Website-Icon News4teachers

Deutschlands Lehrer sind viel besser als ihr Ruf! Eine Replik auf die These, der zufolge 40 Prozent ungeeignet sind

Anzeige

FRANKFURT/MAIN. Kürzlich erreichte der Schulpädagogik-Professor Norbert Seibert auch in den überregionalen Medien große Aufmerksamkeit mit der Aussage, nach der über 40 Prozent der Lehrkräfte in Deutschland eigentlich für ihren Beruf nicht geeignet seien (1). Wie die zahlreichen Kommentierungen der auch auf News4teachers publizierten These zeigen, gab es nicht nur seitens der Lehrerschaft massiven Widerspruch – teilweise zurecht, wie sich folgender Replik von Prof. Dr. em. Hans Peter Klein entnehmen lässt. Er hatte bis 2018 den Lehrstuhl für Didaktik der Biowissenschaften an der Goethe Universität Frankfurt inne. Klein ist zudem Präsident der gleichnamigen Gesellschaft und Mitbegründer der Gesellschaft für Bildung und Wissen.

Sind zwei von fünf Lehrkräften für den Beruf eigentlich nicht geeignet? Die These ruft Widerspruch hervor. Foto: Shutterstock

Basieren die Aussagen auf validen und reliablen empirischen Daten?

Wer eine solche Aussage trifft, sollte über zuverlässige Daten verfügen, die diesen nicht unerheblichen Vorwurf empirisch belegen. Gibt es in der empirischen Bildungsforschung eine diese Aussage unterstützende eindeutige Studienlage überhaupt? Die Antwort ist ein klares „Nein“, es gibt keine empirisch abgesicherten Studien, die diesen Vorwurf auch nur annähernd belegen. So fragen sich viele Leser auch in News4teachers zurecht, woher die Zahl eigentlich stamme, dies sei nirgends aufgeführt.

In der Tat muss man vermuten, dass diese Zahl auf die selbst durchgeführten Befragungen von angehenden Lehramtskandidaten zurückzuführen sind, die Seibert in seinem Institut in Passau mit seiner PArcour-Eignungsberatung angehenden Lehramtskandidaten anbietet (2). Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Lehramtskandidaten frühzeitig mit den besonderen Anforderungen an den Lehrerberuf bekannt gemacht werden. Hier aber eine valide Diagnose treffen, um den angeblichen Spreu vom Weizen zu trennen, ist mehr als vermessen. Zuerst einmal muss also festgehalten werden, dass sich seine Aussage ausschließlich auf angehende Lehramtsstudierende und keinesfalls auf fertig ausgebildete Lehrer bezieht, wie es die allgemeine Lehrerschelte generalisierend zum Ausdruck bringt. Von den an PArcour teilgenommenen Lehramtsstudierenden dürfte nämlich nicht bekannt sein, wer von ihnen überhaupt ein Lehramtsstudium vollendet und letztendlich als Lehrer an der Schule landet. Insofern ist die medienwirksame Zahl nicht geeigneter Lehrer schlichtweg falsch.

Anzeige

Ist ein Schulpädagogik-Professor überhaupt in der Lage zu beurteilen, wer ein guter Lehrer ist?

Weiterhin fragt ein Lehrer in den Kommentierungen in News4teachers zu dem Artikel zurecht, „ob ein Pädagogik-Professor überhaupt in der Lage ist zu beurteilen wer ein guter Lehrer ist?“ (3) Schaut man sich dazu den „PArcour“-Eignungstest für Lehramtskandidaten auf seiner Homepage einmal näher an, so sollen dort in dem durchgeführten Eignungstest die Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale erfasst werden, die den Studierenden ihre Eignung oder Nicht-Eignung für das Lehramtsstudium und den Lehrberuf vor Augen führen soll. Damit wird der Anspruch erhoben, dass die Schulpädagogik genau wisse, über welche Kompetenzen angehende Lehramtsstudierende vorab verfügen müssen, um überhaupt ein Studium aufnehmen zu können. Auch diese Argumentation ist geradezu absurd, da hier vielen Interessenten für eine Lehramtsausbildung von vornherein die Fähigkeit abgesprochen wird, den Lehrerberuf zu erlernen.

Für sämtliche Berufsausbildungen sind – außer den entsprechenden schulischen Abschlusszeugnissen – in der Regel keine speziellen Kompetenznachweise zu erbringen, schließlich geht man ja in die „Lehre“ oder beginnt ein „Studium“, um den Beruf oder die Voraussetzungen dafür zu erlernen. Selbst für die Spitzenpositionen in der Politik gäbe es keine Kompetenznachweise, die vorab abgeprüft werden, erwähnt ein Kommentator zurecht. (3) Hier reicht in der Regel ein Parteibuch aus. Selbst bei diesen Spitzenämtern geht man davon aus, dass „learning by doing“ fehlende Erfahrung nach und nach ausgleicht. Das mag der ein oder andere bedauern, aber diese Vorgehensweise hat Deutschland in der Vergangenheit offensichtlich auch nicht schwerwiegend geschadet. In den Kernaussagen des Kollegen wird aber nun genau dies für das Erlernen des Lehrerberufs geradezu ausgeschlossen. Dabei wissen ältere Lehrer meist genau, dass ihre Erfahrung im Laufe der Zeit einen durchaus sinnvollen Reflexionsprozess des eigenen Handelns erst in Gang gesetzt hat.

Die fragwürdige Rolle von Eignungstests für Lehramtsstudierende

Schauen wir uns jetzt aber einmal die Kompetenzen genauer an, die nach Meinung des Schulpädagogik-Professors ein guter Lehramtskandidat und später auch guter Lehrer braucht:

„Die Eignungsberatung beinhaltet folgendes: ein ca. 20-minütiges Feedbackgespräch mit einer Expertin/einem Experten aus dem Bereich der Schulpädagogik, eine ca. 12-seitige schriftliche Ergebnisrückmeldung zu den einzelnen Kompetenzausprägungen und ein optionales weiterführendes Beratungsgespräch mit Prof. Dr. Norbert Seibert am Lehrstuhl Schulpädagogik.“

Aha, am Lehrstuhl für Schulpädagogik in Passau gibt es genügend Experten, die genau wissen, wie ein Feedback von angehenden Lehramtsstudierenden aus dem Bereich der Schulpädagogik zu bewerten ist und welche immerhin 12-seitigen schriftlichen Ergebnisrückmeldungen zu einzelnen Kompetenzausprägungen denn als voraussetzend erachtet werden, den Lehrerberuf überhaupt ergreifen zu können. Auf dieser Basis gibt´s dann ein abschließendes Beratungsgespräch mit dem Chef, der dann darüber entscheidet, ob jemand Lehramt studieren sollte oder nicht.  Und dieses Eignungsverfahren fordert er allem Anschein nach verpflichtend für alle Studierenden der verschiedenen Lehrämter flächendeckend einzuführen.

Es wird in diesem Zusammenhang auf Finnland verwiesen, wo tatsächlich seit den 70-er Jahren Aufnahmetests durchgeführt werden. Der erste Teil, das Vakava-Examen, ist eine Art schriftlicher akademischer Eignungstest, der für alle am Bildungswesen Interessierten mit und ohne Abitur teilnahmeverpflichtend ist. Das ist schon ein erster gravierender Unterschied zu Deutschland. Hier ist ein Abitur und ein Nc Voraussetzung für die Aufnahme eines Lehramtstudiums. Der zweite Teil besteht aus Einzel- und Gruppengesprächen zu relevanten Themen im Schulbereich wie Motivation, Engagement, Erwartungen usw.. Dies ist den Prüflingen vorher wohl bekannt. Wer die meisten Punkte erhält, darf Lehramt studieren.

Diese finnische Vorgehensweise wurde nach dem PISA-Erfolg von 2000 von vielen als beispielhaft bewertet. Mittlerweile ist Finnland aber längst nicht mehr führend in den PISA-Studien. Auch wird der finnische Erfolg in den PISA-Studien von 2000 von vielen Kennern der Szene auf einen noch in den 90er Jahren mehr lehrergeführten Unterricht zurückgeführt. Auch ist Finnland nicht – wie Schweden oder Deutschland – mit Problemen der extremen Diversifizierung von Schulstandorten vor allem innerhalb der Großstädte wegen zunehmender Immigration aus teils bildungsfernen Schichten betroffen, die durchaus auch nach einer diversifizierenden Lehrerschaft verlangt.

Selbst der Unterricht an einem Gymnasium beispielsweise in Königstein, Marienburg, Lindenthal oder Blankenese ist doch offensichtlich ein völlig anderer als in Wilhelmsburg, Köln-Kalk, Chorweiler oder Griesheim mit bis zu 80% Ausländeranteilen, die teilweise die deutsche Sprache nur rudimentär beherrschen. Dies trifft noch mehr auf die je nach Bundesland unterschiedlichen Schulformen außerhalb des Gymnasiums in besonderer Weise zu. Entsprechend divers müssen auch die Lehrangebote für die Lehramtskandidaten in ihren unterschiedlichen Lehramtsstudiengängen angeboten werden. Man hat sich daher ja auch mit doch beachtlicher Mehrheit von der Idee des Einheitslehrers längst verabschiedet.

Durch diese sozioökonomischen und soziokulturellen Veränderungen auch der Schullandschaft besonders in den Großstädten ist es zu einer folgeschweren Entwicklung gekommen, in der das Kerngeschäft des Lehrerberufs selbst – der Unterricht – durch die damit auftretenden Problematiken und durch immer mehr Verwaltungsvorschriften teils unsinniger Art ausgehöhlt wird. In Berlin berichten aktuell Lehrer, dass Unterrichten zur Nebensache geworden ist. (4). Hier sollte man die verantwortlichen Politiker in die Pflicht nehmen. Schule kann nicht der Ort sein, an dem alle sozioökonomischen und soziokulturellen Entwicklungen und Fehlentwicklungen seit der Jahrtausendwende ausgeglichen werden sollen, für die es in der Politik und der Gesellschaft anscheinend keine Lösung gibt. Dies ist nicht Kernaufgabe der Schule und überfordert die dort tätigen Lehrer in besonderem Maße.

Hier geht es zum zweiten Teil des Beitrags: Was ist überhaupt guter Unterricht?

Quellen:

(1) Passauer Professor: “Über 40 Prozent der Lehrer ungeeignet”. Passauer Neue Presse v. 24.09.2021

https://www.pnp.de/lokales/stadt-und-landkreis-passau/passau-stadt/Professor-beklagt-mangelhafte-Qualitaet-in-der-Lehrer-Ausbildung-4112193.html (04.02.2021)

(2)PArcours: Optimaler Start ins Lehramtsstudium o.D.

https://www.phil.uni-passau.de/schulpaedagogik/forschungprofilelemente/parcours/ (04.02.2021)

(3) Sind über 40 Prozent der Lehrer für den Beruf ungeeignet? Pädagogik-Professor fordert vor dem Studium eine Vorauswahl. News4teachers,  24.09.2021

https://www.news4teachers.de/2021/09/debatte-paedagogik-professor-haelt-ueber-40-prozent-der-lehrer-fuer-ungeeignet-er-fordert-vor-dem-studium-eine-vorauswahl/ (04.02.2021)

(4) Berliner Lehrer: Unterrichten ist zur Nebensache geworden

BZ v. 23.08.2021

https://www.berliner-zeitung.de/lernen-arbeiten/berliner-lehrer-unterrichten-ist-leider-zur-nebensache-geworden-li.177614?pid=true (04.02.2021)

Sind über 40 Prozent der Lehrer für den Beruf ungeeignet? Pädagogik-Professor fordert vor dem Studium eine Vorauswahl

Anzeige
Die mobile Version verlassen