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Debatte kocht hoch: Ist es altersgerecht und fair, Zehnjährige nach aktuellen Noten in drei Fächern auf Schulformen zu verteilen?

MÜNCHEN. Das kommende Woche anstehende Übertrittszeugnis sorgt in Bayern  für Diskussionen – wie jedes Jahr. Die Noten darin entscheiden darüber, welche weiterführende Schulform ein Kind nach der vierten Klasse besuchen darf. Die einen kritisieren das System als nicht altersgerecht und unfair. Für andere trägt eben dieses zum Bildungserfolg bei.

Es wird sortiert. Foto: Shutterstock

Rund 112.000 Viertklässlerinnen und Viertklässler erhalten am 2. Mai in Bayern ihr Übertrittszeugnis – wie jedes Jahr begleitet von Freude, Enttäuschung und grundsätzlicher Kritik an der Schulpolitik. «Das Übertrittszeugnis bietet eine wichtige Einschätzung der Klassenlehrkraft über Stärken, Neigungen und Fähigkeiten sowie die zukünftige bestmögliche Förderung für die Schülerinnen und Schüler der ihr anvertrauten Klasse», teilte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) mit. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hält die Übertrittsregeln dagegen für zu starr, für nicht altersgerecht und unfair.

Das Übertrittszeugnis gibt eine verbindliche Empfehlung dafür, ob Kinder nach der Grundschule aufs Gymnasium, die Real- oder Mittelschule wechseln sollten. Entscheidend ist dabei der Notendurchschnitt der drei Fächer Deutsch, Mathematik sowie Heimat- und Sachkunde. Bei einem Notendurchschnitt von bis zu 2,33 gibt es nach Angaben des Kultusministeriums eine Empfehlung fürs Gymnasium, bei bis zu 2,66 für die Realschule und ab 3,0 für die Mittelschule. Eine echte Empfehlung ist das allerdings nur in eine Richtung: Wessen Kind das Gymnasium genannt bekommt, kann es auch an eine Realschule schicken. Umgekehrt geht das nicht. Wer den nötigen Schnitt nicht schafft, hat allerdings die Möglichkeit des Probeunterrichts, in dem schriftliche und mündliche Aufgaben in Deutsch und Mathe bestanden werden müssen.

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«Im aktuellen System werden die Kinder aus schwachen Familienverhältnissen und Kinder mit Migrationshintergrund systematisch frühzeitig zurückgelassen»

Der bayerische Elternverband bemängelt, dass beim Übertritt nur drei Fächer ausschlaggebend sind. «Es werden viele Dinge nicht bewertet», sagte die stellvertretende Landesvorsitzende Henrike Paede. Außerdem sei eine so wichtige Weichenstellung im Alter von neun bis zehn Jahren noch viel zu früh. Die Kinder müssten deshalb länger zusammen lernen können, so wie es an einer Gemeinschaftsschule möglich sei. «Im aktuellen System werden die Kinder aus schwachen Familienverhältnissen und Kinder mit Migrationshintergrund systematisch frühzeitig zurückgelassen», ergänzt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Den Kindern ginge außerdem die Lust am Lernen verloren, weil sie sich nur auf die Noten in den drei entscheidenden Fächern konzentrierten.

Ähnlich äußert sich die GEW. «Dieses System ist nicht mehr zeitgemäß. Wir reduzieren Kinder bereits im frühen Alter auf drei Ziffern und stellen aufgrund eines Notendurchschnitts die Weichen für eine gesamte Bildungskarriere. Das ist nicht altersgemäß und schon gar nicht fair. Kinder vergleichen sich und lernen, dass Leistung etwas ist, was in Konkurrenz zueinander geschieht. Das ist der falsche Ansatz für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder», sagt Florian Kohl, stellvertretender Vorsitzender der GEW Bayern. Der Druck laste schon früh auf den Kindern, die geforderten Noten zu schaffen, weil die Mittelschule – so heißt in Bayern die Hauptschule mittlerweile – für viele Eltern keine Option mehr sei.

«Eltern werden mit Hilfe der Übertrittsempfehlung dabei unterstützt, die Fähigkeiten und Präferenzen ihrer Kinder realistisch einzuschätzen»

«Das bayerische Übertrittsverfahren hat sich über Jahrzehnte hinweg bewährt und genießt breite Akzeptanz und Wertschätzung in der Bevölkerung», sagt dagegen Piazolo. Nach der vierten Klasse werde zwar eine erste Entscheidung getroffen, ein Wechsel zwischen den Schularten sei aber später noch jederzeit möglich. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen dem Ministerium zufolge außerdem, dass die Bildungsgerechtigkeit leidet, wenn der Elternwille stärker berücksichtigt wird. Die Wahl der weiterführenden Schule hänge dann stark von der Herkunft und der Vorbildung der Eltern ab, erklärte das Ministerium.

Unterstützung bekommt es von den Verbänden, die Realschul- und Gymnasiallehrer vertreten. «Eltern werden mit Hilfe der Übertrittsempfehlung dabei unterstützt, die Fähigkeiten und Präferenzen ihrer Kinder realistisch einzuschätzen, damit diese Erfolgserlebnisse verspüren, Freude am Lernen haben und den für sie am besten geeigneten Bildungsweg wählen», sagt der Landesvorsitzende des bayerischen Realschullehrerverbands, Jürgen Böhm. Auch der bayerische Philologenverband, der die Lehrkräfte an Gymnasien und Beruflichen Oberschulen vertritt, befürwortet die Übertrittsregeln. Diese sorgten für ein höheres Leistungsniveau und am Ende für mehr Bildungsgerechtigkeit, teilte dieser mit. News4teachers / mit Material der dpa

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