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Einem Lehrer platzt der Kragen – er sagt Kretschmann: “Werden Sie verdammt nochmal ein besserer Arbeitgeber!”

STUTTGART. Von „Giftzähnen“, die ja gar nicht alle zum Einsatz gekommen seien, war die Rede. Und davon, dass es immer weniger Verständnis in der Bevölkerung für die so großzügigen Teilzeitregelungen im Schuldienst gebe. Wortreich begründete Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne), warum sie die Zusage, an dieser Schraube nicht zu drehen, nun einkassierte – und eben doch die Teilzeit einschränkt (News4teachers berichtete). Das führt zu Empörung in der Lehrerschaft. Stellvertretend für viele veröffentlichen wir hier einen Leserbrief von „SB HS Lehrer“, der seiner Empörung über das Vorgehen auch von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (ebenfalls Grüne) Luft macht.

News4teachers-Leser “SB HS Lehrer” platzt der Kragen. Illustration: Shutterstocck

Ach Frau Ministerin, ach Herr Ministerpräsident,

wie es scheint, sind Sie aus dem Dornröschenschlaf aufgewacht. Offensichtlich aber nicht, weil ein Traumprinz sie wachgeküsst hat – sondern weil die Realität ihren Hammer auf ihr Glashaus hat knallen lassen. Die Erkenntnis, dass es einen Lehrermangel gibt, ist offenbar so unverhofft und brutal über Sie hereingebrochen, dass Sie nun einen Schnellschuss nach dem anderen dagegen abfeuern. Was bei Ihrer Belegschaft allerdings nur noch Kopfschütteln hervorruft.

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Scheinbar erkennt unsere Politik, sowohl landes- als auch bundesweit nicht, dass der Staat immer mehr zum schlechtesten Arbeitgeber in allen seinen Aufgabenbereichen wird. Nicht ohne Grund haben wir in vielen Bereichen Nachwuchsprobleme. Oder es läuft das Personal sogar weg. Allein die Aussicht auf Verbeamtung lockt doch keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Und vermutlich wird dieser Punkt auch bald fallen, da er im Hinblick auf die Pensionen nicht mehr finanzierbar ist.

Warum, glauben Sie, haben wir vermehrt Referendarinnen und Referendare, die nicht im Schuldienst bleiben? Es ist Tatsache, dass diese jungen Kollegen wahrnehmen, was an den Schulen passiert, wie aus Unterricht immer mehr nur Betreuung geworden ist, wie normal es mittlerweile ist, dass die Vertretungspläne seitenlang sind, dass Kolleg*innen von heute auf morgen einfach abgeordnet oder versetzt werden, dass man montags noch schnell einen Deutschlehrauftrag in Klasse 6 aufgedrückt bekommt und mittwochs plötzlich die Prüfungsklasse übernehmen muss, dass ständig neue Abfragen und Statistiken angefordert werden, dass selbst die alten Hasen nur noch mit Sarkasmus im Lehrerzimmer auf all den Wahnsinn reagieren.

“Wer macht denn die Personalpolitik? Wer plant den auf lange Zeit den Bedarf an Personal? Das sind doch nicht wir Lehrkräfte”

20 Jahre sind es bei nun bald, dass ich diesen Job ausübe. Berufsbilder verändern sich, dass ist mir aus meiner Zeit, als ich noch etwas „Vernünftiges“ gelernt habe, auch klar. Aber unser Arbeitgeber hat in den letzten Jahren nichts für seine Angestellten getan. Oder habe ich etwas verpasst? Was hat man uns nicht alles versprochen, angeboten und wieder einkassiert, in Aussicht gestellt, um es nach der Wahl dann doch wieder kommentarlos verschwinden lassen? Glauben Sie, wir erzählen das den jungen Kollegen nicht – Glauben Sie, die spüren unsere Enttäuschung nicht? Und glauben Sie, dass die nicht verstehen, auf was sie sich einlassen sollen?

Dass die Politik dann noch die Lehrkräfte in Verantwortung nimmt, wenn es an den Schulen nicht läuft, kotzt mich regelrecht an. Wer macht denn die Personalpolitik? Wer plant den auf lange Zeit den Bedarf an Personal? Das sind doch nicht wir Lehrkräfte,

Mit ihren aktuellen Äußerungen haben Sie es geschafft, die Lehrer mal wieder als „faule Säcke“ darzustellen, als Menschen, die (wenn überhaupt) nur in Teilzeit arbeiten wollen, die „morgens recht und mittags frei“ haben – herzlichen Dank dafür. Dabei ist Teilzeit heutzutage normal. Die, die an meiner Schule die kleinsten Deputate haben, sind die Sekretärinnen, die sich zu dritt eine Stelle teilen. Und das ist prima so, weil wir ohne ihre wertvolle Arbeit nicht auskämen. Auch in der Firma, in der meine Frau arbeitet, ist der Anteil an berufstätigen Frauen, die nur Teilzeit arbeiten können, hoch – weil diese Frauen eben auch noch die Familie managen und sich bewusst für diese Teilung entschieden haben. Bei Lehrkräften ist das natürlich etwas Verwerfliches, was abgeschafft gehört. Übrigens hat das Kultusministerium es letztens noch gefeiert, dass man das Referendariat nunmehr auch in Teilzeit absolvieren kann.

“Hören Sie auf, mit Bettelbriefen an das soziale Gewissen und die Gutmütigkeit der Lehrkräfte zu appellieren, um Mehrarbeit herauszupressen”

Wenn Sie mehr Menschen als Arbeitskräfte an die Schulen holen möchten, dann werden Sie verdammt nochmal endlich ein besserer Arbeitgeber. Halten Sie ihre Versprechen ein – finden Sie zum Beispiel den schon oft angesprochen Schulfrieden und treiben Sie nicht immer wieder neue pädagogische Säue durchs Dorf. Werden Sie endlich wach und schauen sich nicht nur Vorzeigeschulen an, sondern begegnen uns Kolleg*innen an der Basis, wo es brennt, wo es schlecht läuft. Überlegen Sie sich endlich mal, ob es wirklich notwendig ist, dass auf den Verwaltungsstellen in den Schulämtern oder im Ministerium studierte ausgebildete Lehrkräfte sitzen. Überlegen Sie sich mal, was ein Arbeitgeber in der freien Wirtschaft tun würde, um sein Personalproblem zu lösen…

Hören Sie auf, mit Bettelbriefen an das soziale Gewissen und die Gutmütigkeit der Lehrkräfte zu appellieren, um Mehrarbeit herauszupressen. Hören Sie auf zu jammern, es sei kein Geld da. Die Wahrheit ist: Was Sie jetzt nicht investieren, fliegt ihnen gesellschaftlich spätestens in 20 Jahren um die Ohren. Aber da juckt es Sie ja nicht mehr. Da sind Sie schon lange nicht mehr im Amt. News4teachers

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