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Gastbeitrag: Und sie ist doch wichtig – warum die Bedeutung der Klassengröße oft verkannt wird

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BREMEN. Seit Jahren hören wir aus der Politik: Kleine Klassen bringen nichts. Sie seien teuer, aber die Schüler lernten nicht mehr als in größeren Gruppen. Als Kronzeugen für solche Urteile werden Studien wie PISA und Hatties großer Forschungsüberblick von 2013 herangezogen. Wichtiger als die Klassengröße sei die Art des Unterrichts.

Richtig ist: Eine kleine Gruppengröße kann sich nicht auszahlen, wenn in einer Förderklasse mit 9 Kindern alle im Gleichschritt denselben Lehrgang bearbeiten, Und umgekehrt werden die Schülerinnen auch in einer dreimal so großen Klasse besser lernen, wenn der Unterricht Raum für individuelle Lernwege bietet, als wenn alle zur gleichen Zeit dieselbe Aufgabe bearbeiten müssen. Kompetenz der Lehrperson und didaktisches Konzept sind zentrale Bedingungen für den Unterrichtserfolg. Aber ist die Klassengröße deshalb unwichtig?

Auf den ersten Blick sprechen viele Forschungsbefunde für diese These. Allerdings stammen sie aus Querschnittuntersuchungen, in denen verschiedenen Bedingungen zur gleichen Zeit erhoben werden. Das macht es schwierig, Ursache und Wirkung auszumachen. So vergibt manches Schulamt mehr Lehrerstunden an Schulen in sozialen Brennpunkten, die deshalb die Klassen verkleinern können. Auch innerhalb einer Schule wird oft versucht, Lehrer/innen zu entlasten, in deren Klassen sich Schüler/innen mit Schwierigkeiten konzentrieren. Schwache Leistungen sind dann nicht die Folge von kleinen Gruppen, sondern der Grund für ihre Bildung.

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Aussagekräftig sind insofern nur Längsschnittstudien. Der Bildungsforscher William J. Mathis hat die Ergebnisse der us-amerikanischen Forschung in einem aktuellen Überblick zusammengefasst. Er kommt zu demselben Schluss wie schon 2003 die American Educational Research Association: Kleinere Klassen führen unmittelbar zu besseren fachlichen Leistungen, darüber hinaus haben sie auch langfristig positive Wirkungen, zum Beispiel machen die Schüler/innen bessere Abschlüsse und erzielen höhere Einkommen im Beruf. Der Bildungsökonom Alan Krueger kommt sogar zu dem Schluss, dass der volkswirtschaftliche Nutzen den finanziellen Aufwand für kleiner Klassen überwiegt.

Wen wunderts – die Klassengröße spielt doch eine Rolle, sagt unser Autor. Foto: Jens Rötzsch / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Ganz zu schweigen von den sozialpolitischen Vorteilen. Denn von einer Verkleinerung der Gruppengröße profitieren vor allem Kinder aus armen Familien und aus Minderheitengruppen. Die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft schrumpft erheblich. Ein wichtiges Argument in Zeiten großer Flüchtlingsströme. Als Gründe nennt Mathis Bedingungen, die auch Lehrer/innen aus ihrer Alltagserfahrung vertraut sind: stärkere Individualisierung des Unterrichts und mehr Zeit für eine individuelle Zuwendung zu einzelnen Kindern, mehr Aufwand für die Durchsicht von Schülerarbeiten, wirksamere Klassenführung und besseres Sozialklima, mehr Zeit für Absprachen mit Eltern.

Allerdings reicht, wie auch das Eingangsbeispiel zeigt, eine bloß zahlenmäßige Reduktion der Klassengröße nicht aus: Um die Potenziale kleiner Gruppen voll zu nutzen, müssen auch Lehrer/innen ihren Unterrichtsstil ändern. Dies ist eine Aufgabe der Lehreraus- und -fortbildung.

Über den Autor

Hans Brügelmann war bis Februar 2012 Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Siegen. Seit seiner Pensionierung ist er selbstständiger pädagogischer Publizist, Fachreferent “Qualitätsentwicklung” des Grundschulverbands, Frankfurt und Mitglied im Vorstand der Landesgruppe Bremen des Grundschulverbands.

Der Artikel erschien erstmals in der Zeitschrift Grundschule aktuell des Grundschulverbands Nr. 135/September 2016.

Quellen

AERA (2003): Class size: Counting students can count. In: Research Points, Vol. 1, No. 2, 1-4.

Brügelmann, H. (2005): Schule verstehen und gestalten  – Perspektiven der Forschung auf Probleme von Erziehung und Unterricht. Libelle: CH-Lengwil, Kap. 54 & 55.

Mathis, J. M. (2016): The effectiveness of class size reduction. School of Education/ University of Colorado Boulder http://nepc.colorado.edu/publication/research-based-options

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