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Lehrermangel? Kein Wunder! Ein sehr persönlicher Rückblick auf vier Jahrzehnte verfehlte Schulpolitik

HANNOVER. Johannes Liedtke platzt der Kragen, wenn er in diesen Tagen von den Klagen von Kultusministern über den Lehrermangel hört. Der erfahrene Grundschulpädagoge,  stellvertretender Landesvorsitzender des VBE Niedersachsen und Mitglied im Schulbezirkspersonalrat Lüneburg, hat jahrzehntelang die Erfahrung machen müssen, dass die Politik Schulen kaputtsparte und den Beruf dadurch unattraktiv machte. Im folgenden Gastkommentar schreibt Liedtke Klartext.

“Betrug an den Bildungschancen ganzer Schülergenerationen.” Illustration: Shutterstock

Jahrzehntelang hat die Politik in Niedersachen den Schulbereich systematisch und wissentlich an die Wand gefahren. Über alle Parteigrenzen hinweg wurde dieser zu Sparzwecken missbraucht, ausgesaugt und auf Verschleiß gefahren. Auch die Schulträger, die für die räumliche und sächliche Ausstattung der Schulen zuständig sind, haben meistens eben nicht dafür gesorgt, den schulischen Arbeitsplatz attraktiv zu gestalten.

Schon in den 1980er Jahren wurde eine ausreichende Personaldecke durch Einstellungsstopp verhindert. Während große Unternehmen in der Wirtschaft immer Personalreserven vorhalten, um absehbaren Engpässen begegnen zu können, schielte die Politik im Schulbereich nur auf kurzfristige Einsparpotentiale und stoppte die Einstellung von Nachwuchspädagogen mit Hinweis auf angeblich sinkende Schülerzahlen.

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Die großen Herausforderungen durch Flüchtlinge und die Corona-Pandemie konnten so natürlich nicht gut bewältigt werden. Diejenigen ausgebildeten Lehrkräfte, die in den 1980-ern arbeitslos wurden, haben sich in großer Zahl umorientiert und sind in anderen Berufen untergekommen. Jetzt fehlen sie im System, und nicht erst seit gestern.

“Lehrer-Bashing wurde dadurch salonfähig gemacht und seitdem von vielen Politikern gern aufgegriffen und populistisch vermarktet”

Eine ausreichende Abstimmung zwischen Kultus- und Wissenschaftsministerium zur Lehrerausbildung an den Universitäten gab es nicht; viele Hochschulen, gerade Stiftungsunis, hatten kein Interesse an Geisteswissenschaften, mit denen sich nur schwer Drittmittel aus der Wirtschaft einwerben lassen. Die Attraktivität des Berufes wurde weiter geschmälert durch

Bis 1999 gab es in Niedersachsen die sinnvolle Einrichtung der Altersermäßigung für Lehrkräfte: 1 Stunde ab dem 55. Lebensjahr, 2 Stunden ab dem 60. – 1999 reduzierte die damals rot-grüne Landesregierung die Altersermäßigung (angeblich befristet) auf 1 Stunde ab 60, als Kompensation für die Einführung der neuen Altersteilzeitregelungen. Nach deren Auslaufen sollte ab dem 1.8.2014 wieder die alte Regelung in Kraft treten. Das war eine Lüge. Die letzte Landesregierung, eine Koalition aus SPD/CDU, hatte die Wiedereinführung der zweiten Stunde Altersermäßigung sogar im Koalitionsvertrag stehen, was die Politiker jedoch nicht davon abhielt, dieses zu ignorieren.

Gute und erfolgreich verlaufende Schulversuche wie z. B. die „Volle Halbtagsschule“ wurden aus Kostengründen abgewürgt. Das Modell wurde Ende der 1980-er Jahre eingeführt, aber 2002 durch das Sparmodell „Verlässliche GS“ ersetzt. Dort gab es dann jahrelang illegalen Einsatz vom Honorarkräften, was dem Land – nach einer Klage der Rentenversicherungsträger – eine millionenschwere Nachzahlung von vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen bescherte.

Dass dieses Sparmodell auch ein großer Betrug an den Bildungschancen ganzer Schülergenerationen in Niedersachsen war und immer noch ist, haben insbesondere die Eltern nicht wirklich realisiert, da ihnen die 5-Stunden-Betreuung ihrer Kinder letztlich wichtiger war als Lehrerstunden. In Bildungsvergleichsstudien schneidet Niedersachsen denn auch regelmäßig schlechter ab als z. B. Bayern. Kein Wunder: GS-Schüler in Bayern bekommen bis zu 640 Stunden mehr Lehrerunterricht während ihrer Grundschulzeit.

“Die Forderung einer gleichen Eingangsbesoldung für alle Lehrkräfte hat man zunächst ignoriert, dann immer wieder verschoben”

Gleichzeitig hat man Lehrkräften und Schulen schwere Imageschäden zugefügt, indem man Anfang der 1990er eine Unternehmensberatung (Kienbaum) Sparvorschläge erarbeiten ließ, die an Absurdität kaum zu übertreffen waren. Der Gipfel war schließlich 1995 das sog. „Faule-Säcke-Zitat“ des damaligen SPD-Ministerpräsidenten Gerhard Schröder. Lehrer-Bashing wurde dadurch salonfähig gemacht und seitdem von vielen Politikern gern aufgegriffen und populistisch vermarktet. Kein Wunder: Wer hatte in seiner eigenen Schulzeit nicht schon einmal negative Erfahrungen mit Lehrkräften gemacht?

Die im Bildungsbereich – und bei den Beamten allgemein – eingesparten Gelder wurden in Industrie und Wirtschaft umgeleitet, meist mit dem Hinweis auf „Sicherung der Arbeitsplätze“. Viele staatliche Rettungsmillionen wurden in den Sand gesetzt (z. B. Holzmann 1999 durch Schröder). Heutzutage unterstützt man Impfstoff- und Maskenlieferanten, Erdöl- oder auch Pharmaindustrie, Waffenhersteller mit staatlichen Geldern, obwohl diese z. T. unfassbar hohe Gewinne einfahren.

Ist sauer: Johannes Liedtke. Foto: privat

Gleichzeitig wurden den Schulen in den letzten Jahrzehnten immer neue Aufgaben übertragen, natürlich ohne jegliche Kompensation.

Die Forderung einer gleichen Eingangsbesoldung für alle Lehrkräfte hat man zunächst ignoriert, dann immer wieder verschoben, obwohl schon das vom VBE in Auftrag gegebene „Gusy-Gutachten“ seit 2011 festgestellt hat, dass es keinen sachlichen Grund mehr für eine unterschiedliche Besoldung gäbe. Beamtengesetz und Ausbildungsverordnung sind in Niedersachsen seit über 10 Jahren für alle Lehrämter angeglichen worden.

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