HAMBURG. Wie sind die Schulen durch die Pandemie gekommen? Was sind die drängensten Probleme? Gudrun Wolters-Vogeler, Leiterin einer Hamburger Grundschule – die 2019 für den Deutschen Schulpreis nominiert war- und Vorsitzende des Allgemeinen Schulleitungsverbands Deutschlands (ASD), beschreibt im folgenden Gastbeitrag, was ihr Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Monaten berichtet haben und was nun im Rahmen einer Umfrage bestätigt wurde: Es braucht eine Bildungsinitiative in Deutschland, die Schulen stärkt!
Schwächen des Bildungssystems
Durch alle bisherigen Phasen der Coronakrise stand der ASD (Allgemeiner Schulleitungsverband Deutschlands) mit seinen Landesverbänden in ständigem Kontakt und hat sich dabei über die Entwicklungen in den Bundesländern, die politischen Entscheidungen und deren Konsequenzen für die schulische Bildung, für den Schulbetrieb und für die Schulleitungen ausgetauscht.
In der Corona-Krise kristallisierte sich schon früh heraus, dass durch die von der Pandemie verursachten Bedingungen die schon lange vorhandenen und hinlänglich bekannten Schwächen im Bildungssystem noch verstärkt worden sind. Gleichzeitig ist bei vielen Verantwortlichen aus Bildungspolitik und Bildungsbürokratie schon früh der Wunsch nach einer möglichst schnellen Rückkehr zum Stand vor Corona und einem „Weiter-so“ zu spüren. Ich sehe darin eine fatale Haltung. Wir können nicht so tun, als verschwänden alte und neu hinzugekommene Schwächen des Bildungssystems von selbst am Ende der Pandemie.
Diese Haltung wird durch eine vom ASD initiierte, umfassende Befragung unter den Landesverbänden gestützt, deren erste Ergebnisse jetzt vorliegen. Eine umfassende Auswertung wird der ASD nach den Sommerferien präsentieren.
1. Wissensabfrage ersetzt Kompetenzerwerb
In Bezug auf die pädagogisch-fachliche Arbeit in den Schulen wird festgestellt, dass die unterrichtliche Arbeit schwerpunktmäßig auf die Vermittlung von Lerninhalten und deren Überprüfung ausgerichtet ist. Daraus ergibt sich, dass sich das Lernen der Schülerinnen und Schüler auf begrenzte Inhalte fokussiert, um in Test, Klassenarbeiten und Klausuren erfolgreich abzuschneiden. Der Erwerb dringend erforderlicher Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen bleibt dabei weitgehend auf der Strecke.
2. Zeit für Erziehungs- und Sozialisierungsaufgaben fehlt
Für den erzieherischen Aufgabenbereich wird den Schulen aller Schulstufen nach wie vor zu wenig Zeit zur Verfügung gestellt. Rolle und Bedeutung von Schule für Sozialisierungsprozesse werden von den für die Bildungspolitik Verantwortlichen weder angemessen eingeordnet noch erfahren sie eine angemessene Wertschätzung. Diese Haltung ist aus Sicht der Mitgliedsverbände des ASD nicht nachvollziehbar und bedarf einer dringenden Korrektur. Schulen sind vielerorts die einzigen Einrichtungen, welche die durch familiäre Verhältnisse sehr unterschiedlich gegebenen Bildungschancen kompensieren und damit „Bildungsungerechtigkeit“ abbauen.
3. Schulleitungen erweisen sich als zentrale Instanz für die schulische Bildung
Ohne gut ausgebildete und in jeder Hinsicht ausreichend ausgestattete Schulleitungen vor Ort ist eine erfolgreiche und zukunftsorientierte schulische Bildung nicht möglich. Diese Erkenntnis ist nicht neu, hat aber gerade jetzt noch einmal in Krisenzeiten verstärkt an Bedeutung gewonnen. Schulleitungen haben sich einmal mehr als zentrale Instanz erwiesen, die im Zusammenspiel mit Politik, Bildungsbürokratie, Schulträgern, Gesundheitsämtern, aber auch mit Eltern, Kollegien, Schülerinnen und Schülern Schule organisiert, gestaltet und damit möglich gemacht haben. Es ist dringend erforderlich, dass die Position der Schulleitungen auch nach Corona endlich so ausgestattet wird, dass Schulleiterinnen und Schulleiter den vielfältigen und umfangreichen Aufgaben besser gerecht werden können.
4. Umsetzung der Digitalisierung zeigt auch weiterhin Mängel
Bund und Länder haben verstärkt unter den Zwängen der Pandemie in die digitale Ausstattung der Schulen und auch der Schülerinnen und Schüler investiert. Dabei ist die Frage nach der Betreuung der technischen Ausstattung immer wieder angesprochen worden, wird aber vor Ort selten angemessen beantwortet. Durch die Umfrage ist flächendeckend bestätigt worden, dass die Funktionalität der digitalen Ausstattung in den Schulen nicht von Lehrkräften und/oder Schulleitung „nebenher“ gewährleistet werden kann. Der dafür notwendige IT-Support vor Ort fehlt oder ist völlig unzureichend. In der Folge davon verbleiben damit zusammenhängende Aufgabenbereiche bei der Schulleitung oder bei Lehrkräften und führen so zu missbräuchlicher Verwendung von Unterrichtszeit.
Aus der Sicht des ASD zeigt dieser kurze Auszug aus den Rückmeldungen der Landesverbände, dass auch ohne Corona-Pandemie dringender Handlungsbedarf für alle Bereiche der schulischen Bildung unübersehbar ist. Die notwendige Konsequenz in wenige Worte fassen: Alle, die für schulische Bildung Verantwortung tragen, sollten die Gelegenheit und die deutlichen Hinwiese auf die Defizite nutzen und bundesweit eine dringend nötige Bildungsinitiative auf den Weg bringen. Gudrun Wolters-Vogeler
Eltern und Lehrer einig: Schulen brauchen mehr Personal. Und kleinere Klassen
