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Schutz von Mädchen vor Gewalt lückenhaft: Kitas und Schulen fehlen Konzepte

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KIEL. Hohe Sensibilität, aber kein konkreter Kurs: Wenn es um den Schutz von Mädchen vor Gewalt geht, haben die Schulen und Kindertagesstätten deutlichen Nachholbedarf. Darauf verweist eine nun veröffentlichte Online-Befragung aus Schleswig-Holstein. Noch schlechter steht es um den Schutz von trans- und intergeschlechtlichen Kindern.

Beim Schutz von Mädchen zeigen viele Kitas und Schulen in Schleswig-Holstein Lücken in ihren Konzepten. Symbolfoto: Shutterstock

Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention 2018 hat sich Deutschland unter anderem verpflichtet, Frauen besser vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen – auch durch Bildung. Präventionsmaßnahmen sollen demnach schon „auf allen Ebenen des Bildungssystems“ stattfinden. Einblicke, inwieweit dies der Fall ist, gaben 2022 insgesamt 207 Kindertagesstätten sowie 104 Schulen verschiedener Schultypen. Sie beteiligten sich an einer Online-Umfrage der Fachhochschule Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das Ergebnis ist jedoch ernüchternd.

In vielen Kitas fehlt eine gemeinsame Definition

Zwar berücksichtigt die Mehrheit der befragten Kitas das Thema Geschlechtergerechtigkeit in ihrer pädagogischen Arbeit (71 Prozent), geht jedoch nicht spezifisch auf das Thema geschlechtsbezogene Gewalt ein. Fast ein Drittel verfügt nicht einmal über ein gemeinsames Verständnis von geschlechtsbezogener Gewalt (32 Prozent). Laut Studiendefinition umfasst diese psychische, physische sowie sexualisierte Gewalt und „trifft diejenigen, die nicht zur Gruppe der cis-männlichen Personen gehören. Das sind zum Beispiel Mädchen, Frauen, trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen.“

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In den meisten Einrichtungen fehlen zudem konkrete Konzepte zum Umgang mit dieser Form von Gewalt. 68 Prozent der Kindertagesstätten geben an, dass sie keine Verfahrensregelungen bei geschlechtsbezogener Gewalt haben. Stattdessen verweisen sie auf bewährte Konzepte zum Umgang mit Gewalt allgemein. „Diese Situation ist dann problematisch, wenn geschlechtsspezifische Aspekte von Gewalt nicht in ihren Ursachen bearbeitet werden, was für die Prävention dringend erforderlich ist“, sagt Katharina Wulf, Geschäftsführerin des Landesverbands Frauenberatung Schleswig-Holstein, der die Forschungsarbeit unterstützt hat.

Fachkräfte wünschen sich verbindliches Fort- und Weiterbildungsprogramm

Allerdings: Hierfür bräuchte es in den Kitas aber auch mehr Know-how. Etwas mehr als Dreiviertel der befragten Kitas geben an, dass sie sich ein verbindliches Fort- und Weiterbildungsprogramm zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt wünschen, damit sie in der Kita eine bessere Präventionsarbeit leisten können.

Und die Schulen? Die sind schon einen Schritt weiter. „Immerhin haben 41 Prozent der Schulen das Thema geschlechtsbezogene Gewalt in ihrer Schule fest verankert“, sagt Professorin Christiane Micus-Loos von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie kritisiert jedoch, dass Konzepte zum Umgang mit geschlechtsbezogener Gewalt noch an den meisten Schulen fehlen – „lediglich 20 Prozent können auf solche Konzepte zurückgreifen“. An rund vier von zehn Schulen existiert nicht einmal ein gemeinsames Verständnis von geschlechtsbezogener Gewalt (41 Prozent).

Auch die Schulen suchen Unterstützung zum Thema: 60 Prozent der befragten Institutionen befürworten ein umfassendes Internetportal mit Informationen zum Thema. Etwas mehr als jede zweite Schule sagt, dass es in der Lehramtsausbildung in den Hochschulen Pflichtmodule zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt bräuchte.

Vollkommen unter geht bislang der Schutzauftrag gegenüber trans- und intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen: „Die wenigsten der Befragten denken bei ihren Aktivitäten zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt oder Geschlechtergerechtigkeit auch diese Gruppen mit – hier braucht es noch viel Wissensaufbau in Schulen und Kitas“, sagt Professorin Melanie Groß von der Fachhochschule Kiel.

Handlungsempfehlungen auf drei Ebenen

„Es ist noch viel zu tun“, schreibt eine teilnehmende Person, die für ihre Kita an der Befragung teilgenommen hat. Darauf verweist auch Diplom-Pädagogin Esther van Lück von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ausgehend von den Studienergebnissen hat die hochschulübergreifende Forschungsgruppe daher Handlungsempfehlungen auf drei Ebenen entwickelt: mit Blick auf die Organisation, die Ausbildung und die Kompetenzerweiterung der einzelnen Fachkraft.

Auf der Organisationsebene

Im Bereich der Ausbildung sollten den Forscherinnen zufolge Lehrinhalte zu geschlechtsbezogener Gewalt Teil des Studiums beziehungsweise der Ausbildung sein sowie entsprechende Fort- und Weiterbildungen existieren. Der einzelnen Fachkraft empfehlen sie, sich eigenständig Wissen zum Thema anzueignen, und zu reflektieren, inwiefern sie persönlich in Geschlechter- und Gewaltverhältnisse involviert ist. „Auf all diesen Ebenen brauchen Kindertagesstätten und Schulen langfristige Veränderungen, Ressourcen und Unterstützungen“, sagt van Lück. Nur dann könnten Kinder und Jugendliche „ausreichend vor geschlechtsbezogener Gewalt geschützt werden“. News4teachers

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