BERLIN. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt die Infektionsgefahr in einem gefüllten Klassenraum, in dem der Mindestabstand nicht eingehalten wird, als hoch ein. Dies berichtet die „Rheinische Post“ unter Berufung auf ein Schreiben, das der Redaktion nach eigenen Angaben vorliegt. Ebenfalls als hoch werde vom RKI das Risiko einer Übertragung durch Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 19 Jahren eingeschätzt. Weitere Angaben zum Inhalt des Papiers machte die Zeitung zunächst nicht. RKI-Präsident Lothar Wieler hatte sich in der vergangenen Woche angesichts steigender Infektionszahlen besorgt gezeigt.
„Die neueste Entwicklung der Fallzahlen macht mir und allen im Robert-Koch-Institut große Sorgen“, hatte Wieler am Dienstag vor Journalisten erklärt. „Wir sind mitten in einer sich rasant entwickelnden Pandemie“, warnte er. Der Anstieg sei nicht auf einen Hotspot zurückzuführen, er betreffe viele Bundesländer, sei „diffus“. Wieler rief daher erneut dazu auf, die AHA-Regeln zu befolgen. AHA steht für: Abstand, Hygiene, Atemschutz. Das bedeutet mindestens 1,5 Meter Abstand zu anderen Menschen zu halten, die Hygieneregeln wie regelmäßiges Händewaschen zu beachten und eine Mund-Nasen-Bedeckung dort zu tragen, wo die Abstandsregel nicht sicher eingehalten werden kann.
Die Bundesländer haben vereinbart, dass auf die Abstandsregel im Unterricht verzichtet werden soll, „wenn es das Infektionsgeschehen zulässt.“ Alle Bundesländer planen derzeit ohne Abstandsregel in den Klassenräumen. Heute beginnt das neue Schuljahr 2020/2021. Das erste Bundesland, Mecklenburg-Vorpommern, startet entsprechend.
RKI-Chef Wieler: Wichtig die Klassen nicht zu mischen – aber..
Mit Blick darauf betonte Wieler, es sei wichtig, dass man Klassenverbünde zusammenhalte und die Klassen nicht mische. Es müssten sogenannte „epidemiologische Einheiten“ gebildet werden. Auch in der Freizeit sei es sinnvoll, wenn sich Schüler dann nur mit den Schülern treffen, mit denen sie schon in der Schule waren.
Praxisnah ist das allerdings nicht. In Schleswig-Holstein beispielsweise ist Unterricht in festen Klassenverbünden nur in der Grundschule vorgesehen – in den weiterführenden Schulen werden die sogenannten „Kohorten“ größer ausfallen. In Niedersachsen darf eine Kohorte einen Schuljahrgang umfassen. Im Berliner Hygieneplan heißt es: „Der Unterricht und die ergänzende Förderung und Betreuung sind in festen Gruppen bzw. Lerngruppen durchzuführen, um Kontakte soweit wie möglich zu reduzieren.“ Die Einschränkung: „soweit organisatorisch möglich…“.
Das RKI warnt auf seiner Homepage davor (Stand: 24. Juli), Studien, die Kindern eine deutlich höhrere Resistenz gegen Infektionen mit dem Coronavirus attestieren, überzubewerten. Mit solchen Studien wird von Seiten der Kultusminister begründet, warum Unterricht ohne Abstandsregel vorgesehen ist. Es gebe aber auch Studien, die Kindern durchaus eine Rolle bei der Weiterverbreitung des Virus bescheinigen, heißt es beim RKI.
Wörtlich heißt es bei der Bundesbehörde, die den Stand der Forschung regelmäßig sichtet und zusammenträgt: „Die auf PCR-Testung basierende Prävalenz als Ausdruck aktiver Krankheitsgeschehen liegt bei Kindern in den meisten Studien niedriger als bei Erwachsenen. In serologischen Studien, welche überstandene Infektionen anhand von Antikörpernachweisen abbilden sollen, zeigt sich kein einheitliches Bild: teils hatten Kinder ähnliche Seroprävalenzen wie Erwachsene, teilweise zeigte sich bei Kindern unter 10 Jahren im Vergleich eine niedrigere Seroprävalenz. Zu beachten ist, dass hier neben der Empfänglichkeit für eine Infektion auch Anzahl und Art der Kontakte eine Rolle spielen. Da die Studien meist während oder im Anschluss an Kontaktbeschränkungen bzw. Lockdown-Situationen durchgeführt wurden, ist die Übertragbarkeit auf den Alltag begrenzt.“
Studien zur Viruslast von Kindern zeigen keine Unterschiede zu Erwachsenen
Im Klartext: Es könnte gut sein, dass die behauptete Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber dem Coronavirus lediglich auf geringere Ansteckungszahlen durch verminderte Sozialkontakte während der Kita- und Schulschließungen zurückzuführen ist. Es gibt jedenfalls keinen wissenschaftlichen Befund, aus dem sich schließen ließe, wie sich die jetzt anstehenden Schulöffnungen auf das Pandemiegeschehen in Deutschland auswirken werden – und schon gar nicht, was passiert, wenn Infektionen in größerer Zahl in die insgesamt mehr als 32.000 Schulen in Deutschland hineingetragen werden.
Zur Vorsicht besteht allerdings Grund genug. So heißt es beim RKI: „Die Infektiosität im Kindesalter wurde bisher selten untersucht und kann daher nicht abschließend bewertet werden. Die bisherigen Studien zeigen, dass Kinder meist von Erwachsenen infiziert werden; in Haushaltscluster-Untersuchungen wurden aber auch Kinder als Indexfall identifiziert. Da in Haushaltskontaktuntersuchungen nur symptomatische Personen als Indexfall gewertet werden, ist eine Unterschätzung der Eintragung durch Kinder in die Familien denkbar.“
Und weiter heißt es: „In einer Studie aus Südkorea steckten ältere Kinder und Jugendliche andere Haushaltsmitglieder ähnlich häufig an wie Erwachsene. In einer weiteren Studie aus Wuhan steckten Indexpersonen im Kindesalter häufiger Haushaltsmitglieder an als Erwachsene. Studien zur Viruslast bei Kindern zeigen keinen wesentlichen Unterschied zu Erwachsenen.“ News4teachers
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