BERLIN. Zu Beginn der Corona-Pandemie glaubten die Kultusminister: Kinder sind nicht ansteckend. Dann verließen sie sich darauf, dass Klassenräume mit offenen Fenstern sicher seien. Jetzt sind es regelmäßige Schnell- und Selbsttests unter Schülern, Lehrern und Erziehern, die das Infektionsgeschehen aus den Kitas und Schulen heraushalten sollen. Drei Gründe, warum auch diese Tests als Allheilmittel nicht funktionieren können.
1. Die Test bewirken nicht, was sich die Politik davon verspricht
«Dadurch, dass wir hier flächendeckend testen, alle Schülerinnen und Schüler, alle Beschäftigten, tragen wir zu mehr Sicherheit nicht nur in der Schule bei», sagte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) gestern. «Schule kann so dazu beitragen, die Verbreitung der Infektion in ganz Hamburg ein Stück weit sogar einzuschränken.» Werden Schulen also zu einer Art Corona-Absorbern, wenn man Schüler und Lehrer durchgängig testet?
Wissenschaftler dämpfen die Hoffnung. Schnelltests – wie sie in Kitas und Schulen flächendeckend zum Einsatz kommen sollen – könnten zwar helfen, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren, sagt der Bioinformatiker und Regierungsberater Prof. Lars Kaderali. Allerdings seien die Tests zu ungenau, um wirklich alle Infizierten zu erkennen. «Ein „Freitesten“ ist mit den Schnelltests eben nicht möglich», sagt Kaderali.
Das erlebt Österreich derzeit, wo die Schulen bereits Anfang Februar in einen von Tests begleiteten Wechselunterricht gestartet sind, wie ihn Deutschland anstrebt. Tatsächlich werden mithilfe der Selbsttests dort etliche Infektionen erkannt – allein in der vergangenen Woche, so berichtete der ORF, wurden unter insgesamt 1,4 Millionen Teilnehmern 1.325 positive Ergebnisse verzeichnet, vor drei Wochen waren es 904 positive Ergebnisse – stattliche 70 Prozent mehr als in der Woche zuvor. Die Steigerungen weisen bereits auf das Problem des Modells hin: Die Kurve der Ansteckungen weist in Österreich seit den Schulöffnungen wieder steil nach oben – trotz der Tests. Und Kinder und Jugendliche haben daran einen großen Anteil, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte.
„Sie erinnern sich vielleicht, dass vor einigen Monaten noch manche behauptet haben, Kinder sind nicht ansteckend. Oder: In der Schule kann nichts passieren“, so sagte Kurz auf einer Pressekonferenz Anfang März. „Trotz der Testungen, die wir in der Schule durchführen, ist es so, dass mittlerweile die Kinder und Jugendlichen die sind mit den höchsten Ansteckungszahlen im Moment.“ Konsequenzen für den Schulbetrieb: keine – außer: Seit Anfang der Woche werden die österreichischen Schüler sogar dreimal in der Woche getestet.
Ergebnis: Die Inzidenz für Österreich liegt aktuell bei 240 (Deutschland: 107). In den Kliniken und ihren Intensivstationen der Alpenrepublik liegen immer mehr Covid-19-Erkrankte, darunter zunehmend jüngere Patienten.
2. Viele Schüler verweigern die Test – und sicher nicht nur brave
Richtig sei zwar, so heißt es im Modus-Covid-Bericht des Mobilitätsforschers Prof. Kai Nagel von der TU Berlin (über den News4teachers bereits groß berichtet hat), dass die zunächst geplanten wöchentlichen Schnelltests unter Schülern die Inzidenz durchaus deutlich reduzieren könnten. Und eine Erhöhung der Testfrequenz auf zweimal pro Woche (wie es der Bund-Länder-Gipfel jetzt zumindest in Aussicht gestellt hat) würde die Wirkung tatsächlich nahezu verdoppeln. Aber: „An dieser Stelle muss betont werden, dass die deutliche Wirkung der Schnelltests nur eintritt, wenn erstens jede Schülerin / jeder Schüler das Angebot wahrnimmt und zweitens bei einem positiven Testergebnis sofort in Quarantäne geht. Hier ist also eine hohe Beteiligungsrate und Disziplin notwendig.“
Davon kann aber nicht die Rede sein. Denn anders als in Österreich, wo Schüler, die den Test in der Schule verweigern, nicht am Präsenzunterricht teilnehmen dürfen, ist in Deutschland keinerlei Testpflicht geplant – Eltern können ihre Kinder ohne Begründung von den Tests abmelden. Konsequenzen hat das keine. Im Gegensatz zu einem positiven Test: Ein betroffener Schüler muss eine Menge über sich ergehen lassen. Sein Ergebnis wird seinen Klassenkameraden bekannt, er wird in der Schule isoliert und muss dann von seinen Eltern abgeholt werden, weil er nicht mit dem Bus nach Hause fahren soll. Dann muss ein PCR-Test zur Kontrolle in einem Testzentrum organisiert werden. Bestätigt sich der Befund, droht der Familie eine bis zu dreiwöchige Quarantäne.
Kein Wunder also, dass sich unter Eltern bereits Widerstand gegen das Testen formiert. Der sächsische Lehrerverband beklagt, dass Lehrer und Schulleitungen von Verweigerern schon beleidigt und sogar bedroht worden seien. Allein in Sachsen haben in der vergangenen Woche 3.400 Schüler den Selbsttest verweigert. In jeder Klasse gibt es mehrere davon, berichten Schulleiter heute auch aus Duisburg – und das werden kaum nur diejenigen Schüler sein, die privat ihre Kontakte brav einschränken.
3. Kita-Kinder bleiben beim Testen komplett außen vor
Absurd: Laut Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz von gestern sollen Kita-Beschäftigte (die ja eigentlich zur schnellen Impfung vorgesehen sind) künftig zweimal in der Woche getestet werden – die Kinder dort aber nicht. Dabei sind es die Kinder, eben auch die Kita-Kinder, die das Infektionsgeschehen in Deutschland vorantreiben. Der jüngste Lagebericht des Robert Koch-Instituts mit Daten zu den Alterskohorten stammt von vergangener Woche Dienstag. Darin heißt es: «Der stärkste Anstieg ist bei Kindern zwischen 0-14 Jahren zu beobachten, wo sich die 7-Tage-Inzidenzen in den letzten vier Wochen verdoppelt haben.» Bei den 0- bis Vierjährigen lag die Inzidenz (Stand: 16. März) bereits bei 74. News4teachers / mit Material der dpa
