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Fehlende Omikron-Strategie: “Das endet mit dem größtmöglichen Schaden, nämlich dem Schließen aller Schulen”

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BERLIN. In gut einer Woche wollen die Regierungschefs von Bund und Ländern erneut über die Corona-Lage beraten. Reicht es, danach zu überlegen, was mit den Schulen passiert, wenn die neue Virusvariante die Infektionszahlen hoch treibt? Es gibt Zweifel.

Das Coronavirus schafft Fakten. Foto: Shutterstock

Angesichts der erwarteten neuen Corona-Welle wächst der Druck auf die Kultusministerkonferenz, bald in einer Sondersitzung Lösungen für eine mögliche Belastungssituation in den Schulen zu erarbeiten. Bildungsexperten fordern dafür dringend Konzepte. Wie zuvor bereits Thüringens Minister Helmut Holter (Linke) verlangte auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) eine kurzfristige Sitzung der Ressortchefs der Länder. Auch der OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher beklagte, dass Deutschland keine taugliche Strategie entwickelt hat.

An diesem Donnerstag will das Präsidium der Kultusministerkonferenz (KMK), dem 6 der 16 Ressortchefs angehören, digital tagen und über das Thema beraten. Beschlüsse werden nach Angaben eines Sprechers nicht erwartet. Bisher pochen die Minister darauf, die Schulen so lange wie möglich offen zu halten.

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«Die Lage hat sich einfach verändert. Und deswegen brauchen wir in der KMK auch eine neue Lagebewertung»

Der Thüringer Holter (Linke) hatte am Mittwoch gesagt, er erwarte, dass die KMK noch vor der nächsten Schaltkonferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 7. Januar neue Empfehlungen formuliere. Er sprach sich für eine Änderung des Bundesinfektionsschutzgesetzes aus, um an Schulen auch flächendeckend Distanzunterricht zu ermöglichen. «Die Lage hat sich einfach verändert. Und deswegen brauchen wir in der KMK auch eine neue Lagebewertung», sagte Holter.

Bundesregierung und Bundesbildungsministerium hatten aber erst zu Wochenbeginn ihr Ziel bekräftigt, Schulen und Kitas offenzuhalten. Der für Kinder und Jugendliche so wichtige Präsenzunterricht solle weiter stattfinden. Zu beachten seien die psychischen und sozialen Herausforderungen und Folgen möglicher Schließungen, hieß es.

Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach sich gegen die Schließung von Schulen aus. «Es hat die allerhöchste Priorität, diese Orte der Bildung und der persönlichen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen offenzuhalten», sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Sonst fehle auch der Austausch untereinander. Als Mittel, um das zu sichern, nannte sie Tests sowie Impfungen von Schülern, Erzieherinnen und Lehrkräften. Allerdings: Für Kinder zwischen fünf und 12 Jahren gibt es keine Impfempfehlung durch die Ständige Impfkommission, sodass viele Ärzte sie nicht impfen. Wirkungsvoller Infektionsschutz in Schulen? Fehlanzeige.

Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, sagte dem Berliner «Tagesspiegel» deshalb, das Prinzip «Augen zu und durch» habe in der Pandemie schon mehrfach nicht funktioniert: «Das endet mit dem größtmöglichen Schaden, nämlich dem Schließen aller Schulen.» Auch er plädierte dafür, am Präsenzunterricht nicht um jeden Preis festzuhalten – auch wenn flächendeckende Schließungen keineswegs das Ziel seien. Aber die Inzidenzraten bei 5- bis 14-Jährigen seien schon jetzt teilweise doppelt und dreifach so hoch seien wie der Durchschnitt. Auch drohende Ausfälle bei den Lehrkräften müssten eine Rolle spielen.

«Es rächt sich das Fehlen einer mittelfristigen Strategie, es geht ja immer nur um Überbrückungslösungen»

OECD-Bildungsdirektor Schleicher sagte der Zeitung: «Es rächt sich das Fehlen einer mittelfristigen Strategie, es geht ja immer nur um Überbrückungslösungen.» Zu einer solchen Strategie gehöre, die mittelfristigen Folgen sowohl des Schließens wie des Offenhaltens der Präsenzunterrichts für das Wohlergehen von Schülern, Lehrkräften und der Gesellschaft insgesamt abzuwägen. Entscheidend sei, dass Schulen lernten, mit dem Virus zu leben: «Dazu sind Investitionen in Infrastruktur genauso wichtig wie mehr Handlungsspielräume und Verantwortung vor Ort.»

3.500 Euro, so berichtete News4teachers bereits vor mehr als einem Jahr, hätte ein von Wissenschaftlern entwickelter, wirkungsvoller Infektionsschutz aus mobilen Luftfiltern und Plexiglaswänden pro Klassenraum gekostet – in Summe für Deutschland etwa zwei Milliarden Euro. Das war den meisten Bundesländern allerdings zu teuer. Nicht mal ein einfaches, vom Max-Planck-Institut für Chemie entwickeltes Lüftungssystem mit Ventilatoren in den Fenstern, das mit Materialien aus dem Baumarkt für wenige Hundert Euro pro Klassenraum gebaut werden kann, wurde flächendeckend erwogen – obwohl erst unlängst eine Studie die Wirksamkeit bestätigt hat, wie News4teachers ebenfalls berichtete.

Wenn in dieser Diskussion von Schließung der Schulen die Rede ist, geht es allerdings in der Regel nicht um ein Ende der Beschulung generell, sondern um den Ersatz des allgemeinen Präsenzunterrichts durch andere Formen wie wechselnden Präsenz- und Heimunterricht in festen Klassengruppen bis hin zu völligem Digitalunterricht oder anderem Fernunterricht etwa mittels schriftlicher Aufgaben.

«An meiner Schule hatten wir zum Beispiel in der ersten Klasse zehn Kinder mit einem Sprachstand von Null»

Berlins neue Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) beklagt gravierende Folgen der Corona-Pandemie für die Schulkinder. Die Lernstandserhebungen nach den Sommerferien hätten große Defizite aufgezeigt, sagte sie der «Berliner Morgenpost». Nach Angaben der Senatsverwaltung hat rund jeder vierte bis fünfte Schüler in der Hauptstadt Lernlücken aus der Pandemie. Busse, die zuvor eine Grundschule leitete, berichtete: «An meiner Schule hatten wir zum Beispiel in der ersten Klasse zehn Kinder mit einem Sprachstand von Null.» Normalerweise gebe es immer höchstens ein Kind, mit dem praktisch keine Kommunikation möglich sei. Doch wegen der Schließung der Kitas im Lockdown habe für diese Kinder keine Sprachförderung stattgefunden.

Allerdings: Allein das Bekunden, die Kitas und Schulen unbedingt offenhalten zu wollen, sichert noch keine Förderung. Deshalb wirft der

Verbot von Schulschließungen: Bund zwingt Lehrer und Schüler im Corona-Hotspot Thüringen zum Präsenzunterricht

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