BERLIN. Beim Bund-Länder-Gipfel, der gestern Abend spät zu Ende ging, hat das Infektionsgeschehen in Kitas und Schulen praktisch keine Rolle gespielt. Die Länder regeln den Bildungsbereich damit weiterhin in Eigenregie. Wie, das hat die Kultusministerkonferenz in der vergangenen Woche beschlossen: Indem Schutzmaßnahmen dort weitgehend von Inzidenzwerten entkoppelt werden. Demgegenüber steht seit gestern lediglich eine Ausweitung der gerade mühsam anlaufenden Schnell- und Selbsttests für Schüler, Lehrkräfte und Kita-Beschäftigte. Rollt die dritte Corona-Welle damit nach den Ferien ungebremst durch die Kitas und Schulen?
Bund und Länder wollen Corona-Tests für Schüler, Lehrkräfte und Kita-Beschäftigte ausweiten und streben «baldmöglichst zwei Testungen pro Woche» an. Das geht aus dem gemeinsamen Beschluss von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Länder hervor. Seit kurzem werden an Schulen und Kitas Selbsttests ausgegeben. Die Verteilung und Organisation läuft regional unterschiedlich gut, und über die praktische Umsetzung wird vielerorts hitzig diskutiert, beispielsweise über die Frage, ob die Tests zu Hause oder in der Schule stattfinden sollen. Lehrerverbände halten die Aufsicht der Selbsttests von Schülern in einem Klassenraum durch ungeimpfte und ungeschützte Lehrkräfte für eine Zumutung, der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband sogar für unrechtmäßig.
“Bei Entscheidungen über den Schulbetrieb ist daher perspektivisch zu prüfen, das Kriterium der Inzidenz um weitere Kriterien zu ergänzen“
Es geht dabei vor allem um die einfacher zu handhabenden Tests, ohne tiefen Nasen- oder Rachenabstrich. Daneben werden weiterhin auch herkömmliche Schnelltests angeboten, die von geschultem Personal durchgeführt werden. Rechnerisch würden bei zwei Tests pro Woche für das komplette Kita- und Schulpersonal sowie alle Schüler in Deutschland mehr als 20 Millionen Tests wöchentlich benötigt. Zur Organisation des weiteren Betriebs von Schulen und Kitas, etwa zu möglichen Schließungen oder anderen Einschränkungen trafen Merkel und die Ministerpräsidenten keine konkreten Vereinbarungen.
Damit ist klar: Der KMK-Beschluss vom vergangenen Donnerstag gilt. „Die ausgeweitete Testung von Kindern und Jugendlichen dient dem Ziel, den Schulbesuch für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte sicherer zu machen und Infektionen zu identifizieren. Dadurch kann eine höhere Zahl von festgestellten Infektionen hervorgerufen werden und sich die Inzidenz in den Ländern erhöhen. Bei Entscheidungen über den Schulbetrieb ist daher perspektivisch zu prüfen, das Kriterium der Inzidenz um weitere Kriterien zu ergänzen.“ Welche weiteren Kriterien? Das bleibt ungesagt. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kommentierte diese Ankündigung bissig: „Schafft endlich die Thermometer ab. Dann ist der Klimawandel bewältigt!“
Wörtlich heißt es in dem Beschluss der Ministerpräsidenten von gestern Abend: „Ohne Maßnahmen, die den Anstieg der Neuinfektionen begrenzen, ist bereits im April eine Überlastung des Gesundheitswesens wahrscheinlich. Denn auch wenn bereits ein relevanter Teil der älteren Bevölkerung geimpft werden konnte, trägt die – nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen – deutlich höhere Sterblichkeit der in Deutschland nun führenden Mutante B.1.1.7 und die Tatsache, dass jüngere Patienten generell eine längere Verweildauer auf der Intensivstation haben, dazu bei, dass in der aktuellen Situation die Belastungsgrenze des Gesundheitssystems zwar nicht mehr bei der gleichen Inzidenzen wie bisher, aber bei exponentiellem Wachstum auch zeitlich nicht sehr viel später erreicht wird, als vor der Impfung der älteren Bevölkerung.“
Weiter heißt es: „Angesichts der exponentiell steigenden Infektionsdynamik muss die im letzten Beschluss vereinbarte Notbremse für alle inzidenzabhängigen Öffnungsschritte (‚Steigt die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in dem Land oder der Region auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in Kraft‘) konsequent umgesetzt werden.“
Wohlgemerkt: „alle inzidenzabhängigen Öffnungsschritte“. Das sind die Öffnungen im Schul- und Kitabereich schon seit dem Bund-Länder-Gipfel am 3. März ausdrücklich nicht mehr. In der Praxis hatten manche Länder gleichwohl Schul- und Kitaschließungen ab einem Inzidenzwert von 100 zumindest regional umgesetzt. Weil allerdings immer mehr Bundesländer in der Fläche über die Marke von 100 klettern (Thüringen als Spitzenreiter lag am Montag bereits bei 210), stünden landesweite Einschränkungen im Bildungsbereich an – die sind seit den Beschlüssen der KMK von letzter Woche und der Ministerpräsidenten von gestern Abend offenbar vom Tisch.
Kita-Beschäftigte, die geimpft werden sollen, sollen gleichzeitig zweimal in der Woche getestet werden – die Kinder dort aber nicht
Zu den Tests heißt es, zwei Testungen pro Woche würden “bald möglichst angestrebt” – was immer das auch heißen mag.
Wörtlich: „In den Ländern werden derzeit mit der steigenden Verfügbarkeit von Schnell- und Selbsttests flächendeckende Tests in Schulen und Kitas eingeführt. Mit der bevorzugten Impfung von Kitabeschäftigten sowie Grund- und Förderschullehrkräften wird ein wichtiger zusätzlicher Baustein bei den Schutzmaßnahmen erreicht. Die Testungen von Beschäftigten im Bildungsbereich und von Schülerinnen und Schülern werden weiter ausgebaut, es werden bald möglichst zwei Testungen pro Woche angestrebt. Auch im Kitabereich werden die Beschäftigten bald möglichst zweimal pro Woche in entsprechenden Verfahren getestet. Durch diese Maßnahme wird zum einen ein besserer Infektionsschutz in Schulen und Kitas erreicht, zum anderen auch das Erkennen und die Unterbrechung von Infektionsketten in der Gesamtbevölkerung unterstützt.“
Ist das nachvollziehbar? Kita-Beschäftigte, die geimpft werden sollen, sollen gleichzeitig zweimal in der Woche getestet werden – die Kinder dort aber nicht.
Dabei sind es die Kinder, auch die Kita-Kinder, die das Infektionsgeschehen in Deutschland vorantreiben. Der jüngste Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) mit Daten zu den Alterskohorten stammt von vergangener Woche Dienstag. Darin heißt es: «Der stärkste Anstieg ist bei Kindern zwischen 0-14 Jahren zu beobachten, wo sich die 7-Tage-Inzidenzen in den letzten vier Wochen verdoppelt haben.» Bei den 0- bis Vierjährigen liegt die Inzidenz (Stand: 16. März) mittlerweile bei 74, bei den Fünf- bis Neunjährigen bei 97, bei den zehn- bis 14-Jährigen bei 76, bei den 15- bis 19-Jährigen bei 103. Die Daten scheinen die Kita- und Schulöffnungen zu spiegeln: Seit Februar läuft der Betrieb an Kitas, Grundschulen und Abschlussklassen wieder. Im Bevölkerungsschnitt lag der Inzidenzwert bei 85. News4teachers / mit Material der dpa
Kultusminister verabschieden sich vom Inzidenzwert – weil Schüler jetzt getestet werden
