DÜSSELDORF. Das gesellschaftliche Klima wird rauer, auch in den Schulen. Lehrkräfteverbände beklagen zunehmende Aggressivität und Rücksichtslosigkeit (News4teachers berichtete). Umso wichtiger wird soziales Lernen. Doch wie lassen sich Empathie, Teamfähigkeit und Konfliktlösungsstrategien fördern? Im Interview mit News4teachers erklärt Katharina Eckstein, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wie junge Menschen lernen können, konstruktiv mit sich und anderen umzugehen – und warum die Schule dabei eine zentrale Rolle spielt.
News4teachers: Schwieriges Sozialverhalten gehört derzeit zu den größten Problemen an Schulen. Ob Streit unter Schüler*innen, Wutausbrüche oder Unterrichtsstörungen – die Liste ist lang. Wie kann soziales Lernen dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen?
Katharina Eckstein: Soziales Lernen findet immer und überall statt. Dabei lernen wir nicht nur durch unsere eigenen, direkten Erfahrungen, sondern auch durch das Beobachten von anderen – wie Eltern, Lehrenden oder Gleichaltrigen. Mit Blick auf die sozialen Dynamiken bedeutet soziales Lernen im besten Sinne, dass Kinder und Jugendliche lernen, konstruktiv miteinander umzugehen. Soziales Lernen kann auf unterschiedlichen Ebenen wirken. Zunächst einmal können in der Interaktion mit anderen soziale Kompetenzen erwachsen, wie etwa Teamfähigkeit, Konfliktlösungsfähigkeiten und Kommunikationsfähigkeiten. Das sind alles Schlüsselkompetenzen, die nicht nur während der Schulzeit wichtig sind, sondern auch später in Studium, Beruf und Alltag.
Darüber hinaus spielt die emotionale Ebene eine große Rolle. Hier kann soziales Lernen die Empathiefähigkeit fördern, indem Schülerinnen und Schüler in der Interaktion mit anderen erkennen, dass nicht alle die gleichen Lebensrealitäten haben wie sie selbst. Dieses Bewusstsein – die Erkenntnis, dass „meine Welt nicht die Welt aller anderen ist“ – kann helfen, emotionale Verbindungen aufzubauen und eine andere Perspektive einzunehmen. Gerade das ist ein zentraler Mechanismus, um den eigenen Horizont zu erweitern und mehr Offenheit für den Austausch mit anderen zu entwickeln.
Auch die Selbstwahrnehmung wird gestärkt: In sozialen Interaktionen erfahren junge Menschen mehr über ihre eigenen Stärken und Schwächen. Diese Reflexion ist wichtig für die persönliche Entwicklung. Unter den richtigen Bedingungen bietet soziales Lernen auch noch auf der kognitiven Ebene Potenzial. Es kann dazu anregen, kritisch nachzudenken, Werte oder Haltungen zu reflektieren. Allerdings sind all diese Entwicklungen keine unmittelbaren Ergebnisse. Vielmehr handelt es sich um Mikroprozesse, die erst mit der Zeit wirken.
„Mentoring bietet ein enormes Potenzial“, sagt Katharina Eckstein mit Blick auf soziales Lernen. Wie umsetzen? Werden Sie als Lehrkraft Teil von Balu und Du!
Unterstützen Sie Kinder dabei, ihr Potenzial zu entfalten – als Lehrkraft einer weiterführenden Schule, deren Oberstufen-Schülerinnen und Schüler zu „Balus“ werden, oder als Grundschullehrkraft, die „Moglis“ vorschlägt. Ermöglichen Sie jungen Menschen wertvolle Erfahrungen und schenken Sie Grundschulkindern eine starke, unterstützende Begleitung. Jetzt informieren und mitmachen!
Das Modell: Junge, engagierte Leute übernehmen ehrenamtlich mindestens ein Jahr lang eine Patenschaft für ein Kind. Sie nehmen sich einmal in der Woche ein paar Stunden Zeit, schenken dem Kind ihre Aufmerksamkeit und gestalten ihre gemeinsamen Aktivitäten. Davon profitieren auch die „Balus“: Sie erwerben pädagogische und soziale Kompetenzen.
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News4teachers: Wie lässt sich soziales Lernen also fördern, damit es zu diesen positiven Effekten kommt?
Eckstein: Hier lassen sich verschiedene Theorierichtungen miteinander verbinden. Ein wichtiger Bereich ist beispielsweise die Sozialpsychologie, die viel Wissen über Interaktionen innerhalb von Gruppen bereitstellt. Dieses Wissen lässt sich auch gut auf den Kontext Schule übertragen. So ist es zunächst einmal ganz normal, dass wir Menschen uns mit verschiedenen sozialen Gruppen identifizieren. In Schulklassen, besonders in sehr heterogenen, können diese Gruppenprozesse besonders sichtbar werden. Dabei kann die Gruppenbildung entlang verschiedener Linien verlaufen – zum Beispiel ethnisch-kultureller Hintergründe oder unterschiedlicher Leistungsniveaus. Solche Prozesse sind unvermeidlich. Eine zentrale Frage ist nun, wie man trotzdem ein positives Miteinander in der Klasse schaffen kann – mit wenig Konflikten, einer starken Identifikation mit der Klasse und einem ausgeprägten Zugehörigkeitsgefühl für alle.
“Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich Schüler*innen anfreunden, steigt, wenn sie nebeneinandersitzen”
In der Sozialpsychologie gibt es die Kontakthypothese. Die besagt, dass Mitglieder von Gruppen gegenseitige Vorurteile abbauen, wenn sie häufig und vertieft positiven Kontakt zueinander haben, beispielsweise weil sie zu einer Klasse gehören und alle gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten. Gemeinsame Ziele können also helfen, das Zugehörigkeitsgefühl zu stärken und den Zusammenhalt zu fördern. Lehrkräfte spielen hier eine entscheidende Rolle. Sie sollten nicht nur Gruppenhierarchien wahrnehmen, sondern auch gezielt Maßnahmen ergreifen, um diese auszugleichen. Zum Beispiel kann bereits die Sitzordnung einen Unterschied machen. Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich Schüler*innen anfreunden, steigt, wenn sie nebeneinandersitzen. Lehrkräfte könnten dies nutzen, um bewusst Sitznachbarn auszuwählen – etwa indem sie ein weniger beliebtes Kind neben ein beliebteres setzen oder sichtbare Grenzen zwischen Gruppen aufbrechen.
Das Klima innerhalb einer Klasse zu ändern, ist ein Prozess, der aus vielen kleinen Puzzleteilen besteht. Ein guter Ansatz ist, frühzeitig aktiv zu werden, vor allem wenn sich neue Klassen bilden. Viele Lehrkräfte berücksichtigen dies bereits und handeln gemeinsam mit den Schüler*innen aus, welche Werte und Regeln innerhalb der Klasse gelten sollen. Es hilft auch, regelmäßig Raum für soziale Themen zu schaffen, um zu besprechen, was gerade in der Klasse passiert. Solche offenen Formate ermöglichen es, Veränderungen oder Konflikte frühzeitig zu erkennen und anzugehen. Zudem sind gemeinsame Aktivitäten sinnvoll, die das Gemeinschaftsgefühl stärken. Allerdings braucht es dafür Zeit und Ressourcen, was im schulischen Alltag oft eine Herausforderung darstellt.
News4teachers: Sie sprechen es bereits an: Die Schulen benötigen auch Ressourcen, um positive soziale Lernprozesse anstoßen und unterstützen zu können. Diese sind nicht immer gegeben. Soziales Lernen findet aber nicht nur in der Schule statt. Inwieweit handelt es sich hierbei um eine geteilte Verantwortung?
Eckstein: Soziales Lernen findet überall statt. Wir sind soziale Wesen, und deshalb lernen wir natürlich auch in der Familie, im Freundeskreis – kurz: in allen sozialen Kontexten. Trotzdem hat die Schule in diesem Bereich eine besondere Bedeutung. Neben der reinen Wissensvermittlung zählt es zu den zentralen Zielen der Schule, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung sowie in ihrer sozialen und politischen Entwicklung zu unterstützen. Diese gesellschaftlichen Aufgaben sind explizit Teil des Bildungsauftrags. Gleichzeitig ist die Schule der einzige Ort, an dem man gezielt alle jungen Menschen eines bestimmten Alters erreichen kann. Gerade für junge Menschen aus weniger privilegierten Hintergründen oder solchen, die in ihrem familiären Umfeld wenig Unterstützung erfahren, kann die Schule eine entscheidende Pufferfunktion übernehmen. Sie hat das Potenzial, Ungleichheiten auszugleichen und eine positive Entwicklung zu fördern.
Das macht die Arbeit in der Schule natürlich besonders anspruchsvoll, denn diese Ziele lassen sich nicht einfach nebenbei und ohne erheblichen Zeitaufwand erreichen. Hinzu kommt, dass den Schulen immer mehr Aufgaben übertragen werden, von der Förderung der psychischen Gesundheit junger Menschen bis hin zur Bewältigung der Digitalisierung. Das sind alles Themen von großer Tragweite, wodurch Schulen an die Grenzen dessen stoßen, was sie leisten können.
Dennoch: Junge Menschen verbringen einen erheblichen Teil ihres Alltags in der Schule. Deshalb prägen die Erfahrungen, die sie dort machen, ihr Leben in erheblichem Maße – sowohl in Bezug auf ihre persönliche als auch auf ihre soziale Entwicklung.
News4teachers: Um junge Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen, haben sich in Deutschland – ähnlich wie in den USA – außerschulische Mentoring-Programme etabliert, die ihnen eine ältere Bezugsperson an die Seite stellen. Was können solche Programme leisten?
Eckstein: Mentoring bietet ein enormes Potenzial, insbesondere auf der Ebene des sozialen Lernens – und zwar für beide Seiten: sowohl für die Mentees als auch für die Mentor*innen. Für die Mentees stellt es eine bewusste Form der Unterstützung dar. Peer-Mentoring kann die Möglichkeit bieten, altersübergreifende Kontakte zu fördern. Für jüngere Schüler*innen kann es sehr bereichernd sein, eine ältere Bezugsperson zu haben, die sie kennt, unterstützt und ansprechbar ist. Mentees können beispielsweise in ihrer sozialen Entwicklung profitieren, da Mentor:innen Orientierung, Unterstützung und ein positives Vorbild bieten, und somit persönliches Wachstum fördern.
“In der Forschung ist der sogenannte ‘Tutoreneffekt’ bekannt: Menschen lernen oft am meisten, wenn sie anderen etwas erklären”
Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Qualität der Beziehung zwischen Mentor:in und Mentee. Wenn eine gute Beziehung aufgebaut wird, kann dies zudem den Lernprozess unterstützen. Besonders im Rahmen von Peer-Mentoring liegt eine Stärke darin, dass die Beziehung deutlich hierarchiefreier ist als beispielsweise zu Lehrkräften oder Eltern. Diese Gleichrangigkeit verändert die Dynamik: Mentees fühlen sich vielleicht wohler, Fragen zu stellen, die sie vor der gesamten Klasse oder gegenüber einer Lehrperson möglicherweise nicht äußern würden.
Auch für die Mentor*innen bietet das Konzept zahlreiche Vorteile. In der Forschung ist der sogenannte „Tutoreneffekt“ bekannt: Menschen lernen oft am meisten, wenn sie anderen etwas erklären. Ältere Schüler*innen profitieren daher selbst davon, wenn sie jüngeren Nachhilfe geben oder Lerninhalte erklären, da sie das Thema noch einmal durchdringen und besser verstehen müssen, um es verständlich zu vermitteln.
Darüber hinaus gibt es soziale und emotionale Lerneffekte für die Mentor*innen. Ein bewusster Einsatz von Peer-Mentoring-Programmen kann dazu beitragen, dass ältere Schüler*innen Verantwortung übernehmen und ihre Fähigkeit zur Perspektivübernahme stärken. Besonders in Programmen, die weniger privilegierte Schüler*innen unterstützen, lernen Mentor*innen, die Lebensrealitäten anderer besser zu verstehen. Gleichzeitig wird den Mentor*innen bewusst, dass Beziehungen auch Arbeit erfordern – sie erleben, dass Geduld, Einsatz und Ausdauer notwendig sind, um eine erfolgreiche Mentoring-Beziehung aufzubauen und zu gestalten.
Insgesamt kann Mentoring für beide Seiten – Mentees und Mentor*innen – eine wertvolle Erfahrung sein, die zahlreiche Chancen bietet. Es kann einen bedeutenden Impuls setzen, der das soziale Lernen und die persönliche Entwicklung aller Beteiligten nachhaltig fördert. Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.
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