BERLIN. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat eine Abschaffung des Bundesbildungsministeriums ins Gespräch gebracht. Man könne die Frage aufwerfen, «warum ein Ministerium auf einer Ebene eingeführt wird, für die man nicht zuständig ist», sagte der Grünen-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «In Baden-Württemberg gibt es ja auch kein Außenministerium.» Eine Gegenrede von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

Der Bund müsse den Ländern ihre Zuständigkeiten überlassen – meint Baden-Württembergs Landesfürst Kretschmann. Muss der Bund das? Wie (un)verantwortlich die Landesregierungen mit ihrer Bildungshoheit umgehen, haben sie in der Corona-Krise gezeigt: Die Empfehlungen für den Schulbetrieb des Robert-Koch-Instituts, der zentralen Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention also, wurden monatelang ignoriert. Mehrere Anläufe, dass sich die Kultusminister freiwillig auf einen einheitlichen Stufenplan für die Kitas und Schulen in der Pandemie einigen, scheiterten. Der Bundestag musste schließlich, gegen den ausdrücklichen Widerstand einzelner Ministerpräsidenten, die sogenannte “Bundesnotbremse” verabschieden, die bundesweit Wechselunterricht ab einem Inzidenzwert von 100 und Distanzunterricht ab 165 vorschrieb. Erst mit dieser “Bundesnotbremse” konnte die dritte Corona-Welle gebrochen werden.
Auch in der Bildung selbst scheitern die Länder seit Jahrzehnten daran, gemeinsame Standards für die Schulen zu vereinbaren. Baden-Württembergs Ministerpräsident war – wetten? – noch nie in der Verlegenheit, als Vater eines Schulkinds von einem Bundesland ins nächste umziehen zu müssen. Hat irgendjemand mal gezählt, wie viele verschiedene Schulformen in Deutschland existieren? Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es offiziell acht.
Deutschland ist in Sachen Schulstruktur ein Flickenteppich, dessen wirres Muster kaum jemand mehr erkennt
Welche Eltern sollen die Unterschiede noch verstehen, etwa zwischen einer „Sekundarschule“ und einer „Gesamtschule“ – zumal auch die anderen 15 Bundesländer sich immer wieder fröhlich neue Schulformen einfallen lassen: von der „Realschule plus“ bis zur „Werkrealschule“? Was macht zum Beispiel ein Gesamtschüler aus Köln, den es nach Augsburg verschlägt? Er muss sich eine neue Schulform suchen – etwa die zur „Mittelschule“ ernannte Hauptschule –, weil’s in Bayern kaum Gesamtschulen gibt.
Der Grusel lässt sich steigern. Stellen Sie sich doch mal einen Schüler vor, der während seiner Schullaufbahn dreimal das Bundesland wechselt (es gibt tatsächlich Familien, die müssen sowas aus beruflichen Gründen tun). Er beginnt in Hessen, wo er in einer Grundschule ohne Noten lernt, was dort möglich ist. Dann, Anfang des 4. Schuljahres, zieht der Junge mit seinen Eltern nach Bayern um – wo jetzt plötzlich allein der Notenschnitt darüber entscheidet, welche Schulform er im Anschluss besuchen darf. Anfang der 6. Klasse geht die Reise nach Berlin. Und der Schüler, der im Freistaat seit mehr als einem Jahr eine weiterführende Schule besucht hat, findet sich jäh zurück auf der Grundschule wieder, die ja in Berlin meist sechs Schuljahre umfasst. Vier Jahre später, der Schüler ist mittlerweile 15 und auf dem Gymnasium, wechselt er nach Niedersachsen und hat dort (nach Wiedereinführung von G9) noch volle drei Schuljahre bis zum Abitur vor sich. In Berlin wären’s nur zwei gewesen.
Deutschland ist in Sachen Schulstruktur ein Flickenteppich, dessen wirres Muster kaum jemand mehr erkennt. Nicht nur in Sachen G8/G9 gibt es je nach Bundesland völlig unterschiedliche Lösungen – ein achtjähriges Gymnasium hier, Wahlmöglichkeiten dort, neun Jahre Gymnasium mancherorts und in Berlin (wo die Grundschule in der Regel, wie gesagt, sechs Jahre umfasst) nur sechs. Dazu kommen dann noch Initiativen wie die von Hessen, im Alleingang die Noten in der Grundschule abzuschaffen (das ist dort zumindest ins Belieben von 150 Modellschulen gestellt).
Die Kultusministerkonferenz meint, der Länderwettbewerb täte der Bildung gut. Tut er das? Ist es gut, wenn einzelne Länder sich beim Absenken ihrer Standards bei den zentralen Abschlussprüfungen unterbieten – und Abiturienten dann aus den Hochleistungsländern Bayern oder Sachsen mit Abiturienten aus Niedriganspruchsländern wie Berlin um knappe Numerus-Clausus-Studienplätze konkurrieren müssen? Oder ist das schlicht ungerecht? Ist es gut, wenn der Stadtstaat Hamburg 8.700 Euro pro Grundschüler und Jahr ausgibt – Nordrhein-Westfalen hingegen nur etwas mehr als die Hälfte, nämlich 4.800 Euro, wie eine Studie jüngst ergab? Oder ist das einfach eine krass ungleiche Chancenverteilung?
Wird das Gebot gleichartiger Lebensverhältnisse in der Schulbildung erfüllt?
Statt endlich mal gemeinsam die Bildung in Deutschland voranzubringen, setzen die Länder ihre Energie ein, um den Bund mit allen Mitteln aus den Schulen herauszuhalten. Jüngstes Beispiel: das Projekt “Nationaler Bildungsrat”, in dem sich die Länder, der Bund und Experten über einen vernünfigen Rahmen hätten unterhalten sollen. Gescheitert – am Widerstand von (sic!) Kretschmann und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)! Bildung braucht Standards, gemeinsame Maßstäbe. Das Bundesbildungsministerium ist die einzige politische Institution in Deutschland, die die Länder zumindest hin und wieder daran erinnert. Würde es abgeschafft, wäre das Chaos – jede Wette – noch größer, als es ohnehin schon ist. Und die Bildung wäre noch weiter abgehängt. Denn es ist der Bund, der mit sechs Milliarden Euro die Digitalisierung der Schulen in Deutschland bezahlt, genauer: bezahlen muss, weil die meisten Länder das Mega-Thema komplett verschlafen haben.
Richtig ist zwar: Das Grundgesetz sieht die Hoheit über das Thema Bildung – allerdings gilt das erst seit der Föderalismusreform von 2006 – bei den Ländern. Das Grundgesetz fordert aber auch die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland. Es wäre interessant, vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, ob dieses Gebot in der Schulbildung überhaupt noch erfüllt wird. Bis dahin kann Herr Kretschmann ja mal versuchen, einem Ausländer das deutsche Schulsystem in seiner ganzen Vielfalt zu erklären. Auch das: zum Scheitern verurteilt. News4teachers
Nach Corona: Mit diesen Kultusministern ist kein Staat mehr zu machen