BERLIN. Entgegen den Warnungen aus der Wissenschaft lockern immer mehr Bundesländer die Maskenpflicht in Schulen oder streichen sie – wie das Saarland – gleich komplett. Same procedure as every year? Auch im vergangenen Herbst hatten die Länder es nicht für nötig befunden, die Corona-Empfehlungen von Fachleuten zu beachten. Die Folgen sind bekannt.
Im vergangenen Herbst verwarfen die Bundesländer die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für den Schulbetrieb, die ab einem Inzidenzwert von 50 die Abstandsregel in den Klassenräumen und eine Maskenpflicht im Unterricht vorsah. Die Folgen sind bekannt: Die zweite Corona-Welle gewann an Fahrt, mehrere Zehntausend Menschen starben – und die Schulen blieben dann sogar monatelang geschlossen. Auch in diesem Herbst gibt es wieder Empfehlungen aus der Wissenschaft. Die Schulen könnten für den Präsenzbetrieb geöffnet bleiben, wenn ausreichend gelüftet wird, weiterhin getestet werde – und die Maskenpflicht im Unterricht bestehen bleibt., so errechnete ein Team um den Mobilitätsforscher Prof. Kai Nagel von der TU Berlin aufgrund von statistischen Daten aus dem aktuellen Verlauf der Pandemie. Und was machen die Bundesländer? Lockern die Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler.
In immer mehr Bundesländern müssen Schülerinnen und Schüler bald keine Masken mehr im Unterricht tragen. In Bayern soll von nächster Woche an im Unterricht keine Maskenpflicht mehr gelten, kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Mittwoch in einer Sitzung der CSU-Landtagsfraktion in München an. An den Schulen im Saarland gilt von diesem Freitag an keine Maskenpflicht mehr – sowohl in den Klassenzimmern als auch in allen anderen Bereichen, teilte Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) am Mittwoch in Saarbrücken mit.
In Nordrhein-Westfalen will die Landesregierung kommende Woche Klarheit schaffen, wie es mit dem Unterricht und der Maskenpflicht in Nordrhein-Westfalen nach den Herbstferien weitergeht. Auch in Baden-Württemberg werde ein Ende der Maskenpflicht in Schulen am Platz erwogen, sagte ein Regierungssprecher. In Berliner Schulen wird ab Montag die Maskenpflicht bis zur einschließlich sechsten Klasse aufgehoben.
«Es gibt Überlegungen, die Maskenpflicht in Schulen am Platz zu überarbeiten»
Lockerungen bei Corona-Vorgaben zur Maskenpflicht im Unterricht liegen aus Sicht der Bundesregierung in der Verantwortung der Länder. Unter Schutz- und Hygienekonzepte an den Schulen könne auch das Maskentragen fallen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die Ausgestaltung sei aber Sache der Länder. Das Tragen von Masken könne weiterhin eine sinnvolle Maßnahme sein, erläuterte Seibert. Generell gelte es, die Entwicklung der Infektionszahlen und den Impffortschritt bei Kindern zwischen 12 und 17 Jahren zu beobachten.
Sollte das Pandemiegeschehen stabil bleiben, brauchen Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg aller Voraussicht nach demnächst keinen Mund- und Nasenschutz mehr an ihrem Platz im Klassenzimmer tragen. «Es gibt Überlegungen, die Maskenpflicht in Schulen am Platz zu überarbeiten», bestätigte Regierungssprecher Arne Braun. Die nächste Aktualisierung der Corona-Verordnung stehe für übernächste Woche an. «Es kann sein, dass wir das da schon überarbeiten.» Eine solche Lockerung wäre aber Teil eines Gesamtpakets.
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hält eine Lockerung für geboten, wenn die Inzidenzen stabil bleiben. «Es ist schwierig für die Kinder und Jugendlichen, wenn sie die Maske den ganzen Tag tragen müssen. In Bezug auf Lockerungen an den Schulen steht daher eine Erleichterung bei der Maskenpflicht als einer der ersten Punkte auf der Tagesordnung, wenn das angesichts des Pandemiegeschehen verantwortbar ist.» Was heißt das aber – «stabil bleiben»? Baden-Württemberg gehört zu den Bundesländern, die fast durchgängig hohe Inzidenzen unter Fünf- bis 14-Jährigen aufweisen, im Schwarzwald-Baar-Kreis etwa bei 320, im Stadt-Kreis Stuttgart bei 408, in Pforzheim sogar bei 448.
«Die Maske ist aus pädagogischer Hinsicht schwierig, insbesondere wenn es um das Sprachenlernen geht»
Schopper sagt trotzdem: «Die Maske ist aus pädagogischer Hinsicht schwierig, insbesondere wenn es um das Sprachenlernen geht, aber auch für Kinder die Deutsch als Zweitsprache erlernen oder für verschiedene Unterrichtsformen, wie beispielsweise beim Theaterspielen.» Vor allem für Kinder unter zwölf Jahren sei die Maske hinderlich. «Sie brauchen aufgrund ihrer Entwicklung die Mimik zur Verständigung, um zum Beispiel mal ein Lächeln sehen oder zeigen zu können.» Für eine Lockerung spreche auch, dass es bei Kindern über zwölf Jahren in der jüngsten Zeit einen großen Impffortschritt gegeben habe. Es gebe teilweise schon Klassen, in denen 100 Prozent der Schülerinnen und Schüler geimpft seien. «Ich appelliere deshalb auch weiterhin an die Schülerinnen und Schüler und auch an die Eltern nachzuziehen – lassen Sie sich impfen, lasst Euch impfen und schützt damit euch und auch andere Personen in Eurem Umfeld.»
Ähnlich die Situation in Nordrhein-Westfalen – auch hier steht die Maskenpflicht im Unterricht zur Disposition. Das Thema sei schwierig, da einerseits die Zahl der Corona-Neuinfektionen zurückgehe, andererseits vor einer neuen Infektionswelle gewarnt werde, sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Rechtzeitig vor den am 11. Oktober startenden Herbstferien würden die Schulen aber Anfang nächster Woche informiert. Dazu werde es auch einen Brief an die Eltern geben.
Gebauer machte noch keine Andeutungen, wohin sie tendiert. Klar sei hingegen: «Wir werden die Testungen nach den Herbstferien nicht einstellen.» Der Haushalts- und Finanzausschuss habe dafür bereits Geld bis zum Jahresende zur Verfügung gestellt. An Grund- und Förderschulen in NRW gibt es zweimal wöchentlich sogenannte Lolli-Pooltests, an weiterführenden Schulen dreimal wöchentlich Antigen-Selbsttests. In den Herbstferien müssen sich Schüler selbst um Tests kümmern, wenn sie an coronabedingt Veranstaltungen mit Zulassungsbeschränkungen teilnehmen wollen. Nach einem Bund-Länder-Beschluss bleiben die Tests für alle unter 18 Jahren kostenlos.
Insgesamt zeigten die rückläufigen Infektions- und Quarantänezahlen, dass der Präsenzunterricht im Klassenraum in NRW weiter zu verantworten sei, bilanzierte Gebauer. «Unsere Schulen sind auch weiterhin ein sicherer Lernort.» Derzeit sei keine einzige Schule vollständig wegen Corona geschlossen. Der Anteil der Schüler und Lehrkräfte, die wegen der Pandemie nicht am Präsenzunterricht teilnehmen, liege unter einem Prozent. Die Zahl der Schüler in Quarantäne habe sich zum Stichtag 22. September im Vergleich zur Vorwoche auf 7581 fast halbiert.
Schulen hätten sich bislang nicht als Orte massiver Corona-Ausbrüche gezeigt, so Gebauer. Dies betreffe vielmehr Familien. «Es gibt in verschiedenen Communities (Gemeinschaften) in Bezug auf das Impfen folgendes Problem: Die jungen Männer sagen, Impfen macht impotent. Und die jungen Frauen sagen, Impfen macht unfruchtbar.» Hier sei weitere Aufklärungsarbeit nötig – «was nicht einfach ist». Wieso liegen dann allerdings die Inzidenzen unter Fünf- bis 14-Jährigen Schülerinnen und Schülern in Nordrhein-Westfalen nach wie vor auf hohem Niveau? Für Düsseldorf wird in dieser Altersgruppe ein Wert von 249 gemeldet, für Essen von 265 gemeldet, für Hagen sogar von 544 – das ist bundesweit die Spitze.
Dabei ist die Maskenpflicht im Unterricht offenbar eine recht wirksame Schutzmaßnahme. Das „Ärzte-Blatt“ berichtet von den übereinstimmenden Ergebnissen zweier US-Studien, dass es «in den USA nach dem Ende der Sommerferien an Schulen ohne Maskenpflicht deutlich häufiger zu Ausbrüchen von COVID-19 gekommen als an Schulen, die den Empfehlungen der Centers for Disease Control and Prevention folgen und alle Schüler und Lehrer verpflichten, in Innenräumen eine Maske zu tragen. » Die Wissenschaftler schätzen das Infektionsrisiko ohne Maskenpflicht im Unterricht um den Faktor 3,5 höher ein als mit. News4teachers / mit Material der dpa
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