DÜSSELDORF. “Mission Impossible: Der Lehrerberuf leidet an überzogenen Erwartungen – nicht an fehlenden Leistungsprämien”, so hatte News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek unlängst kommentiert (hier geht’s hin) – und daraufhin viele Zuschriften von Leserinnen und Leser, die meisten davon Lehrkräfte, erhalten. Exemplarisch veröffentlichen wir hier noch einmal einen Post von Lehrer “Schattenläufer”, der auf breite Zustimmung gestoßen ist. Kein Wunder: Der sachliche, aber engagierte Beitrag macht die Belastung, unter der die Kollegien leiden, besonders anschaulich.
Schattenläufer, 18. Dezember 2022
Es existiert eben das Bild vom faulen Lehrer. Morgens von 8 bis 12 zur Schule und dann frei. Die Politik pflegt dieses Bild aus Unwissenheit und weil es bequem ist. Es würde mich wundern, wenn ein Minister der KMK wüsste oder auch nur wissen wollte, wie die Arbeitsbelastung von Lehrerinnen und Lehrern wirklich ist:
- Unterrichtszeit 23-28 Schulstunden. Das sind etwa 20 Zeitstunden.
- Etwa 1 Stunde pro Woche für Aufsichten
- Unterrichtsvorbereitung macht pro Doppelstunde 13 mal 30 Minuten. Sind 6,5 Stunden.
- Für Gespräche mit SuS, Eltern, Kollegen und Co gehen 3 Stunden pro Woche drauf.
- Weitere 3 Stunden sitzt man in Konferenzen. Kein Laie kann sich vorstellen, über was man alles konferieren kann.
- Zusätzlich etwa 2,5 Stunden für den Verwaltungsberg, plus eine Stunde für die Post / E-Mail.
- Pro Jahr schreibt so ein Lehrer etwa 60 Klassenarbeiten. Die muss man aufsetzen. Trotz Fragensammlungen kostet das mit Punktverteilung und Musterlösung etwa 1,5 Stunden pro Arbeit. Macht 2,5 Stunden pro Woche.
- Natürlich muss man diese Arbeiten auch korrigieren und die Noten dokumentieren. Kostet etwa 3 Stunden pro Arbeit. Mach nochmal 4,5 Stunden pro Woche drauf.
- Arbeit für die Schule bei Projekten, Aufräumaktionen, Elternabenden, Tag der offenen Tür und vielem mehr kostet den LuL erneut 1,5 Stunden.
- Teilnahme an pädagogischen Tagen und Fortbildungen über die Unterrichtszeit hinaus beträgt etwa 0,5 h pro Woche.
- Dann sieht die Sache schon anders aus. Wer alles ober zusammen rechnet kommt pro Schulwoche auf etwa 45 Zeitstunden.
- Überraschung. Dies ist so gewollt um die verteufelten Faulenzer-Ferien auf zu fangen.
Beamte arbeiten 46 Wochen a 40 Stunden. Lehrer arbeiten 40 Wochen mit 45 Stunden. Um die Feiertage in den Ferien bereinigt kommt man dann auf die gleiche Summe. - Die 45 Stunden wurden auch schon durch Untersuchungen von Betriebsberatern bestätigt.
Alle aufgezählten Punkte sind jedoch rein theoretisch. Zunächst setzt es mal große Routine voraus, die Arbeiten in dieser Zeit auch zu schaffen. Das macht bei Berufsanfängern natürlich mehr Zeit und Stress.
Ein weiterer Punkt zur Einhaltung der Zeiten ist die Voraussetzung, dass auch alles klappt. Die Mahnungen, die raus müssen, brauchen zum Erstellen etwa 1 Stunde. Wenn die EDV auf dem normalen Schulstandard ist – und nichts funktioniert -, werden daraus schon mal zwei Stunden und mehr.
Außerdem weiß eben jeder aus der “Bild” und von unseren Dienstherren, dass wir eigentlich nichts zu tun haben. Eltern rufen schon mal gerne mehrfach an, um unbedingt einen Gesprächstermin nach 15 Uhr zu erzwingen. Zu dem Termin kommt dann aber niemand. Was soll’s. Ist doch nur ein fauler Lehrer. Der hatte ja eh Zeit.
Dann kommt noch der legendäre Stuhl für jedermann dazu (das nimmt Bezug auf Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die mit Blick auf die vielen Flüchtlingskinder, die in die Schulen kommen, lapidar erklärt hatte: “Wenn in jeder Klasse ein zusätzlicher Stuhl steht für ein Kind mit entsprechender Ausstattung, ist das zu verkraften”, d. Red.). Der Lehrer kann jetzt entscheiden, ob ihm das egal ist – oder ob er Unterrichtsvorbereitung intensiviert, um dem Schüler ohne ausreichende Sprachkenntnisse gerecht zu werden.
Dazu kommen natürlich auch Vertretungen und Mitaufsichten für momentan massenhaft erkrankte Kollegen.
Der Unterricht selbst ist auch eine Augenweide. Volle Klassen, man bereitet den Einsatz der neuen Medien mit viel Aufwand vor – und hat dann kein WLAN.
Die Schülerinnen und Schüler brachten früher Grundkenntnisse mit. Zählen, Kenntnis erster Buchstaben, Manieren wie „Bitte“ und „Danke“, Wochentage, Monate, wie viele Tage hat ein Jahr. Was bringen SuS heute mit? Ein Handy und das Bewusstsein, dass sie selbst hochbegabt sind – und der Lehrer sie eh nicht fördern kann, weil er dazu zu dumm ist.
Darauf packt man jetzt einen Berg von extrem „wichtigen“ Zusatzinhalten. Friede, Umwelt, Berufsberatung, Ökonomie, Gleichberechtigung, Antisemitismus, LGBTQ, Gesundheit, Sucht, Demokratie… Diese soll der Lehrer dann auch noch mit erledigen. Natürlich ohne den normalen Unterrichtsstoff zu vernachlässigen. Am Besten nach der regulären Unterrichtszeit. Vorbereitung sollte natürlich auch sein. Umfassend.
Ich hoffe, der eine oder andere versteht jetzt ein gewisses Gefühl der Überlastung.
Leserin “dauerlüfterin” antwortet: Stimme zu. Ergänzung: Am Gymnasium mit Korrekturfächern träumt man von drei Stunden Korrekturzeit pro Klassensatz, m. E. spätestens ab Mittelstufe!
Schattenläufer: Zugegeben, ich hab große Blöcke mit vielen Stunden in wenigen Klassen.Ich habe technische Fächer, keine Sprachen. Ich habe halt nur von meinem Erfahrungshorizont berichtet. So gesehen ist der von mir beschriebene Aufwand eher noch moderat. News4teachers
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