BERLIN. Der Philologenverband hat bereits reagiert – und das Konzept begrüßt. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) lässt Sympathie für das „Schichtmodell“ erkennen, im Grundsatz jedenfalls: Der Vorschlag von Heinz-Peter Meidinger, den Unterricht künftig im wochenweisen Wechsel zwischen Präsenz in der Schule und Heimarbeit stattfinden zu lassen (News4teachers berichtete), schlägt Wellen. Wie sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands die Umsetzung im Detail vorstellt, legt er im folgenden Gastbeitrag dar.
Praxisorientierter Vorschlag für „Phase 2“: Schrittweise Rückkehr aller Jahrgangsstufen in den Präsenzunterricht unter Beachtung der weiteren Entwicklung der Infektionskurve
PRÄSENZUNTERRICHT IM ZWEIWOCHENTAKT
Problemlage:
Bei voraussichtlich noch lange zwingend einzuhaltenden Abstandsregelungen in Unterrichtsräumen benötigt man für die Rückkehr einer kompletten Jahrgangsstufe an die Schulen, so wie es jetzt in den meisten Bundesländern für die Nachfolgejahrgänge der Abschlussklassen ab 4. Mai geplant ist, die doppelte Anzahl von Räumen und auch Lehrkräften, weil Klassen und Lerngruppen geteilt werden und jeweils eigens beschult werden müssen. Dies ist möglich, solange nur maximal die Hälfte der Jahrgangsstufen zurückkehrt. Deshalb scheuen sich auch die Bundesländer, bereits jetzt, wie es die Eltern, Schüler und Lehrkräfte eigentlich dringend erwarten, einen zeitlichen Fahrplan für die schrittweise Rückkehr der einzelnen Jahrgangsstufen vorzulegen.
Einige Schulministerien haben aber schon durchblicken lassen, dass es mehrere Klassenstufen geben wird, die in diesem Schuljahr unter diesen Umständen nicht mehr in den Präsenzunterricht zurückkehren werden. Das aber würde bedeuten, dass eine große Anzahl Schüler noch für Monate ausschließlich auf das „Homeschooling“ verwiesen wird, von dem wir wissen, dass es erstens bei weitem nicht so effektiv wie echter Schulunterricht ist und dass zweitens dadurch rund ein Viertel der Schüler nicht oder kaum erreicht wird. Die Gefahr, dass vor allem sozial benachteiligte und leistungsschwache Kinder und Jugendliche sowie Schüler mit besonderem Förderbedarf abgehängt werden, würde bei einer solchen Verfahrens-weise stark ansteigen.
Vorschlag eines Präsenzunterrichts im Wochenwechsel mit Arbeitsaufträgen und digitalem Fernunterricht
Angesichts dieser Herausforderungen, Probleme und Belastungen, welchen in Zeiten von Corona alle Mitglieder der Schulfamilie, Schüler, Lehrkräfte und Eltern ausgesetzt sind, brauchen wir möglichst unkomplizierte, einfach umzusetzende und für die meisten Jahrgangsstufen und Schularten geeignete Lösungen.
Die Lösung lautet: Unterricht im Wochenwechsel bzw. Zweiwochentakt!
Der Unterricht erfolgt in zwei Schichten:
- in Woche 1 die eine Hälfte der Klasse oder Lerngruppe
- in Woche 2 die andere Hälfte der Klasse oder Lerngruppe
Der bisherige Wochenstundenplan wird komplett beibehalten, es gibt keine Kürzung von Fächern, die bisherigen Klasslehrkräfte und Fachlehrer können weiter ihre Schüler betreuen.
In Woche 1 unterrichten die Lehrkräfte in den Schulen die Schüler im Präsenzunterricht und geben für die unterrichtsfreie Woche Arbeitsaufträge und Hausaufgaben. Ergänzt und intensiviert wird die Betreuung und Beschulung der Schüler in der Woche 2 ohne Präsenzunterricht durch Lehrkräfte, die in eine Risikogruppe gehören, und zwar durch digitalen Fernunterricht. Der Präsenzunterricht kann damit nur im Umfang der Hälfte des bisherigen Unterrichtsumfangs stattfinden.
Die großen Vorteile dieses Zweiwochenschichtmodells
Dieses Schichtmodell im Zweiwochenrhythmus (von den Schülern und Eltern aus gesehen) hat große Vorteile gegenüber der jetzigen Praxis und der bisher von den Ländern avisierten Rückkehr ganzer Jahrgangsstufen:
- Es ist für die meisten Schulen und Schularten relativ einfach organisatorisch umzusetzen, weil an den bisherigen Stunden- und Raumplänen kaum etwas geändert werden muss.
- Es können damit wieder alle Schüler einer Jahrgangsstufe in die Schulen zurückgeholt werden, was die schwerwiegenden Benachteiligungseffekte des so genannten „Homeschoolings“ in Bezug auf die Kinder, die man damit nicht erreicht, verhindert. Es ergeben sich dadurch auch neue Chancen, diese abgehängten Schüler im Präsenzunterricht wieder verstärkt zu fördern.
- Schulräume und Lehrkräfte müssten voraussichtlich ausreichen, weil nur die Hälfte der Schüler jeweils an der Schule anwesend ist.
- Die Politik wäre auf der Grundlage dieses Modells in der Lage, angepasst an die „Corona-Infektionslage“ in Deutschland, einen schrittweisen, nach Klassenstufen gestaffelten Zeitplan für die Rückkehr von Schülern in den Präsenzunterricht vorzulegen, der es allen Schülern ermöglicht, in naher Zukunft in die Schulen zurückzukehren.
- Für die Erziehungsberechtigten ergeben sich auch große Vorteile: Es wird die große Chance eröffnet, dass auch die jüngeren Kinder noch in diesem Schuljahr in die Schulen zurückkehren können. Außerdem ermöglicht der Zweiwochenrhythmus grundsätzlich besser planbare Betreuungs- und Arbeitszeiten.
- Da immer nur maximal die Hälfte der Schüler sich in der Schule aufhält, erleichtert dies auch die Einhaltung des Abstandsgebots und des Gesundheitsschutzes auf Pausenhöfen, in Schulgängen, in Sanitärräumen, auf Treppen und im Parteiverkehr der Schulverwaltung.
- Auch die Situation im Bereich der Schülerbeförderung und der Schulbusse wird sich dadurch deutlich entspannen, weil nur 50 Prozent der sonstigen Kapazität der Busse und Transportmittel benötigt wird.
- Es gibt keine Notwendigkeit, einzelne Fächer zu streichen und auch Wahlfächer könnten weiter angeboten werden
Schwierigkeiten, die es noch zu lösen gilt:
Mit diesem Modell werden natürlich nicht alle Schwierigkeiten gelöst.
Die Effektivität von 100% Präsenzunterricht wird voraussichtlich nicht erreicht werden können. Dazu kommt, dass während der Schulschließungswochen auch beträchtliche Teile des Lehrplans nicht vermittelt werden konnten. Unabhängig vom Schichtmodell bleibt es mittelfristig eine riesige Aufgabe, durch Wiederholungsphasen, Nachhol- und Förderkurse sowie vorübergehende Verdichtung von Lehrplänen zu verhindern, dass dauerhaft Lehrplanziele und Bildungsstandards für ganze Schülerjahrgänge verfehlt werden.
Auch ist klar, dass dieses Konzept nicht für alle Schüler und Schularten gleich gut geeignet ist. Beispielsweise ist der Schulbetrieb an Berufsschulen häufig anders organisiert als in festen Schulwochen. Auch für Kinder mit Förderbedarf wären vielleicht umfangreichere Präsenzzeiten an der Schule wünschenswert. Hier muss man noch weitere passgenaue Lösungen erarbeiten.
Vorteile gegenüber anderen Konzepten, wie beispielsweise die Forderung von Frau Karliczek nach einem 3-Tages-Schichtmodell einschließlich Samstagsunterricht
Der Vorschlag von Frau Karliczek, im Dreitageswechsel zu unterrichten (News4teachers berichtete), folgt zwar einer ähnlichen Grundidee wie das vorliegende Konzept, nämlich mehr Jahrgangsgruppen in überschaubarer Zeit an die Schulen zurückzuholen, hat aber gegenüber dem Schichtwechsel im Wochentakt eklatante Nachteile:
- Der Dreitageswechsel würde eine komplette Neuorganisation von Unterrichts- und Raumplänen erfordern und die Schulen teilweise vor unlösbare organisatorische Schwierigkeiten stellen. (Sporthallennutzung, Projektwochen etc.).
- Für den dadurch notwendigen Samstagsunterricht fehlt es sowohl an gesellschaftlicher Akzeptanz als auch an der notwendigen Infrastruktur, beispielsweise, was die Schulwegbeförderung angeht.
Der Deutsche Philologenverband hat Meidingers Konzept begrüßt. „Wie vom Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands angeregt, soll eine schrittweise Rückkehr aller Jahrgangsstufen in den Präsenzunterricht im wöchentlichen Wechsel zeitnah ermöglicht werden“, so heißt es in einer Pressemitteilung. „In diesem Modell erfolgt in Woche 1 der Unterricht mit (coronabedingt) der Hälfte der Klasse im herkömmlichen Stundenplan. Alle Unterrichtsfächer werden unterrichtet. In Woche 2 erfolgt der digitale Fernunterricht für diese Schüler. Hat die eine Hälfte der Klasse Präsenzunterricht, hat die andere Hälfte Fernunterricht und umgekehrt. Gesunde Lehrkräfte halten Unterricht in Präsenz; Lehrkräfte, die Risikogruppen angehören, betreuen diese Gruppen im digitalen Fernunterricht zusätzlich. Durch „digitales peer-tutoring“ unterstützen sich die Schülerinnen und Schüler zusätzlich untereinander.“
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält viel von der Idee. Er sagte mit Blick auf Meidingers Vorschlag, so etwas könne er sich durchaus vorstellen. Allerdings mochte Söder sich noch nicht auf eine Taktung festlegen: «Es kann auch sein, dass man in der Woche das macht, also jeden zweiten Tag Schule, damit wieder ein gewisser Rhythmus kommt.» News4teachers
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