Wenn einer Feuer fängt und Unterricht anders denkt…

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Ein neues online-Angebot für Lehrkräfte weckt die Neugier auf den Umgang mit Vielfalt. Der Massive Open Online Course (MOOC) lädt zum Ausprobieren ein.

Ein Stichwort genügt und ihre Augen leuchten. Wenn es darum geht, Vielfalt in der Schule zu fördern, „brennen“ die Pädagogen Bernd Baumgart und André Getzlaff. Sie unterstützen Schulen dabei, Unterricht mit Blick auf jedes Kind anzubieten. Der Online-Kurs „Vielfalt fördern“ stellt ein aus ihrer Sicht wunderbares neues Puzzleteil ihres Bestrebens dar.

Konkret ist es der kostenfrei belegbare Massive Open Online Course (MOOC), der die beiden bereichert. Er beinhaltet vier zentrale Fragen: Wie können Lehrkräfte besser zusammenarbeiten, um die Herausforderungen der Heterogenität zu meistern? Wie können Potenziale und Interessen der Schülerinnen und Schüler identifiziert und evaluiert werden? Wie können Lehrkräfte die Potenziale ihrer Schülerinnen und Schüler fördern und kompetenzorientiert unterrichten? Welche Formen der Lerndokumentation und Leistungsbeurteilung gibt es? Angeboten wird er vom Landesinstitut für Schule (QUA-LiS NRW) und dem nordrhein-westfälischen Schulministerium in Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung.

Zum Glück kann man sagen, wenn man erste Reaktionen aus dem Kreis der rund 400 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer hört. „Ich habe auf diesen MOOC gewartet und finde die Möglichkeit, sich auf diese Weise für eine neue vielfältige Art von Unterricht begeistern zu lassen, extrem spannend“, sagt Bernd Baumgart. Er ist stellvertretender Leiter des Kompetenzteams, der regionalen Agentur für Lehrerfortbildung, in Wesel. Fast täglich steht der Arbeitsschwerpunkt „Vielfalt fördern“ auf seinem Kalender. Er ist im Kreis Wesel der verantwortliche Koordinator für das analoge Fortbildungsangebot von „Vielfalt fördern“, das dem online-Kurs zugrunde liegt.

Häppchenweise oder am Stück

Gut erinnert Baumgart sich an jenen Moment, als er von den Planungen zum MOOC hörte. „Ich war extrem gespannt“, berichtet er. Knapp zwei Jahre sind seither verstrichen. „Aber Vorfreude ist ja bekanntlich die Schönste“, schmunzelt der gelernte Englischlehrer. Schon nach dem ersten Eintauchen in das Online-Angebot steht für ihn fest: „Das muss ich André erzählen.“ André heißt mit Nachnamen Getzlaff.  Der Gesamtschullehrer ist auch Moderator in der Fortbildung. Spezialgebiet: Vielfalt fördern. Mit dem Gedanken „Gott sei Dank gibt es jetzt so etwas“, nimmt er die Nachricht erfreut auf. Macht es sich, gestärkt mit einer Tasse Kaffee, auf dem Sofa gemütlich, startet das iPad und taucht in die Welt des online-Kurses ein.

Getzlaff ist davon angetan, dass im MOOC Inhalte und digitale Möglichkeiten gut miteinander verschmelzen, und Videos, interaktive Schaltflächen und Foren genutzt werden können: „Klasse finde ich, dass man sich durch die klare Kapitelführung schnell zurechtfindet und dass das Angebot Lust aufs Lernen macht. Es gibt tolle Expertenvideos, interaktive Quizze, Videos mit Praxisbeispielen und vieles mehr.“ Besonders gefällt ihm, dass er den online-Kurs unabhängig von Zeit und Ort durchführen kann und sich nicht immer gleich lange Zeiträume freihalten muss: „Ich kann mir alles häppchenweise zu Gemüte führen und verinnerlichen.“ Bernd Baumgart nickt angesichts dieser Beschreibung zustimmend. Einen Wunsch äußert er dennoch: „Neulich erinnerte ich mich an ein Interview und wollte es nochmals anhören. Leider musste ich ein Weilchen suchen, bis ich es fand. Eine Art Inhaltsverzeichnis wäre gut.“

Wissenschaftlich und doch praxisnah

Als ausgesprochen gelungen empfinden beide die Verbindung von Experteninterviews und weiterem Material. „Schaun Sie doch mal in Lektion 1 das Thema ‚Teams bilden‘ an“, laden mich Baumgart und Getzlaff bei unserem Treffen ein. Im Einleitungsvideo, das wie alle anderen im natürlichen Gartenreich von Dessau-Wörlitz aufgezeichnet wurde, führen die Projektleiterin „Vielfalt fördern“ bei der QUA-LiS NRW, Tamara Sturm-Schubert, und Markus Meyer, Mit-Entwickler des MOOCs, ins Thema ein. Es folgt in allen Lektionen eine Infobox mit der Erläuterung zentraler Begriffe.  Ein Expertenvideo schließt sich an. „Durch diese Einbettung kann ich dem Fachmann, hier Prof. Christian Fischer, noch besser folgen“, erläutert Baumgart. Als Mut machend, werbend und einladend empfindet er viele Sätze des Münsteraner Wissenschaftlers. „Wenn er sagt, dass man mit der Herausforderung der individuellen Förderung nicht alleine dasteht, dann spürt man den Impuls, die Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen“, betont Baumgart.

Sein Kollege ergänzt mit deutlicher Freude im Gesicht: „Die Beiträge der Expertinnen und Experten sind wissenschaftlich, aber nicht abgehoben und vor allem nah an der unterrichtlichen Praxis.“ Er unterstreicht an dieser Stelle, wie wichtig es ist, dem Einzelkämpfertum eine Absage zu erteilen. „Vielfalt, sprich individuell zu fördern, erfordert ein intensives Miteinander möglichst multiprofessioneller Teams“, sagt er. Der MOOC bietet im jeweiligen Kapitelforum die Möglichkeit, sich auszutauschen. Getzlaff: „Hier kann jeder seine Gedanken, Probleme und Ideen schildern und erhält Vorschläge und Anregungen von anderen. An einigen Stellen wird das bereits ganz gut angenommen, insgesamt herrscht hier bislang allerdings eine große Zurückhaltung. Hier muss sich erst noch eine Kultur dafür entwickeln, dass man offen sein kann und der Austausch dich dann auch weiterbringt.“

Schulterblicke in andere Klassenzimmer bereichern

Auch die Schulterblicke in den Unterricht von Kollegen an Vielfalt fördern-Schulen befruchten. „Es wird einem die Scheu genommen, sich von Kollegen in die Karten der eigenen Arbeit schauen zu lassen“, sagt Baumgart und glaubt: „Das kann die Offenheit zur Zusammenarbeit steigern.“ Apropos Veränderung. „Egal, ob man es Haltungs-, Paradigmen- oder Perspektivwechsel nennt, dieser MOOC ermöglicht mir die Auseinandersetzung mit meinen eigenen Überzeugungen. Und das im geschützten Raum der Kursumgebung, ohne dass ich mich direkt jemandem gegenüber erklären oder rechtfertigen muss.“

Diese Form der Selbstreflexion kann sich positiv auf anschließende Schulentwicklungsgespräche im Kollegium auswirken, weiß Bernd Baumgart. Daher empfindet er die im MOOC enthaltenen „Ergänzenden Informationen“, pointierte Dokumente zu den Kapiteln, als sehr wertvoll. Etwa, wenn es um die Bedeutung der Teamatmosphäre geht. In einem pdf sind dazu die Kernaussagen von Elmar Philipp nachzuvollziehen, einem bekannten Experten für Teamentwicklung in Schule. Kommentar Bernd Baumgart: „Gebündelt finde ich hier seine wichtigsten Erkenntnisse. So kann, aber muss ich nicht erst sein ganzes Werk lesen.“

Auch in anderen Fragen bewerten er und sein Kollege Getzlaff den MOOC positiv: „Der MOOC bietet uns eigentlich das, was im Unterricht den Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden sollte: Lernen im eigenen Tempo.“  Nahezu selbstverständlich finden sich im Kursus wichtige Informationen zum selbstständigen Lernprozess. Anschaulich erläutert Dr. Kerstin Tschekan, Referentin am Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen in Kiel und Expertin für Kompetenzorientiertes Lernen und den Umgang mit Heterogenität, drei Stufen in der Begleitung von Schülern. Sie macht deutlich, dass es für manche ausreicht, „locker“ offen anzuleiten („Wo willst Du zum Thema recherchieren?“), andere aber klare Anweisungen benötigen („Schau einmal dort nach!“).

Vom Blick auf den Einzelnen schwärmt das Ehepaar Mariola und Markus Meyer, das schon zur Gruppe der Fortbildungsentwickler gehörte. Sie haben maßgeblich am online-Angebot mitgewirkt und haben im Sommer an die Deutsche Europäische Schule Singapur gewechselt. Deren Konzept ist gekennzeichnet durch Individualisierung. Dies aber sei erst möglich, wenn das Kollegium zusammenarbeitet, betonen die „Auswanderer“. Denn nur so könne man beispielsweise ausreichend Aufgaben für die Klasse in petto haben. Mariola, die den Präsentationen im MOOC ihre Stimme leiht, rechnet vor: „Wenn ein Kollege drei Aufgaben entwickelt, ein weiterer ebenfalls drei und ich auch, haben wir schon neun zur Verfügung.“ Ihr Ehemann nennt das Deprivatisierung des Unterrichts.

Das Lob der Kollegen Baumgart und Getzlaff lässt Mariola und Markus strahlen: „Dann hat sich die Arbeit gelohnt.“ Neben ihrem Unterricht haben sie an den Konzepten des analogen und digitalen Angebots gearbeitet, Gedanken und Phantasie investiert. Das Herzblut mit dem sie es taten, ist greifbar. Ihnen schwebt besserer Unterricht vor. Einer, der das Individuum nicht nur in den Blick nimmt, sondern einem jeden seinen eigenen Lernweg ermöglicht. Ihr Credo lautet: „Vielfalt bedeutet Kreativität“, betont Mariola.

Zwischen Aufbruch und Nachschulung

Diese fanden Tamara Sturm-Schubert und Markus Meyer in Dessau-Wörlitz. „Das dortige Gartenreich bietet viele verschiedene Orte mit unterschiedlichen Perspektiven. Genau so sollten Lehrkräfte Unterricht gestalten. Kinder können sich jedem Thema aus ihrem Blickwinkel und von ihrem Kenntnisstand aus nähern, es vertiefen“, glaubt Markus Meyer. Auch Lernlandkarten können dabei helfen. Solche findet der Nutzer auch in den Kapiteln des Online-Formats.

Vielfältig und lernfähig

Baumgart und Getzlaff sind sich einig: „Dieser Online-Kursus macht Lust, sich vertieft mit dem Vielfaltsthema zu beschäftigen.“ Die Chance dazu bietet die Präsenzfortbildung. Angela Müncher, Projektleiterin für die Bertelsmann Stiftung, und Tamara Sturm-Schubert: „Der MOOC ist so etwas wie ein Schnupperkurs. Er kann und soll die gewachsene, sehr umfangreiche, zweijährige Fortbildung nicht ersetzen.“ Die Präsenz-Fortbildung war die Grundlage für den MOOC. Inhalt und Konzept waren da, mussten aber kondensiert und für den digitalen Kontext anders aufbereitet werden. Sturm-Schubert präzisiert: „Man kann sagen, Präsenzveranstaltung und Online-Angebot sind wie der von uns gewünschte Unterricht: vielfältig und lernfähig.“

Das sehen André Getzlaff und Bernd Baumgart ebenso. Sie schauen auf ihren Bildschirm, lassen ihre Eindrücke vom MOOC Revue passieren. Derweil blickt Getzlaff vom Schirm auf und hofft: „Ich bin sehr motiviert, meine Erfahrungen mit Vielfalt einzubringen, ein Echo zu finden, noch mehr Fallbeispiele auszutauschen. Denn wir Lehrer sind doch auch höchst unterschiedliche Typen – genau wie die Schülerinnen und Schüler.“

Zum MOOC „Vielfalt fördern“: https://www.oncampus.de/mooc/viefafoe

Ansprechpartnerin
Angela Müncher

Projektmanagerin
Programm Integration und Bildung
Bertelsmann Stiftung
Carl-Bertelsmann-Straße 256
33311 Gütersloh
Telefon: +49 5241 81-81424
E-Mail: angela.muencher@bertelsmann-stiftung.de

Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für eine gerechte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben ein. Sie will Bildung verbessern, Demokratie gestalten, Gesellschaft entwickeln, Gesundheit aktivieren, Kultur leben und Wirtschaft stärken. Durch ihr Engagement möchte sie alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Die gemeinnützige Stiftung wurde 1977 von Reinhard Mohn gegründet.

Weitere Informationen: www.bertelsmann-stiftung.de

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