jones – gekleidet in ein schwarz-orange-pink gemustertes Kostüm und mit orangefarbener Perücke – hat ihr Kinderbuch «Keine Angst in Andersrum» mitgebracht. Sie liest im Landtag ein Kapitel daraus vor. Es geht um das Gespräch einer Familie am Küchentisch, der Junge hat in der Schule das Wort «schwul» als Schimpfwort aufgeschnappt. Also erklärt ihm die Tante, dass daran nichts Ekliges ist. Und sie erzählt von dem Land «Andersrum», wo alles eben ein bisschen anders ist – aber deswegen nicht weniger normal. Zum Beispiel gibt es dort Feuerwehrfrauen und Kinderkrankenbrüder. Das Publikum lacht schallend.

Jones’ Buch steht auf einer Liste des Ministeriums für Gleichstellung mit Buchempfehlungen zur «Geschlechter- und Familienvielfalt» für Kitas und Grundschulen. Die Liste ist auch Teil eines sogenannten «Kita-Koffers» mit Unterrichtsmaterialien, den die Landesregierung in Sachsen-Anhalt gerade erstellt. Der AfD ist das ein Dorn im Auge.

Neue Prüderie in Deutschland? Eltern setzen Schulen wegen Sexualerziehung zunehmend unter Druck

Es ist gerade einen Tag her, dass die Partei ihre «Magdeburger Erklärung zur Frühsexualisierung» vorgestellt hat. Darin wirft sie Kitas und Schulen vor, Kinder “mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton“ zu konfrontieren und warnt vor einer angeblichen seelischen Belastung von Kindern, wenn sie frühzeitig über andere Formen des Zusammenlebens aufgeklärt werden (im Wortlaut unten). Vorrang müsse die Ehe von Mann und Frau haben, weil nur aus dieser Beziehung Kinder hervorgehen könnten.

«Ich dachte, wir wären da schon weiter», sagt Grünen-Landeschef Christian Franke bei einer Diskussionsrunde nach der Lesung. «Familie ist da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen.» Ganz egal, ob es sich dabei um eine Beziehung von Mann und Frau handle oder nicht.

Vor der Lesung kommt Jones kurz mit dem AfD-Fraktionschef André Poggenburg zusammen – beobachtet werden will Poggenburg dabei nicht. Das Gespräch sei «mittelmäßig verlaufen», sagt Jones. Poggenburg habe ein bisschen zurückgerudert, aber überzeugen können habe sie ihn wohl nicht. Die AfD habe Jones zur Diskussion in eine Fraktionssitzung eingeladen, hieß es in einer Mitteilung der Partei. Jones hatte vor zwei Monaten Anzeige wegen Volksverhetzung gegen Poggenburg gestellt, nachdem die AfD in einem Facebook-Post Homosexualität mit Pädophilie in Zusammenhang gebracht hatte.

Die größten Lacher erntet bei der Diskussion nach der Lesung dann ausgerechnet ein AfD-Abgeordneter – für einen Versprecher. Mit Blick auf den Kita-Koffer der Regierung schimpft Hannes Loth: «Wir brauchen kein Aktionsprogramm, das Heterosexualität bekannter macht.» Dragqueen Jones reagiert schlagfertig: «Ja, weil die ist ja schon bekannt genug.» Von Simon Ribnitzky, dpa

 

Hintergrund: Die „Magdeburger Erklärung“ der AfD

MAGDEBURG. Die AfD wirft Schulen und Kindertagesstätten in Deutschland vor, Kinder durch Sexualaufklärung „mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton“ zu konfrontieren. Dies ist der Tenor einer „Magdeburger Erklärung“, den AfD-Abgeordnete aus allen Landtagen, in denen die Partei vertreten ist, unterzeichnet haben. Der Initiator der Erklärung, der AfD-Abgeordnete Ulrich Siegmund aus Sachsen-Anhalt, sprach einem Bericht der „Welt“ zufolge von einer „akuten Gefährdung“. Beispiele, wo Kinder im Unterricht derart bedrängt wurden, blieb Siegmund schuldig  – er konnte offenbar lediglich auf den (längst befriedeten) Streit um den baden-württembergischen Sexualkunde-Bildungsplan verweisen. Konkrete Beispiele aus der Praxis? Fehlanzeige.

In der AfD-Erklärung heißt es wörtlich (alte Rechtschreibung im Original): „Wir bekennen uns zum Recht und zur Pflicht der Eltern, ihre Kinder im Sinn ihrer eigenen Lebens- und Wertevorstellungen zu erziehen, so lange dadurch das Kindeswohl nicht objektiv gefährdet wird. Dies gilt insbesondere für die Sexualerziehung. (…)

Wir bekennen uns zum Recht jedes Kindes, vor Frühsexualisierung geschützt zu werden. Kinder sind keine jungen Erwachsenen. Die Kindheit ist eine besondere Zeit, eine Zeit der Freiheit, eine Zeit der Aufnahme- und Prägefähigkeit und eine Zeit der Unschuld. Dies erfordert besondere Vorsicht im Umgang mit unseren Kindern.

Wir bekennen uns zu einem Schulunterricht, der auch die Botschaft vermittelt, daß nicht Triebbefriedigung, sondern eine intakte Familie primäres Lebensziel sein sollte. Eingedenk der hohen Bedeutung der Familie und angesichts unserer Verantwortung als gewählte Vertreter des gesamten deutschen Volkes wenden wir uns aus den geschilderten Gründen entschieden gegen alle Versuche, andere Formen des Zusammenlebens und Sexualverhaltens gleichwertig neben Ehe und Familie zu stellen.

Wir wenden uns dagegen, daß unsere Kinder in Schule und KITA mit scham- und persönlichkeitsverletzenden Inhalten in Wort, Bild und Ton konfrontiert werden.

Wir wenden uns gegen alle Versuche des Staates, in die Erziehungshoheit der Eltern einzugreifen, die natürlichen Vorstellungen, die sich unsere Kinder von Familienleben und Geschlechterrollen bilden, systematisch zu verunsichern und unsere Kinder in dem Glauben zu erziehen, die Ehe sei nur eine beliebige Form des Zusammenlebens, die gleichwertig neben allen anderen Formen steht.“

Was das nun konkret für die Sexualerziehung in der Schule bedeuten soll – immerhin Bestandteil aller Schulgesetze in Deutschland –, auch dazu konnte oder wollte die AfD sich nicht erklären.

 

 

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