Beispiel Nordrhein-Westfalen: Es gibt dort 178.000 fest angestellte oder verbeamtete Lehrkräfte, dazu kommen rund 10.000 mit befristeten Verträgen. Im April, so meldet die „Rheinische Post“, waren landesweit 1172 Lehrer arbeitslos gemeldet – das entspricht einer (nur auf Lehrkräfte bezogenen) Arbeitslosen-Quote von 0,62 Prozent. Ähnliche Rechnungen lassen sich für andere Bundesländer anstellen. Etwa für Sachsen, wo im vergangenen Jahr 1,75 Prozent der Lehrkräfte als arbeitssuchend galten. Diese Größenordnung, so die sächsische Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU), sei – trotz eines grundsätzlichen Lehrermangels – eine normale Erscheinung, die vor allem mit der Freiheit der Arbeitsplatzwahl und dabei auftretenden Verzögerungen bei einem Stellenwechsel zusammenhänge.
Deutsch und Spanisch? “Kein Bedarf”
Dazu kommt: Gesucht wird Lehrernachwuchs vor allem für die Grundschulen. Die 28-jährige arbeitslose Lehrerin aus NRW hat aber aufs Lehramt Gymnasium studiert – für die Schulform also, an der am meisten gezahlt wird und wo es (deshalb?) den geringsten Fehlbedarf an neuen Kräften gibt. Es sei denn, Bewerber hätten Mangelfächer wie Mathematik oder eine der Naturwissenschaften anzubieten. Das hat die stellensuchende Junglehrerin aber nicht: Sie kann Deutsch und Spanisch unterrichten, Fächer also, für die derzeit tatsächlich in NRW wenig Aussichten bestehen. Die GEW aber macht Mut: „Auch wenn aktuell in dieser Fächerkombination kein Bedarf herrscht, so kann sich das in kurzer Zeit wieder ändern, da zahlreiche Lehrer in Pension gehen”, so zitiert die „Rheinische Post“ Berthold Paschert, Sprecher der nordrhein-westfälischen GEW.
Derweil suchen die Bundesländer händeringend insbesondere nach Grundschullehrkräften. „Der Markt ist zurzeit wie leergefegt. Der Lehrerbedarf ist in ganz Deutschland zurzeit hoch“, erklärte Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) in einem Interview mit der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“. Warum? „Aufgrund verschiedener Prognosen wurde Lehramtsstudenten in den Jahren 2010/2011 in Hessen nicht dazu geraten, Grundschullehramt zu studieren. Die fehlen jetzt. Die Einstellungschancen waren damals außerdem schlecht. Viele Lehrer wanderten zu der Zeit in die Nachbar-Bundesländer ab.“
Von Grund- und Förderschullehrern gibt es – nicht nur in Hessen – zu wenige, von Gymnasiallehrern zu viele. Auf die Frage, ob das Kultusministerium die Abdeckung nicht besser steuern könne, antwortete Lorz: „Nein, das ist nicht möglich. Wir haben ein Grundproblem: Die Prognosen sind für die nächsten fünf bis sieben Jahre ausgelegt und nicht zuverlässig. Die Prognosen von 2011 haben nichts mehr mit der Realität zu tun. Studienneigung oder die Zuwanderung waren damals beispielsweise nicht absehbar.“
Hessen hat deshalb jetzt (wie andere Bundesländer auch) damit begonnen, arbeitslose Gymnasiallehrkräfte umzuschulen – für die Grundschulen. Die Jungen Philologen Baden-Württemberg, die Nachwuchsorganisation des Gymnasiallehrerverbands, zeigen sich entsetzt über die aktuell schlechten Einstellungschancen an den Gymnasien. „Nur wenige Hundert Stellen sind den Referendarinnen und Referendaren im Listenverfahren angeboten worden. Bis auf wenige Mangelfächer und bestimmte Regionen des ländlichen Raumes sind die Einstellungszahlen eine Katastrophe“, so berichtet Landesvorsitzender Jörg Sobora von der aktuellen Situation in Baden-Württemberg. Er begrüßt zwar die vom Kultusministerium in Stuttgart angebotene Möglichkeit, sich für die Laufbahn Grundschullehramt weiterzubilden – gibt aber zu bedenken, dass es für die Betroffenen zwischen Wunsch und Wirklichkeit einen deutlichen Unterschied gebe. Die Zahl derer, die dieses Angebot annehmen, werde nach seiner Einschätzung „deutlich überschaubarer“ sein, als es das Kultusministerium erwarte.
Heißt: So manche arbeitslose Lehrkraft ist nicht bereit, sich auf eine andere Schulform einzulassen – oder einen Umzug in Kauf zu nehmen. „Nicht jeder will sich auf eine vakante Stelle bewerben. Manchmal dauert das halt ein wenig, vor allem, wenn man spezielle Vorstellungen hat, wo der Arbeitsort sein soll”, weiß Gewerkschafter Paschert.
Auch die arbeitslose Gymnasiallehrerin hätte durchaus Möglichkeiten gehabt, eine Stelle an einer anderen Schulform – an einem Berufskolleg – zu bekommen. Aber: „Die Schule hat mir überhaupt nicht zugesagt”, berichtet die 28-Jährige. Sie habe sich dort gefühlt wie in einem Gefängnis. „Ich wusste, wenn ich einmal hier anfange, dann komme ich nicht mehr auf ein Gymnasium.“ Da blieb sie lieber arbeitslos. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
