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ifo-Studie: Bildungschancen unterscheiden sich zwischen den Bundesländern deutlich – GEW fordert Konsequenzen

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BERLIN. Die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen in Deutschland unterscheiden sich deutlich zwischen den Bundesländern. Das ist das Ergebnis einer neuen ifo-Studie, die untersucht hat, wie wahrscheinlich es je nach familiärem Hintergrund ist, dass ein Kind ein Gymnasium besucht. Die GEW schlägt der KMK vor, das Thema „Längeres gemeinsames Lernen aller Kinder und Jugendlichen“ auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Wo geht es hin nach der Grundschule? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Am wenigsten negativ wirkt sich laut der Studie des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München ein ungünstiger familiärer Hintergrund für Kinder in Berlin und Brandenburg aus: Es ist etwa halb so wahrscheinlich (Berlin: 53,8 Prozent; Brandenburg: 52,8 Prozent), dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium besuchen wie Kinder aus günstigen Verhältnissen. Bundesweit beträgt der Wert 44,6 Prozent.

Am unteren Ende liegen Sachsen mit 40,1 und Bayern mit 38,1 Prozent. Chancengleichheit wäre bei 100 Prozent erreicht. „Bildung und Einkommen der Eltern sind entscheidende Faktoren für die Bildungschancen von Kindern in Deutschland. Aber dies gilt in den Bundesländern in unterschiedlichem Ausmaß“, sagt Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik.

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Die Studie vergleicht die Wahrscheinlichkeit eines Gymnasialbesuchs für Kinder aus benachteiligten Verhältnissen (weder ein Elternteil mit Abitur noch oberes Viertel der Haushaltseinkommen) mit der für Kinder aus günstigen Verhältnissen (mindestens ein Elternteil mit Abitur und/oder oberes Viertel der Haushaltseinkommen). Deutschlandweit besuchen 26,7 Prozent der Kinder aus benachteiligten Verhältnissen ein Gymnasium, aus günstigen Verhältnissen sind es 59,8 Prozent.

„Das große Ausmaß der Ungleichheit der Bildungschancen ist zum Glück nicht unumstößlich“

Alternativ kann auch der absolute Abstand zwischen den beiden Werten berechnet werden. Hier liegt Mecklenburg-Vorpommern vorn mit 26,4 Prozentpunkten vor Rheinland-Pfalz mit 28,4 Prozentpunkten. Am Ende liegen Sachsen-Anhalt mit 38,1 und Sachsen mit 40,1 Prozentpunkten Abstand. Chancengleichheit würde hier bei null Abstand erreicht. Die Unterschiede sind statistisch, bildungspolitisch und wirtschaftlich bedeutsam. Tatsächlich verdienen Menschen mit Abitur im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur.

„Das große Ausmaß der Ungleichheit der Bildungschancen ist zum Glück nicht unumstößlich. Politische Maßnahmen könnten Kinder aus benachteiligten Verhältnissen gezielt fördern, am besten schon im frühkindlichen Alter“, sagt Florian Schoner, Mitautor der Studie. Wichtige Ansatzpunkte seien eine gezielte Unterstützung von Eltern und Schulen in herausfordernden Lagen, eine datenbasierte Sprachförderung sowie Mentoring-Programme.

Schließlich könnte auch eine spätere schulische Aufteilung etwas an der ungleichen Chancenverteilung ändern. „Interessanterweise sind Berlin und Brandenburg die einzigen Länder, in denen die Kinder erst ab der 7. Klasse auf das Gymnasium wechseln“, fügt Wößmann an.

Die Datenbasis ist der Mikrozensus 2018 und 2019. Für eine Stichprobe von 102.005 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 18 Jahren liefert er Informationen über den Gymnasialbesuch und den familiären Hintergrund. Die Fallzahlen reichen von 947 Kindern in Bremen bis 23.022 in Nordrhein-Westfalen.

„Je weniger Selektion, desto besser kann jedes Kind seine Bildungspotenziale entwickeln“

„Selbstverständlich ist es nicht für jedes Kind die beste Bildungsentscheidung, auf ein Gymnasium zu gehen. Aber die Chance darauf sollte nicht von der Herkunft des Kindes abhängen“, so heißt es in der Studie. Zudem stelle der Gymnasialbesuch ein aussagekräftiges Maß für die sozialen und wirtschaftlichen Chancen eines Kindes dar. „Nach erfolgreichem Abschluss des Gymnasiums eröffnet das Abitur den Zugang zum Hochschulwesen und ermöglicht somit Bildungswege, die mit wohlstandsbringenden Berufsaussichten verbunden sind. Tatsächlich verdienen Menschen mit Abitur im Durchschnitt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur.“

„Die Chancengleichheit in der Bildung erhöht sich, wenn die Schülerinnen und Schüler mindestens bis zur 10. Klasse zusammen lernen. Das zeigt das Beispiel der skandinavischen Staaten. Je weniger Selektion, desto besser kann jedes Kind seine Bildungspotenziale entwickeln“, sagt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule, mit Blick auf die Ergebnisse. Die Untersuchung untermauere einmal mehr den engen Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozioökonomischer Herkunft der Kinder.

„Damit hinkt Deutschland europaweit mit Blick auf die Ausschöpfung der Bildungspotenziale der Kinder und Jugendlichen weit hinterher. Wenn unser rohstoffarmes Land zukunftsfähig bleiben will, müssen wir die Bildungschancen aller dringend verbessern“, betont Bensinger-Stolze.

„Die KMK muss sich endlich ernsthaft damit befassen, das längere gemeinsame Lernen in den Mittelpunkt ihrer Planungen zu stellen“, so der Vorschlag der Gewerkschafterin: „In den Bundesländern, die Gesamt- und Gemeinschaftsschulen mit der Möglichkeit ein Abitur zu machen oder eine sechsjährige Grundschule vorhalten, sind die Bildungschancen auch für benachteiligte Schülerinnen und Schüler sehr viel besser“, unterstreicht Bensinger-Stolze.

„Zudem sind flankierende Maßnahmen notwendig: Ausbau der frühkindlichen Bildung, mehr und bessere Sprachförderung sowie eine stärkere Unterstützung armer Familien und der Schulen, die unter schwierigen sozialen Bedingungen arbeiten. Für diese Aufgaben müssen zusätzliche Gelder bereitgestellt werden, die gezielt nach Sozialindex – und nicht mit der Gießkanne – verteilt werden“, betont die Gewerkschafterin.

Bund und Länder haben dafür unlängst eigens das Startchancenprogramm aufgelegt, mit dem ab dem kommenden Schuljahr bundesweit 4.000 Schulen in sozial herausfordernden Lagen besonders unterstützt werden sollen. Die GEW kritisiert das mit 20 Milliarden Euro über zehn Jahre Laufzeit ausgestattete Programm allerdings als zu klein dimensioniert. News4teachers

Hier geht es zur vollständigen ifo-Studie.

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