WÜRZBURG: Mit mentalem Training zur Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme? Psychologen der Uni Würzburg und des Max Planck-Instituts haben untersucht, wie sich Fürsorge, Mitgefühl und altruistisch motiviertes Verhalten wirkungsvoll steigern lassen.
Der oft den Altvorderen unterstellte, pessimistische Blick auf die neuen Zeiten, könnte heutzutage etwa folgendermaßen ausfallen: Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen, während die Gesellschaft immer mehr zerfällt. Jeder ist sich selbst der nächste, egal ob er zur Elite gehört oder gerade so durchkommt. Altruismus ist alles andere als en vogue. und das scheint sich auch nicht so bald zu ändern: Heutige Eltern erziehen überwiegend kleine Egoisten und Narzissten, denen die Schule mit Mühe gerade einmal mal die zum künftigen Broterwerb notwendigen Kompetenzen vermittelt.
Doch egal, ob es um den Klimawandel, die ungerechte Verteilung von Reichtum oder um den Umgang mit Geflüchteten geht: Internationale Abkommen, und nationale Vorgaben allein können die globalen Probleme nicht lösen. Es sind immer auch die Entscheidungen einzelner Menschen gefordert, etwa die Bereitschaft zur Kooperation und der Verzicht zugunsten Anderer. Wissenschaftler sprechen in diesem Fall von „prosozialem Verhalten“, in akademischer Diktion; ein Verhalten, das für den Einzelnen kostspielig ist, das aber anderen entweder individuell oder als Gruppe Vorteile bringt.
„Die menschliche Prosozialität ist das Herzstück friedlicher Gesellschaften und der Schlüssel zur Bewältigung globaler Herausforderungen“, erklärt Anne Böckler-Raettig. Juniorprofessorin der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU). Gemeinsam haben Psychologen der JMU und des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften jetzt eine Studie veröffentlicht, die den Einfluss verschiedener mentaler Trainings auf prosoziales Verhalten untersucht hat.
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Das Ergebnis: „Wir konnten zeigen,“ so Böckler-Raettig, „dass die menschliche Prosozialität formbar ist und dass verschiedene Facetten der Prosozialität durch verschiedene Arten mentaler Trainings systematisch erhöht werden können“,. Der Aufwand dafür sei nicht sehr groß; das Training bestehe im Wesentlichen aus kurzen täglichen Praktiken, die leicht im Alltag umgesetzt werden könnten.
Viele Disziplinen forschen an den Grundlagen von Kooperation und Altruismus – von der Philosophie und Psychologie über Mathematik und Ökonomie bis hin zur Evolutionsbiologie und den Neurowissenschaften. Dennoch sei „überraschend wenig darüber bekannt, ob und wie die Motivation, altruistisch zu handeln trainiert werden kann“, sagt die Juniorprofessorin. Als Grund dafür vermutet sie die Tatsache, dass klassische Modelle der Wirtschaftswissenschaften Prosozialität oft als „stabile Präferenz“ betrachteten, Die Neigung zu altruistischem Verhalten gilt somit als wenig beeinflussbar. Ob und wie Veränderungen entstehen oder gar gesteuert werden können, spielte lange Zeit auch in angrenzenden Wissenschaften keine Rolle.
Um die Annahme von der Unveränderlichkeit der prosozialen Einstellung zu widerlegen, organisierten die Wissenschaftler drei mediationsbasierte Trainings. Über neun Monate hinweg nahmen die Studienteilnehmer daran teil. Im ersten Modul ging es darum, die Aufmerksamkeit und das Körperbewusstsein zu schärfen – ähnlich wie das in Programmen zum achtsamkeitsbasierten Stressabbau geübt wird. Das zweite Modul stellte affektive Fähigkeiten wie Mitgefühl, Dankbarkeit und prosoziale Motivation in den Mittelpunkt. Schwerpunkt des dritten Trainings war der flexible Blick auf sich selbst und auf andere sowie die Fähigkeit, Perspektivwechsel zu unternehmen.
„Für uns war die Frage von besonderem Interesse, welches mentale Training sich als effektiv erweisen würde, um altruistisch motiviertes Verhalten zu verstärken.“, erklärt Anne Böckler-Raettig. Darauf gaben die Ergebnisse der Studie eine eindeutige Antwort: Einzig das zweite Modul – das sogenannte Affektmodul – war dazu in der Lage, einen direkten Einfluss auf die Motivation der Teilnehmer auszuüben. Diese verhielten sich nach den Trainingseinheiten beispielsweise großzügiger, waren zu mehr spontaner Hilfe bereit und spendeten höhere Beiträge an gemeinnützige Organisationen.
„Das Affektmodul, das aus drei Einführungstagen, wöchentlichen Treffen mit Meditationslehrern und etwa 30 Minuten täglicher Praxis über einen Zeitraum von drei Monaten besteht, hat das altruistisch motivierte Verhalten effektiv gefördert, unabhängig davon, wie diese Übungen mit anderen Praktiken kombiniert wurden“, sagt die Psychologin. Ein vergleichbarer Erfolg sei bei den anderen beiden Modulen nicht nachweisbar gewesen.
Auf dieser Basis fällt das Fazit der Wissenschaftler eindeutig aus: Die altruistische Motivation und das Verhalten der Menschen können durch einfache, kurze und nicht kostspielige mentale Praktiken verändert werden. Die Pflege dieser affektiven und motivierenden Fähigkeiten in Schulen, im Gesundheitswesen und am Arbeitsplatz könne ihrer Meinung nach „ein wirksamer Schritt sein, um den Herausforderungen einer globalisierten Welt zu begegnen und sich in Richtung globaler Zusammenarbeit und einer fürsorglichen Gesellschaft zu bewegen.“ (pm, zab)
• Die Originalstudie ist im Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht (engl.)
• Informationen zum Forschungsprojekt
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