BERLIN. Die meisten Bundesländer öffnen – trotz steigender Infektionszahlen – ihre Schulen wieder weit. Manche davon, darunter Niedersachsen, führen auch die Schulbesuchspflicht wieder ein. Seit Dezember konnten die Eltern entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken oder von zu Hause aus lernen lassen wollen. Das ist seit heute vorbei. Darf der Staat Schüler in die Schule zwingen, wenn er dort den Gesundheitsschutz nicht garantieren kann? Thorsten Frühmark, Fachanwalt für Arbeits- und Familienrecht aus dem niedersächsischen Rinteln, sagt: Nein. Er hat für Mandanten jetzt die Freistellung von drei Neunt- und Zehntklässlern beantragt – die Begründung ist lesenswert.
„Namens und in Vollmacht unserer Mandanten beantragen wir hiermit die Befreiung vom Präsenzunterricht, solange nicht alle notwendigen Maßnahmen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes getroffen worden sind, um die Gesundheit unserer Mandanten vorbeugend zu schützen“, so heißt es in dem Schreiben der Rintelner Kanzlei Frühmark und Vogt an das Landesamt für Schule und Bildung in Hannover. „Während der Zeit der Befreiung vom Präsenzunterricht beantragen wir hiermit, unsere Mandanten im Fernunterricht (Homeoffice) zu unterrichten. Unsere Mandanten haben keine Vorerkrankung.“
Zur Begründung heißt es:
„Der Gesundheitsschutz ist bei einem Infektionsgeschehen unter 100 (Stufe 4, Stufenplan) nicht gewährleistet. Bei diesem sogenannten Hybridunterricht werden ca. 15 Schüler in einem Klassenraum beschult. Ihnen müssen die Studien bekannt sein, aus denen sich jetzt eindeutig ergibt, dass auch Kinder und Jugendliche, genauso wie Erwachsene, an Covid 19 erkranken können und andere damit infizieren können. Untersuchungen an Kindern haben ergeben, dass erhebliche Langzeitfolgeschäden entstehen können, wie vielfältige Organschäden, auch selbst bei asymptomatischen Verläufen. Zudem wurden auch bei Kindern erhöhte Thrombosemarker festgestellt, was zu erheblichen Konsequenzen im Weiteren Lebenslauf führen kann.
“Es kann nicht sein, dass Personen, die in Büros arbeiten, mehr geschützt werden, als Schüler und Lehrer”
Selbst bei einer konsequenten Lüftung (gar nicht immer möglich) der Klassenräume ist eine Ansteckung mit Covid 19 als sehr wahrscheinlich zu beurteilen, wenn nur ein Schüler im Klassenraum infiziert ist. Dies gilt umso mehr, weil auch in Niedersachsen bereits mehrfach die Mutation des Virus nachgewiesen worden ist. Ihnen ist bekannt, dass die Verbreitung und Infektionsgefahr der Mutation wesentlich höher ist als bei der ursprünglichen Variante. Insbesondere ist hier zu berücksichtigen, dass im Landkreis Schaumburg derzeit nicht überprüft wird, ob jemand an der ursprünglichen Variante erkrankt ist oder an der Mutation. Diese Auskunft hat der Unterzeichner vom Gesundheitsamt des Landkreises Schaumburg erhalten.
Im Übrigen würde die Durchführung in diesem geplanten geteilten Unterricht zu einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes führen. Für Büroräume sind 10 qm pro Person vorgeschrieben. Im Wechselunterricht stehen im Durchschnitt 3,5 qm pro Person bereit. Es kann nicht sein, dass Personen, die in Büros arbeiten, mehr geschützt werden, als Schüler und Lehrer und damit auch unsere Mandanten.
Geteilter Unterricht kann daher aufgrund der räumlichen Situationen erst dann stattfinden, wenn das Infektionsgeschehen als gering anzusehen ist (kleiner 10). Außerdem ist in diesen Fällen dann der geteilte Unterricht durch weitere vorbeugende Maßnahmen abzusichern, wie nämlich durch die Einrichtung von Lüftungsanlagen und den regelmäßigen Tests von Schülern und Lehrkräften. Nur so ist gewährleistet, dass sämtliche notwendigen Maßnahmen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes eingehalten werden können und die Wahrscheinlichkeit einer Infektion im Unterricht erheblich reduziert werden kann.
Offenbar plant die Landesregierung jetzt Schnelltests bei Lehrkräften. Dies ist grundsätzlich positiv zu werten. Auch bei der Durchführung des geteilten Unterrichts bei einer geringen Infektionsrate sind die Schüler und Schülerinnen zu testen. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Abgeordneten des niedersächsischen Landtages regelmäßig vor den Landtagssitzungen getestet werden. Dieses Recht müssen auch unsere Mandanten und die Schüler in Niedersachsen haben.
An dieser Stelle ist natürlich auch zu berücksichtigen, dass Schüler unter 18 Jahren bislang nicht geimpft werden können und auch nicht absehbar ist, wann eine Impfung möglich ist. Auf weitere mögliche Schutzmaßnahmen, wie Spuckschutzscheiben und das zur Verfügung stellen von FFP 2 Masken muss an dieser Stelle nicht näher hingewiesen werden. Nicht verständlich ist außerdem die Regelung des Stufenplanentwurfs, dass Szenarien erst dann eintreten sollen, wenn an der betroffenen Schule ein Infektionsfall aufgetreten ist. Auch diese Pläne verstoßen gegen die Regelungen des Infektionsschutzgesetztes. Behörden sind gehalten, präventive Maßnahmen zu treffen. Es kann nicht sein, dass erst abgewartet wird, bis eine Infektion in den Schulen und Klassenräumen aufgetreten ist.“
“Ich rege an, die Pflicht zum Präsenzunterricht auszusetzen”
Anwalt Frühmark erklärt zu seinem Schreiben: „Als Rechtsanwalt und insbesondere Fachanwalt für Familienrecht haben sich etliche Eltern mit mir in Verbindung gesetzt und mir ihre Situation verdeutlicht. Sie möchten ihre Verpflichtung aus dem Grundgesetz zur Gesundheitsfürsorge für ihre Kinder wahrnehmen und ihre Kinder nicht in den Präsenzunterricht senden, solange die Infektionsgefahr so hoch ist wie jetzt.“ Diese Eltern seien nicht ängstlich, sondern verantwortungsvoll.
Frühmark: „Ich rege daher wie viele andere an, die Pflicht zum Präsenzunterricht solange auszusetzen, bis eine Infektionsgefahr durch Impfungen oder andere Maßnahmen nahezu ausgeschlossen ist. So können bei vielen Kindern Langzeitfolgeschäden verhindert werden. Durch die Aufhebung der Verpflichtung zum Präsenzunterricht kann zwar die Pandemie an sich nicht wirksam bekämpft werden, viele Eltern könnten aber ihrer Verpflichtung aus dem Grundgesetz zur Gesundheitsfürsorge für ihre Kindern nachkommen.“ Sonst, sagt Frühmark, drohe dem Kultusministerium eine Klagewelle. News4teachers
