Hohe Arbeitsbelastungen (wie in Kitas) treiben den Krankenstand hoch – und darauf kommen dann noch Corona und Co.

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BERLIN. Der nächste deutliche Anstieg der Covid-Infektionszahlen ist schon in Sicht – damit rechnen Medizinerinnen und Mediziner für die kommenden Wochen. Die meisten Corona-Erkrankungen verlaufen mittlerweile glücklicherweise relativ glimpflich. Trotzdem kann ein Teil der infizierten Beschäftigten nicht arbeiten, und das in einer Situation, in der Fehlzeiten unter Arbeitnehmenden ungewöhnlich hoch sind, wie etliche Krankenkassen vermelden. Auch belastende Arbeitsbedingungen (wie im Kita-Bereich) sind dafür verantwortlich. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung.

Der Krankenstand ist hoch (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Die Entwicklung wird mit Sorge beobachtet – und von Ökonomen und Arbeitgebern auch schon als Problem für die Wirtschaftsleistung in Deutschland diskutiert. Was sind die Gründe für vergleichsweise hohe Krankenstände? Neben mehr schwereren Atemwegserkrankungen sind belastende Arbeitsbedingungen, Personalmangel, zu wenig betriebliche Prävention, Probleme in der sozialen Infrastruktur, etwa bei der Kinderbetreuung, sowie mehr ältere Beschäftigte wichtige Faktoren, ergibt eine neue Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Hinzu kommt, dass Krankmeldungen neuerdings systematischer erfasst werden, so dass die Statistik die tatsächlichen Krankenstände schlicht realistischer abbildet als früher.

„Die vorliegenden Daten bestätigen, dass das Kita-Personal mit deutlich höheren Arbeitsunfähigkeitsmeldungen konfrontiert ist als alle Berufsgruppen insgesamt“

„In manchen Medien wird angesichts höherer Fehlzeiten suggeriert, dass Beschäftigte bei Erkrankungen schneller zu Hause bleiben oder gar krankfeiern. Dahinter, so der Verdacht, stehe geringere Leistungsbereitschaft und dass man in Zeiten von Fachkräftemangel weniger negative Konsequenzen zu befürchten habe. Es mag Einzelfälle geben, aber als grundsätzliche Erklärungsansätze sind solche Verkürzungen gefährlich, weil sie den Blick auf die wirklich relevanten Ursachen verstellen“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Nur wenn man die strukturellen betrieblichen und sozialen Ursachen kennt und ernst nimmt, kann man wirksam etwas gegen hohe Krankenstände tun“, erklärt Elke Ahlers, WSI-Expertin für Gesundheit am Arbeitsplatz und Autorin der Analyse. Prävention und insbesondere der konsequente Einsatz von Gefährdungsbeurteilungen – und wirksame Schlussfolgerungen daraus – seien zentral.

Seit den Corona-Jahren befinden sich die Krankenstände in Deutschland im Aufwärtstrend und liegen nun auf einem im historischen Vergleich hohen Niveau. Am häufigsten wurden zuletzt bei Beschäftigten Atemwegserkrankungen (17,5 Prozent) diagnostiziert, gefolgt von Muskel-Skelett-Erkrankungen (17,4 Prozent) und psychischen Erkrankungen (10,3 Prozent). Stark betroffen von hohen Krankenständen sind soziale Einrichtungen – insbesondere Kitas.

„Die vorliegenden Daten bestätigen, dass das Kita-Personal mit deutlich höheren Arbeitsunfähigkeitsmeldungen konfrontiert ist als alle Berufsgruppen insgesamt“, so heißt es in einer aktuellen Untersuchung der Bertelsmann Stiftung auf der Grundlage von Daten der Krankenkasse DAK. Zudem lasse sich seit 2022 ein enormer Anstieg der AU-Tage beim Kita-Personal beobachten, der sich auch über alle Berufsgruppen hinweg abzeichne.

„Darüber hinaus ist der Anteil der Arbeitsunfähigkeiten aufgrund psychischer Erkrankung in Berufen in der Kinderbetreuung und -erziehung im Durchschnitt deutlich höher im Vergleich zu den anderen Berufsgruppen. Die bisherige Studienlage sowie die hier ausgewiesenen Ergebnisse lassen ein Muster erkennen, welches sich in besonderem Maße nachteilig auf die Einrichtungen der Frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung auswirkt: Der ohnehin hohe, strukturell bedingte, Personalmangel führt zu ungünstigen Arbeitsbedingungen, was sich wiederum in einer höheren Arbeitsbelastung des Personals niederschlägt. Eine höhere Arbeitsbelastung kann weiter zu erhöhten krankheitsbedingten Fehlzeiten beitragen, und so zu einem zusätzlichen Anstieg des Personalmangels führen“, heißt es.

Ahlers zitiert auch Untersuchungen der Techniker Krankenkasse, wonach vor allem der Umfang und die Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben, die hohe Informationsmenge und der Umgang mit permanenten Veränderungen ausschlaggebend für hohe Belastungen seien. Die DAK stellt zudem heraus, dass 45 Prozent der Beschäftigten regelmäßig von starkem oder sehr starkem Personalmangel im eigenen Arbeitsbereich betroffen seien. Tatsächlich sind in Branchen mit hohem Fachkräftemangel die Krankenstände überdurchschnittlich hoch und Mehrfachkrankschreibungen auffällig. Doch eben diese Beschäftigten gäben auch häufiger an, trotz Krankheit arbeiten zu gehen. Und sie müssen zusätzliche Aufgaben übernehmen, es kommt zu Arbeitsverdichtung, Multitasking und Mehrarbeit. Pausen werden ein-geschränkt und der Feierabend ist nicht mehr sicher. Viele Beschäftigte könnten abends schlechter von der Arbeit abschalten, analysiert Ahlers. „Das alles wirkt sich auf die Arbeitszufriedenheit, auf das Betriebsklima und letztendlich auf die Gesundheit aus.“

Für Eltern kleinerer Kinder werden solche Arbeitsbelastungen noch durch den flächendeckenden Mangel an Kita-Plätzen sowie nicht selten vorkommende Verkürzungen oder Ausfälle der Betreuung verschärft. Laut einer Befragung des WSI geben 67 Prozent der betroffenen Befragten an, dass sie die Ausfälle bei der Kinderbetreuung bzw. die zeitliche Verkürzung als belastend empfinden.

Gleichzeitig haben der demografische Wandel und auch die eingeschränkte Möglichkeit eines früheren Renteneintritts die Erwerbsbeteiligung Älterer in Deutschland steigen lassen: Die Erwerbstätigenquote Älterer (55 bis 64 Jahre) ist in Deutschland laut der Industrieländerorganisation OECD von 1995 bis 2022 um 35,9 Pro-zentpunkte gestiegen. Im Jahr 2022 lag sie bei 73,3 Prozent und damit deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 62,9 Prozent.

Diese von vielen Fachleuten als positiv eingeordnete Entwicklung hat gewissermaßen als Kehrseite, auch Auswirkungen auf den Krankenstand, stellt Ahlers fest. Krankenkassendaten belegen, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten mit steigendem Alter zunehmen. Liegt der Krankenstand der 30- bis 34-Jährigen noch bei 4,9 Prozent, so erhöht er sich bei den 55- bis 59-Jährigen auf über neun Prozent. Zwar sind ältere Beschäftigte nicht unbedingt öfter, aber bedingt durch andere Krankheitsbilder länger krank.

Als weiteren, oft übersehenen, Faktor nennt die WSI-Expertin das geänderte digitalisierte Verfahren bei der Erfassung und Weiterleitung von Krankmeldungen. War es bis 2022 den Beschäftigten überlassen, die Krankmeldungen nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch der Krankenkasse weiterzureichen, so geschieht dies nun digital. Die Krankenkassen erhalten damit automatisiert alle Krankmeldungen, was vorher nur bedingt der Fall war. Damit führe die Umstellung zu einer exakteren Erfassung der Krankheitsfälle und infolgedessen zu einer Korrektur einer jahrelangen Untererfassung, so Ahlers. „Die deutliche Erhöhung des Krankenstandes ist daher auch dieser Umstellung geschuldet, und das sollte fairerweise in der Debatte um hohe Fehlzeiten mitberücksichtigt werden.“

Statt sich über eine vermeintlich weniger leistungsbereite arbeitende Bevölkerung zu beklagen, müsse an den relevanten Ursachen der hohen Fehlzeiten angesetzt werden, betont die WSI-Gesundheitsexpertin. Wichtige Instrumente dafür seien zwar längst vorhanden, doch: „Das wird im Zuge des gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes und einer konsequenteren Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen seit langem gefordert, aber von den Unternehmen nur halbherzig umgesetzt“, schreibt Ahlers.

“Personalverantwortliche sind dringend gefordert, den Beschäftigten gute und faire Arbeitsbedingungen zu bieten, um den hohen Fehlzeiten entgegenzuwirken”

In eigenen Studien hat die Forscherin herausgearbeitet, dass vor allem ein wirkungsvoller Schutz vor psychischer Überlastung vielfach noch zu kurz kommt. Zwar steigt zumindest in Betrieben mit Betriebsrat die Quote der Betriebe kontinuierlich, die regelmäßig psychische Gefährdungsbeurteilungen durchführen, wie die WSI-Betriebsrätebefragung von 2021 zeigte. Vollständig umgesetzt wurden solche Verfahren aber bislang trotzdem nur in rund zwei Dritteln der Betriebe, zudem scheinen auf die Analyse nicht zwingend Taten zu folgen. Untersuchungen anderer Wissenschaftler*innen zeigen ähnliche Defizite auf.

Personalverantwortliche seien dringend gefordert, den Beschäftigten gute und faire Arbeitsbedingungen zu bieten, um den hohen Fehlzeiten entgegenzuwirken, mahnt Ahlers. Einseitige Schuldzuweisungen brächten hingegen nur eines: Noch mehr Druck und Stress. News4teachers

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Spirale
11 Monate zuvor

Tja, vielleicht sind letztlich einfach Viele in der Summe aller ihrer Lebensbereiche überfordert. Was für Stress sorgt und zu Krsnkheit führt. Und vielleicht setzt sich auch mal endlich die Erkenntnis durch, dass jeder Infekt, der über eine laufende Nase hinausgeht, erstgenommmen werden sollte.

Ich für meinen Teil gehe nicht mehr arbeiten, wenn ich eine Erkältung habe. Viel zu oft habe ich in meinem Umfeld erlebt, wie fehlende Schonung und Stress durch verhaltenskreative Schüler dafür gesorgt haben, dass Infekte in den Lungenbereich “gewandert” sind.

Vielleicht sollten Kultusministerien auch mal mit einer vernünftigen Reserve planen. Sollte helfen, Krankheitsspitzen abzufedern.

Realistin
11 Monate zuvor
Antwortet  Spirale

oder sie gehen einfach ins homeoffice und haben nicht 30 Leute um sich, pro Tag würden es ja noch mehr werden.
Keine Ansteckung und gleichzeitig Schonung

Am Limit
11 Monate zuvor

Wer es wirklich ernst meint mit Gesundheitsschutz und die Zahl der Atemwegsinfekte verringern wollte, könnte auch mal über die Installation von Luftfiltern in Kitas und Schulen bzw. falls vorhanden deren Wiederinbetriebnahme nachdenken. Evt. könnte es einen Zusammenhang zwischen der Zahl der Krankheitserreger in der Atemluft und der Zahl der Infektionen geben.

Realistin
11 Monate zuvor
Antwortet  Am Limit

oder 30% homeschooling, besonders in den Wintermonaten mit Eis/Schnee/Kälte

lustig
11 Monate zuvor
Antwortet  Realistin

und wer bleibt zu Hause? Papa?

Dil Uhlenspiegel
11 Monate zuvor
Antwortet  lustig

Zuhause bleiben die SuS ab ca. Klassenstufe 8, denn sie können bereits alleine atmen.

Lisa
11 Monate zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Klassenstufe 6. Ein gewöhnlicher Zwölfjähriger kann einige Stunden alleine bleiben. Für die anderen könnte man eine Notbetreuung organisieren.

Realist
11 Monate zuvor
Antwortet  lustig

Warum nicht? Der ist doch im “Homeoffice” und “arbeitet”…

GBS-Mensch
11 Monate zuvor
Antwortet  Am Limit

Als die Corinamaßnahmen beendet wurden sammelte unser Hausmeister die ganzen Luftfilter ein, um die “einzumotten”.
Auf meinen Hinweis, dass es doch trotzdem sinnvoll sei, sie in der Erkältungszeit zu nutzen, kam die Reaktion, dass die Dinger zu viel Strom ziehen würden und er die Anweisung habe, sie außer Betrieb zu nehmen.

Realist
11 Monate zuvor

“Hoher Krankenstand” ?

Krankenstand bei VW bzw. Tesla: 15% bzw. 20%. Musk zahlt ja sogar Prämien für diejenigen, die seltener krank werden…

Von der “freien” Wirtschaft lernen, heißt siegen lernen. Wird uns doch seit über 20 Jahren von Politik und Medien eingetrichtert…

lehrlicht
11 Monate zuvor

Als Vorbeugung und zur Reduzierung der schweren Atemwegserkrankungen wäre eine gute Lufthygiene wie Lüften nach CO2-Ampel oder auch Luftfilter eine gute Sache.

Na ja
11 Monate zuvor
Antwortet  lehrlicht

Dann hätte ich gerne Fenster, die man auch tatsächlich noch öffnen kann.

lehrlicht
11 Monate zuvor
Antwortet  Na ja

Die meisten Klassenräume haben Gott sei Dank Fenster, die geöffnet werden können. 😉

dickebank
11 Monate zuvor
Antwortet  lehrlicht

… nur nicht in allen Gebäuden …

447
11 Monate zuvor
Antwortet  lehrlicht

An den Schulen bei uns nicht.

Warum auch immer.
(Jaja, die offizielle Unsinnsbegründung kenne ich)

Dr.S.Keppel
11 Monate zuvor

Mit Covid infizierte Erzieherinnen sollten überhaupt nicht arbeiten.

An as
10 Monate zuvor

Bemerkenswert, die Politik stellt fest das der Krankenstand in Kitas wächst, und das seit Jahren! Aber niemand hört den Erzieherinnen und Erziehern zu wenn sie berichten, dass die Personaldecke immer dünner wird und die noch da sind sich kaputt rackern…. Konsequenz: Burnout oder andere Erkrankungen. Hinzu(!) kommen die üblichen Krankheiten wie Erkältung oder Magen -Darm, wo sich Mitarbeiter bei den Kindern anstecken! Weil Eltern meinen ihre kranken Kinder in die Kita schicken zu müssen,weil sie ja berufstätig sind. Dabei vergessen die Eltern, das auch die Mitarbeiter einer Kita berufstätig sind und ihre Kinder betreuen nur können, wenn sie gesund und fit sind.
Inzwischen haben viele Erzieherinnen und Erzieher die Schnauze voll und kündigen, wechseln den Beruf weil sie den täglichen Stress, der auf die Psyche geht, einfach nicht mehr aushalten. Doch anstatt der Sache auf den Grund zu gehen und etwas zu ändern,z.B. am Personalschlüssel für die Gruppen, wird noch ordentlich drauf gehauen. Da gibt es BEM Gespräche und/oder es wird mit Kündigung gedroht weil man so häufig krank ist.
Erst kürzlich selbst erlebt: komme morgens in die Kita und in der Gruppe ist eine Erzieherin, die sonst in einer anderen Gruppe arbeitet. 70% der Kolleginnen und Kollegen krank bzw. Urlaub. Die Mitarbeiterin steht mit 20 Kindern (!) den ganzen Vormittag alleine in der Gruppe. In den Gruppen nebenan, das gleiche Prozedere. Die Kita-Leitung, zu diesem Zeitpunkt selber erkrankt, weigert sich aber Gruppen wegen Personalmangel zu schließen.

Armes Deutschland!

Erzieherin
10 Monate zuvor
Antwortet  An as

Hier noch eine Erzieherin, die schon lange keine Lust mehr hat. Es ist unfassbar, wie respektlos die meisten Eltern mit ihren Kindern umgehen und in Kauf nehmen, das andere auch angesteckt werden. Ich würde mich als Elternteil schämen, mein Kind so krank in den Kindergarten zu bringen, wie es die meisten Eltern tun.Von den Lügen und Ausreden möchte ich garnicht sprechen. Man könnte den ganzen Tag mit dem Kopf schütteln. Die Gesellschaft braucht sich nicht wundern, das bald niemand mehr den ( mal tollen) Job machen will.Wirklich unmenschlich das alles.

ClaraOswald
10 Monate zuvor
Antwortet  Erzieherin

Auch hier eine Erzieherin, die schon lange nur noch auf Sparflamme läuft. 2 x Burnout führt letztlich dazu, dass man absolut keine Ressourcen mehr hat und bei jeder Erkältung sofort komplett flachliegt.

Sandmangru
7 Monate zuvor
Antwortet  An as

Verstehe ich nicht. Als ich damals in die Kita ging, waren wir 30 Kinder und eine (!) Erzieherin. Wir hatten 1x die Woche Sport, haben gemalt, gebastelt, gesungen, gespielt, Mengen-und Farblehre, waren in Wald und Flur und haben für die Rentner im benachbarten Altersheim gesungen. Wir waren in der Sauna und im Tierpark……..und unsere Erzieherin war so gut wie immer anwesend.
Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Respektlose Kinder und Eltern? Komische, offene Betreuungskonzepte? Lauter kleine Könige, die gefragt werden müssen, ob man ihnen die Windeln wechseln darf?
Das ist doch das wahre Problem.