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Überlastung im Lehrerberuf: Wir brauchen endlich eine umfassende Burnout-Prävention! Mediziner schlagen Alarm

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BERLIN. Die Gesundheit von Lehrern ist immer wieder Thema – in bildungspolitischen Sonntagsreden. Konsequenzen hat das praktisch keine. Dabei hat die Belastung im Lehrerberuf ein solches Ausmaß angenommen, dass nur noch jeder vierte im Dienst die Regelaltersgrenze erreicht (News4teachers berichtete). Das ist nicht nur für die Betroffenen schlimm, sondern auch für das Schulsystem schädlich, in dem der Lehrermangel aktuell zu den drängendsten Problemen zählt. Sieben renommierte Mediziner haben nun ein Buch vorgelegt, das ein Programm vorstellt, mit dem Lehrer individuell eine Strategie gegen den Überdruck entwickeln können („Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf, AGIL“).  Dass es darüber hinaus aber auch der Unterstützung durch den Dienstherren bedarf, machen sie in einem begleitenden Kommentar deutlich, den wir hier veröffentlichen.

Hier lässt sich das Buch bestellen oder herunterladen (kostenpflichtig).

Immer mehr Lehrer leiden unter der Belastung im Beruf. Foto: Shutterstock

Im Studium lernen angehende Lehrkräfte das, was sie in der Schule den Schülern vermitteln sollen, also »ihre Fächer«. Zum anderen lernen sie Pädagogik und pädagogische Psychologie, also die Art und Weise, wie Schülern der Lernstoff am besten zu vermitteln ist. Dass sie dabei zum einen das zentrale Bildung vermittelnde Instrument und zum anderen als Person ständig gefordert sind, insbesondere auch mit ihren Ressourcen angemessen umzugehen, um den »unmöglichen«, de facto grenzenlosen Beruf (wann hätte ein Lehrer je genug getan?) ein Lehrer-Leben lang mit Spaß auszuüben, klingt im Rahmen der modernen Lehrerausbildung gelegentlich an. Im engeren Sinne vermittelt wird es nicht.

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Wie die eigene Wahrnehmung funktioniert, woran man seine individuellen Belastungsgrenzen erkennt und mit welchen Strategien man wie zurechtkommt, das lässt sich nicht im Rahmen von Vorlesungen erlernen. Man muss es immer wieder reflektieren und ausprobieren… In einer Lehrerausbildung, in der individuelle Betreuung und Kleingruppenarbeit aus ökonomischen Gründen, besonders in den ersten Studiensemestern, kaum stattfindet, lässt sich diese Dimension der Lehrer-Professionalisierung kaum unterbringen. Und prüfen lassen sich solche Qualitäten, zumindest in schriftlichen Prüfungen oder bei Hospitationen, kaum. Also lassen wir es lieber? Lernen nicht die meisten Lehrer quasi nebenbei, im Referendariat und spätestens im Schulalltag, wie man dort am besten über die Runden kommt?

Das Buch

AGIL, „Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf“, ist ein auf die spezifische Situation von Lehrerinnen und Lehrern ausgerichtetes Präventions- und Behandlungsprogramm. Das persönliche Arbeitsbuch soll ihnen dabei helfen, ihren Schulalltag mit weniger Belastung und mehr Freude erleben und gestalten zu können.

Im Rahmen von AGIL geht es darum, individuelle Strategien im Umgang mit beruflichen Belastungen zu reflektieren: Welche Verhaltensmuster fördern möglicherweise den „Stress“ und wie können sie verändert werden? Im Arbeitsbuch findet sich zudem:

  • Informationen zu Belastungen des Lehrerberufs und zu Frühwarnzeichen
  • Praktische Anleitungen und Übungen zur Förderung individueller Stressbewältigungsstrategien
  • Anregungen für Problemlösestrategien im Schulalltag
  • Antworten auf die Frage, wie Regeneration gelingen kann

Autoren sind Prof. Dr. med. Andreas Hillert, Chefarzt an der medizinisch-psychosomatischen Klinik Roseneck, Schön Kliniken, Prien am Chiemsee, Dr. Dirk Lehr, Professor für Gesundheitspsychologe und Angewandte Biologische Psychologie an der Leuphana Universität Lüneburg, der Psychologe Dr. Stefan Koch, Dipl.-Psych. Maren Maria Brach, Oberarzt Dr. Stefan Ueing, Dr. Nadia Sosnowsky-Waschek, Professorin für Klinische und Gesundheitspsychologie und Studiendekanin an der SRH Hochschule Heidelberg sowie Dipl.-Psych. Kristina Lüdtke.

Hier lässt sich das Buch bestellen oder herunterladen (kostenpflichtig).

Eine solche, zugegebenermaßen pragmatische Einstellung hat Vorteile: Sie ist kostengünstig. Für alle Beteiligten. Sie hat aber auch Nachteile. Dass der Lehrerberuf ein »Stressberuf« ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Sollte man die Frage, wie »Lehrkörper« am besten mit diesem »Stress« umgehen, dem Zufall überlassen? Es gibt eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen zur Frage, wie es Lehrern gelingt, den Beruf trotz seiner vielfältigen Belastungen – zwischen unmotivierten Schülern, Helikopter-Eltern und Konflikten im Kollegium – langfristig bei guter Gesundheit und hoher Lebensqualität auszuüben. In diesem Rahmen wurde auch erforscht, welche Erlebens- und Verhaltensmuster für die betreffenden Lehrpersonen ein hohes Risiko bergen, wenn nicht krank, so doch stressbelastet und unglücklich zu sein bzw. zu werden.

Dass dies im Lehramtsstudium bislang kaum bis gar nicht thematisiert wird, ist umso erstaunlicher, als erschöpfte, ausgebrannte und aufgrund von seelischen Erkrankungen in Frühpension gehende Lehrer nicht nur selbst eben diese Probleme haben und leiden, sondern absehbar auch schlechteren Unterricht geben und, durch hohe Krankheitszeiten und Frühpensionierungen, dem Staat bzw. den Steuerzahlern teuer zu stehen kommen. Befriedigende Erklärungen für diese mehrdimensional unbefriedigende Situation gibt es nicht, abgesehen von politischen und finanztechnischen.

Diese wiederum sind, zumindest für nicht in den Kategorien des Beamten-Systems denkende Zeitgenossen, schlicht grotesk: Wenn Lehrkräfte in Frühpension gehen, dann zahlt dafür nicht das Kultusministerium, sondern das jeweilige Finanzministerium. Für Prävention ist dort allerdings niemand zuständig. Beihilfestellen zahlen dann, wenn Lehrkräfte erkranken, den gesetzlich vorgeschrieben Anteil. Wobei sie sich nach dem richten, was die Krankenkassen bezahlen. Darüber hinausgehende Prävention gehört nicht zu den Aufgaben der Beihilfestellen. Also müsste das Gesundheitsministerium zuständig sein. Dort hat man aber in der Regel keine »Ressourcen« für Lehrergesundheit, leider. Je mehr ein Bundesland unter Lehrermangel leidet, umso einsichtiger werden derzeit die Kultusministerien, sich aktiv mit dem Thema Lehrergesundheit auseinanderzusetzen; wobei, von Bundesland zu Bundesland verschieden, noch ein wenig bis sehr viel Luft nach oben ist.

Supervision – warum nicht für Lehrer?

Die immanent subjektive Qualität unserer Wahrnehmung, in der sich neben individueller »Veranlagung« unsere Lerngeschichte spiegelt, wird uns üblicherweise nur dann bewusst, wenn dies reflektiert wird. Supervision, die systematische Reflexion eigener Muster, ist in allen anderen Sozialberufen längst etabliert und ein unabdingbarer Bestandteil der Ausbildung von Sozialtherapeuten, psychologischen Psychotherapeuten und Ärzten. Warum Lehrer dies nicht nötig haben sollen, läuft wiederum auf politische Dimensionen heraus: Es würde schlicht Geld kosten, das der Staat als Ausbilder und Dienstherr nicht hat bzw. nicht dafür ausgeben will.

Damit handelt er ähnlich wie die Mehrzahl der deutschen Lehrkräfte, die derzeit selbst auch nicht bereit ist, eigenes Geld und Freizeit für Supervision auszugeben. Das ist menschlich aber kurzsichtig. Vor allem dann, wenn Lehrer »unter Druck geraten«, wenn der Stress zunimmt, Burnout droht und der Beruf zur Qual wird, sitzen sie absehbar in der Falle. Wer keinen professionellen Umgang mit sich selbst, seinen Mustern und Strategien gelernt hat, dem fällt es doppelt schwer, dies in sowieso schon belasteten Konstellationen nachzuholen.

Hier lässt sich das Buch bestellen oder herunterladen (kostenpflichtig).

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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