DRESDEN. Was tun, wenn Schüler im Unterricht fremdenfeindliche Sprüche fallen lassen? Ein Projekt in Sachsen soll Lehrern helfen, souverän und sicher darauf zu reagieren. Das Modell, bei dem die Pädagogen im richtigen Umgang mit Rassismus und Rechtsextremismus geschult werden, wird jetzt ausgeweitet. Die wissenschaftliche Evaluation des Versuchs, der bislang an neun Berufsschulzentren im Freistaat durchgeführt wurde, offenbart allerdings, dass es massive Probleme, sogar Widerstand gegen das Engagement der Lehrer gab – aus dem Kollegenkreis.
Sachsen will mehr Lehrer im richtigen Umgang mit Fremdenfeindlichkeit im Unterricht schulen. Dafür soll das Modellprojekt «Starke Lehrer – starke Schüler» ausgeweitet werden, kündigte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) in Dresden an. Zwei Koordinatoren sollen sich um die Umsetzung kümmern, geplant sind zudem Lehrerfortbildungen, Coachings und der Aufbau eines Netzwerkes mit externen Unterstützern. Dafür sollen in den nächsten beiden Jahren rund 400.000 Euro fließen.
Das Modellprojekt wurde 2015 durch das sächsische Kultusministerium und die Robert Bosch Stiftung gestartet. Beteiligt waren 23 Lehrer an neun Berufsschulzentren – so in Dresden, Leipzig, Reichenbach im Vogtland, dem nordsächsischen Delitzsch und Annaberg im Erzgebirge. Die Lehrer durchliefen in dieser Zeit ein intensives Training und Coaching, das von der TU Dresden entwickelt wurde. Sie lernten mehr über rechtsextreme Jugendkultur und entwickelten gemeinsam mit Experten mögliche Erklärungen und Reaktionen.
Die Auswertung habe gezeigt, dass Lehrer mehr Hintergrundwissen bräuchten, um direkt und sicher auf antidemokratische und diskriminierende Sprüche reagieren zu können, sagte Piwarz. «Es wird ein weiter und steiniger Weg sein, alle Lehrer für neue Methoden, Ansätze und Prozesse zu gewinnen. Doch der Weg lohnt sich.»
Die beteiligte Robert Bosch Stiftung kündigte bereits an, die Erfahrung aus Sachsen auf andere Bundesländer zu übertragen. Als nächstes soll das Projekt «Starke Lehrer – starke Schüler» in Niedersachsen starten. «Damit Schulen wirkungsvoll gegen extremistische Haltungen arbeiten können, ist das gesamte Schulsystem gefordert, angefangen bei der Lehrerausbildung», erklärte die stellvertretende Stiftungsvorsitzende Uta-Micaela Dürig.
“Grenzen bei der praktischen Umsetzung”
Was bei der Pressekonferenz nicht zur Sprache kam: Es gab offenbar massive Schwierigkeiten im Modellprojekt. Dies legt jedenfalls der wissenschaftliche Evaluationsbericht nahe. „Während sich im Projektverlauf sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Supervisorinnen eine Professionalisierung bei ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus feststellen lässt, sind doch auch Grenzen bei der praktischen Umsetzung der erworbenen Kompetenzen festzustellen“, so heißt es darin. Diese Grenzen zeigten sich beim Umgang mit problematischen Situationen im Unterrichtsalltag. „So werden ausgrenzende Äußerungen und diskriminierende Handlungen von Schülern oftmals als gesellschaftliche Normalität wahrgenommen und als nicht weiter problematisierungsbedürftig betrachtet.“
Schlimmer noch: Rassismus und Rechtsradikalismus waren offenbar so präsent an den Schulen, dass die Lehrer Angst hatten, sich für die rechtsstaatliche Demokratie einzusetzen. „Entsprechende Interventionsformen werden von vielen Lehrkräften (..) als riskant wahrgenommen. Man mache sich angreifbar und laufe Gefahr, in der Auseinandersetzung mit rechtsaffinen Schülern zu unterliegen. Man will vor der Klasse nicht sein Gesicht verlieren“, so heißt es.
Überrascht zeigen sich die Autoren des Berichts, dass Teilnehmer von Widerstand sogar aus dem Kollegenkreis berichteten. „Verunsicherung wurde dadurch hervorgerufen, dass im Kollegium negative Einstellung gegenüber dem Projekt in durchaus abschätziger Weise offen kommuniziert wurden. Projekteilnehmerinnen und Projekteilnehmer schilderten, wie von Teilen des Kollegiums offensiv rechtspopulistische Positionen vertreten wurden. Da auch viele Schulleitungen sich nicht oder nur sehr zurückhaltend zugunsten der Projektziele positionierten, fiel es den Lehrkräften schwer, sich im Sinne des Projektes in der Schulöffentlichkeit zu engagieren.“
Das Fazit der Wissenschaftler fällt vernichtend aus: „In Bezug auf die Entwicklung einer reflexiven Schulkultur im Umgang mit rechtsextremen Vorfällen zeigte sich, dass an den Projektschulen insgesamt kaum Veränderungen erreicht werden konnten.“ News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich der Evaluationsbericht herunterladen.
